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# taz.de -- Transitraum Libyen: Die bessere Seite der Sahara
> Tausende fliehen jede Woche von Niger nach Libyen. Sie wissen, die Wüste
> ist gefährlich. Doch das Chaos in Libyen ist ihre Chance.
Bild: Die Alaraneb-Brigade im Einsatz: Checkpoint bei Gatrun.
SEBHA taz | Vorsichtig nimmt Schahafedin Barka sein Messer und schneidet
den Karton auf. Luftdicht in Folie verpackte Briketts kommen zum Vorschein.
Zweihundert Kilo Haschisch, die einen süßlichen Geruch in der
Kommandozentrale der Schohada-Umm-Alaraneb-Brigade im Herzen der Sahara
verströmen. „Dieses Mal waren es drei Pick-ups“, berichtet Schafedin Barka,
„auf die unsere Patrouille 200 Kilometer weiter südlich zufällig gestoßen
ist. Es waren wohl Tuareg aus Algerien, die kolumbianische und
marokkanische Drogen über Mali in den Osten Libyens bringen. Das
eigentliche Ziel ist Europa.“ Einen Jeep konnten Barkas Leute stoppen, dann
schossen die Schmuggler wild um sich.
Schahafedin Barka hat schon viele solcher oft gefährlichen Begegnungen in
der Sahara erlebt. Der angehende Ingenieur ist am ehemaligen
Armeestützpunkt Luer für eine Truppe von 138 ehemaligen Revolutionären
verantwortlich.
Keiner ist älter als 30, und doch sind sie Kriegsveteranen. Zwei Jahre nach
dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi sind immer noch Milizen wie sie
für die Sicherheit im Süden Libyens verantwortlich. Von den vier Kasernen
und zwei Militärflughäfen südlich von Gatrun sind nur noch die
verwahrlosten Checkpoints übrig. Militärschrott liegt verstreut im Sand
neben der Straße. Der libysche Staat scheint sich in Luft ausgelöst zu
haben.
Das Machtvakuum habe dazu geführt, erklärt Schahafedin Barka, dass etwa 600
Touareg- und Tobu-Milizionäre die 1.400 Kilometer lange Sahara-Grenze zum
Niger und Tschad unter sich aufgeteilt hätten. Sie streiten mit Schmugglern
und Islamisten um die Macht in der Sahara.
Es gibt Drogen- und Menschenschmuggel: Die Drogenschmuggler fahren durch
die offene Wüste nach Tobruk in Ostlibyen, die Menschenschmuggler bringen
die Flüchtlinge in die Städte Südlibyens oder nach Tripolis. Vor allem im
Drogengeschäft mischen verstärkt islamistische Gruppen mit. Schahafedin
Barka sagt: „Wir wollen keinen von ihnen auf unserem Gebiet.“
## Erbarmungslos
Die Sonne brennt erbarmungslos auf den pechschwarzen Asphalt der
schnurgeraden Fernstraße, die von der libyschen Oase Gatrun nach Agadez im
Norden Nigers führt, 1.300 Kilometer quer durch die regenärmste Region der
Erde. Der Saharasand ist hart, die Wüste eine in alle Richtungen befahrbare
Ebene. Durch die gesprungene Windschutzscheibe fixieren die Brigadiere eine
entfernt liegende Bergkette. Barkas Fahrer Mohammed reißt plötzlich das
Lenkrad nach rechts und hält auf die Felsformation zu. Ist die kurz
aufblinkende Reflexion der Sonne ein Flüchtlingskonvoi? „Es werden jede
Woche mehr“, sagt Schehafedin Barka.
Abseits der Piste scheint die Orientierung unmöglich. Barkas Kollege Issa
Hassan winkt ab. „Wir Tobu kennen wie die Touareg jeden Stein hier. Auch
ohne GPS. In der Nacht orientieren wir uns an den Sternen.“ Aus ihrer
Ortskenntnis leiten die Männer ihren Gebietsanspruch ab. Die Vorstellung,
dass Beamte aus Tripolis oder gar Europa hier an der Grenzen Dienst tun,
kommt ihnen absurd vor. „Schon jemand aus Tripolis kommt hier mit den
Temperaturen nicht klar“, sagt Issa Hassan. „Wir wollen Teil der libyschen
Armee sein und für unsere Arbeit bezahlt werden.“
## Claims abgesteckt
Neben den Touareg verstehen sich die Tobu der Alanarab-Miliz als die
Ureinwohner der Sahara. „Offiziell ist Libyen nun frei. Tatsächlich aber
haben Stammes-Milizen im ganzen Land ihre Reviere abgesteckt. Gegen ihre
Willkür ist die Regierung völlig machtlos“, sagt Issa. Seit zwei Jahren
habe sich kein Politiker aus Tripolis hier blicken lassen.
„Es ist daher besser, auf alles gefasst zu sein“, ergänzt Schahafedin Barka
ernst. Es sind die Islamisten, die ihm besondere Sorgen machen. „Waffen,
Geld und Chaos – Libyen ist ein Paradies für jeden Terroristen geworden“,
sagt auch Issa Hassan. Er ist sich sicher, dass die Regierung in Tripolis
von Islamisten unter Druck gesetzt wird.
Sowohl den Angriff auf das Gasfeld in Algerien im Januar, bei dem vierzig
ausländische Arbeiter starben, wie auch den Krieg in Mali haben
Dschihadisten von der libyschen Sahara aus organisiert. Nun sind sie vor
den französischen Truppen geflohen und schaffen ihre Waffen über Bengasi
nach Syrien. Ihre Logistik finanzieren sie mit Drogenschmuggel.
„Im Gegensatz zu den Flüchtlingsschmugglern schießen die Islamisten auf
jeden“, sagen Barkas Leute und sind trotz des fünften Reifenwechsels an
diesem Tag guter Laune. Vom Flüchtlingskonvoi sind nur noch Reifenspuren im
Sand zu sehen.
Am Abend kehren Barka, Hassan und die anderen unverrichteterdinge in ihre
Basis zurück. „Besser so“, murmelt Mohammed. Denn das Internierungslager in
Luer ist voll und das Benzin auch mal wieder knapp.
## Nur die Kleider am Leib
200 ausgemergelte Gestalten, ausschließlich Männer aus Ghana, Nigeria,
Somalia und Äthiopien, stehen streng nach Ländern getrennt in Gruppen an,
als Issa Hassan das verrostete Metalltor zur Essensausgabe öffnet. Das in
der Stille der Sahara laut surrende Geräusch einer Aufklärungsdrohne am
Himmel ignorieren sie.
„Die Mahlzeiten für die Migranten, die wir gestern in der Wüste
aufgegriffen haben, spenden Menschen aus Gatrun und Murzuk“, sagt Issa
Hassan entschuldigend. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal.
Mehr als eine Decke und die Kleidung, die sie am Leibe tragen, haben die
meisten Flüchtlinge nicht.
Es sind Tausende, die sich jede Woche von Niger nach Südlibyen
durchschlagen. Sie wissen, dass Libyen gefährlich, aber unkontrolliert ist.
Das Chaos ist ihre Chance auf ein besseres Leben.
## Wegezoll
Außer den Alaraneb-Milizionären macht sich niemand die Mühe, die
Flüchtlingskonvois zu stoppen. Andere Milizen nehmen Wegezoll, im
Durchschnitt 20 Euro pro Checkpoint, sagen die Flüchtlinge.
„Wir wollen nach Schengen und dort arbeiten, lasst uns doch einfach
weiterreisen“, beschwert sich ein junger Mann aus Lagos bei Issa Hassan,
der nun von hundert Männern umringt ist. „Wir haben für einen Rechtsstaat
gekämpft“, kontert der ruhig. „Wenn wir euch gehen lassen, versinkt Libyen
noch mehr im Chaos.“ Für die Eingesperrten klingt das wenig überzeugend.
Sie lassen nicht locker. „Wir wollen nur zur Küste. Dann ist hier wieder
Ruhe.“
Die in die Gefängniswände von Luer gekratzten Zeichnungen und Sprüche
zeugen von den Odysseen junger Afrikaner auf der Suche nach Arbeit, auf dem
Weg nach Europa. Nicht alle überleben die Strapazen der Hitze, immer wieder
finden die Milizionäre Leichen in der Wüste. Die Schlepper setzen ihre
menschliche Ware oft ohne Wasser weit vor den Städten ab. Auch sie sind
meist junge Männer und wollen nicht von Verwandten gesehen werden, die
Flüchtlingswelle macht den Bürgern Angst. Für vier Wochen wandern
Schmuggler in Luer in den Knast, wenn sie geschnappt werden.
Die Blicke der Flüchtlinge wandern langsam zum halboffen stehenden Tor des
Gefängnisses. Aber sie wissen, eine Flucht ins 160 Kilometer entfernte
Murzuk durch die Wüste würden sie nicht überleben. Resignation steht in
ihren Gesichtern. Als Issa Hassan geht, sagen sie: „Zurück können wir
nicht, also werden wir es wieder versuchen. Eine Zukunft haben wir nur in
Europa.“
## 150 Euro für die Fahrt
Die Schmuggler fühlen sich mittlerweile derart sicher, dass sie in Agadez
feste Abfahrtzeiten anbieten. Jeden Montagmorgen um 10 Uhr. Die
Ticketpreise sind auf Schildern angezeigt, 150 Euro kostet die Fahrt nach
Gatrun, 175 Euro nach Sebha. Ankunft Dienstagmorgen in Gatrun.
Im Schatten der Straßenbäume von Sebha, 250 Kilometer weiter nördlich,
warten Migranten aus Ghana und Nigeria auf Arbeit. Bis zu zehn Euro am Tag
zahlen die libyschen Auftraggeber, ein Vielfaches der Löhne in den
Nachbarländern. Die Männer halten Malerrollen, Schaufeln oder
Schraubenzieher in der Hand, um zu zeigen, was sie können. Ab und zu hält
ein Pick-up und fährt mit einer Schar Arbeiter davon.
Mitten im libyschen Chaos wird privat viel gebaut. Geld gibt es genug in
Afrikas ölreichstem Staat. Doch es gilt das Gesetz des Stärkeren. Einige
Arbeiter berichten, dass sie nach getaner Arbeit ohne Bezahlung mit
vorgehaltener Waffe weggescheucht worden sind.
Auch vor dem Haus der NGO „Caucus Fezzan“ schuften ein Dutzend Arbeiter in
der Mittagssonne. In Zehnstundenschichten ziehen sie einen Rohbau im Akkord
hoch. „Ich bin jetzt schon mal auf der besseren Seite der Sahara“, freut
sich Emanuel Onukwen aus Ghana. „Wenn wir auf dieser Baustelle genug
verdient haben, geht es weiter nach Tripolis. In Misurata habe ich eine
Adresse von einem Schleuser. Ich weiß dass die Überfahrt gefährlich ist,
aber eine Perspektive haben wir in Libyen nicht. Hier ist es noch
gefährlicher, jeder ist bewaffnet.“
Aboazom Allafi blickt kopfschüttelnd auf die dunkelhäutigen
Arbeitssuchenden auf der anderen Straßenseite. Mit seiner Organisation
Caucus Fezzan versucht der 45-Jährige vom Stamm der Warfalla die libysche
Gesellschaft wachzurütteln. In der gesamten Provinz Fezzan klärt er mit
Freiwilligen über die neue Demokratie und die damit verbundenen Probleme
auf. „Alle leben hier vom Schmuggel. Wir brauchen endlich ein staatliches
Investitionsprogramm und Arbeit für unsere jungen Leute. Dann erst wird der
Menschenhandel aufhören“, sagt der Aktivist.
Heute wollen sie in Murzuk und Gatrun einen Vortrag über Korruption und die
neue Verfassung halten. Aboazom Allafi übt schon mal. Die Anarchie in
Libyen könne man nur mit Aufklärung und Investitionen bekämpfen, ereifert
er sich. Die Politiker in Tripolis und Brüssel glaubten, die Sahara sei
weit entfernt von ihnen. „Aber sie irren“, sagt er mit Nachdruck. Mit den
Flüchtlingen kommen auch irgendwann die Islamisten. Erst dann wird man
einsehen, dass Libyens Grenze zu Europa in der Sahara verläuft und nicht am
Mittelmeer.“
13 Oct 2013
## AUTOREN
Mirco Keilberth
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