# taz.de -- Deutsche Journalisten unter Beobachtung: Illegale Überwachungen | |
> Wenn Journalisten mehr wissen als Geheimdienste und Behörden, werden sie | |
> bespitzelt und durchsucht. Das war 1970 nicht anders als heute. | |
Bild: Auch taz-Autorin Andrea Röpke wurde vom niedersächsischen Verfassungssc… | |
BERLIN taz | Der Verfassungsschutz Niedersachsen muss Kai Budlers Daten | |
löschen. Zumindest diejenigen, die der Redakteur des Göttinger Stadtradios | |
in einem Auskunftsersuchen erfragen konnte. Vierzehn Jahre lang sammelte | |
der Verfassungsschutz Informationen über den Journalisten, in seiner Akte | |
finden sich Einträge zu Demonstrationen, über die Budler berichtet hatte, | |
etwa eine Göttinger Anti-Atomkraft-Demo kurz nach dem Erdbeben von | |
Fukushima. | |
Dazu kommt ein Sperrvermerk: Es gebe noch weitere „Erkenntnisse über | |
linksextremistische Aktivitäten“, wie die Behörde es nennt, in die Budler | |
jedoch keine Einsicht erhält. | |
Diese muss der Verfassungsschutz nicht löschen, so urteilte das | |
Verwaltungsgericht Göttingen am vergangenen Mittwoch, als es auch die | |
Tilgung der anderen Daten veranlasste. | |
Doch nicht nur Kai Budler wurde überwacht, der Verfassungsschutz | |
Niedersachsen erfasste auch Daten von seinem Anwalt und mindestens sechs | |
weiteren Journalisten – darunter ist die taz-Autorin Andrea Röpke, die zum | |
Themenschwerpunkt Rechtsextremismus arbeitet. | |
Das Verhältnis von Behörden wie dem Verfassungsschutz und dem | |
Bundesnachrichtendienst (BND) zu Journalisten ist ein spezielles. Beide | |
sammeln Informationen. Die einen, um sie zu veröffentlichen, die anderen, | |
um dies gerade nicht zu tun. | |
Doch was passiert, wenn Journalisten mehr Informationen haben als die | |
Behörden? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, mit welchen Methoden die | |
Dienste versuchen, an Informationen zu kommen. Beobachtung, wie bei den | |
niedersächsischen Journalisten, ist nur eine davon. | |
Anfang 2013 ließen die Landeskriminalämter Hessen und Berlin zehn | |
Fotografen durchsuchen, darunter auch die beiden freien Fotojournalisten | |
Christian Mang und Björn Kietzmann. Sie hatten, wie die anderen Fotografen, | |
im März 2012 auf einer antikapitalistischen Demonstration in Frankfurt | |
fotografiert, bei der ein Polizist durch ein Kantholz verletzt wurde. Die | |
Polizei suchte bei den Fotografen nach Beweisfotos, obwohl das seit 2007 | |
verboten ist. Denn damals entschied das Bundesverfassungsgericht im Fall | |
des Cicero-Journalisten Bruno Schirra. | |
Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hatte kistenweise Recherchematerial aus | |
Redaktion und Wohnung Schirras beschlagnahmen lassen, weil dieser | |
ausführlich aus einem Bericht des Bundeskriminalamts zitiert hatte. Die | |
Informanten Schirras sollten gefunden werden. | |
## Ein Urteil mit Folgen | |
Seit dem Cicero-Urteil dürfen Journalisten nur noch durchsucht werden, wenn | |
sie selbst eine Straftat begangen haben. Denn eine Durchsuchung habe „eine | |
einschüchternde Wirkung“ und stelle „eine Beeinträchtigung der | |
Pressefreiheit dar“, begründete das Bundesverfassungsgericht seine | |
Entscheidung. | |
Besonders einzuschüchtern versucht hatten die Polizisten beispielsweise | |
eine freie Journalistin der Münchner Abendzeitung im Winter 1993/94. Sie | |
hatte die Fotos einer Tierschutzdemonstration, bei der die Aktivisten nackt | |
durch die Münchner Innenstadt liefen, fotografiert und veröffentlicht. | |
Fünf Monate später wurden die Redaktionsräume und die private Wohnung der | |
Journalistin nach den Aufnahmen durchsucht. Weil die Demonstration nicht | |
angemeldet war, ermittelten die Beamten wegen Verdachts auf den Verstoß | |
gegen die Versammlungsfreiheit gegen die Aktivisten. Sie drohten der | |
Journalistin weitere Durchsuchungen an, wenn sie nicht grundsätzlich zur | |
Zusammenarbeit bereit wäre. | |
## Staatsanwälte ignorieren das Recht | |
Trotz des Rechts auf Informantenschutz, einem Aussageverweigerungsrecht, | |
das Informationsbringer vor Gericht schützen soll, waren Redaktionen und | |
Journalisten vor dem Cicero-Urteil nicht sicher vor den | |
Staatsanwaltschaften. Der Deutsche Journalisten-Verband zählt allein | |
zwischen den Jahren 1987 und 2000 164 angeordnete Durchsuchungen. | |
Informationen erhalten die Behörden nicht nur durch Durchsuchungen, sondern | |
auch über klassische Observation. Der „Schäfer-Bericht“ aus dem Mai 2006 | |
sollte für das parlamentarische Kontrollgremium die Überwachungsvorwürfe | |
der Presse aufarbeiten und dokumentiert den Fall Erich Schmidt-Eenboom. | |
Seit 1985 hatte dieser mehr als zehn Bücher über den | |
Bundesnachrichtendienst geschrieben. Der wollte mehr über Schmidt-Eenbooms | |
Quellen wissen: Fünf Mitarbeiter wurden 1993 auf ihn angesetzt. Sie | |
verfolgten Schmidt-Eenboom in Autos, mit dem Ziel, die Personen, die er | |
traf, zu identifizieren. Neue Technik wurde eingesetzt, wie eine Kamera in | |
der Sonnenblende des Autos. Doch weil Winter war, vereisten die Scheiben. | |
## Schnüffelei im Altpapier | |
Also mietete der Gruppenführer ein leerstehendes Lager in der Nähe von | |
Schmidt-Eenbooms Büro. Von dort aus konnten ein- und ausgehende Personen | |
fotografiert werden, und die Observation konnte „auch auf den | |
Freizeitbereich ausgedehnt werden“, heißt es im Schäfer-Bericht. In den | |
Jahren von 2000 bis 2003 tauschte der BND heimlich die Altpapiersäcke | |
Schmidt-Eenbooms aus. Aus den Inhalten konnte eine 98-seitige | |
Telefonnummernliste gezogen werden. Eine Überwachung von Brief-, Post- und | |
Fernmeldeverkehr gab es nicht, so der Schäfer-Bericht. | |
Zu dieser Zeit intensivierten beide Seiten den Kontakt aber auch auf eine | |
andere Art – es kam zu einer Zusammenarbeit, Schmidt-Eenboom kopierte | |
einige seiner Unterlagen für den BND. Anders als die Spitzel, die von den | |
Geheimdiensten in die Redaktionen geschickt wurden, sind derart | |
„Verbandelte“ keine Agenten. Mal erhalten sie dafür Honorare – | |
Schmidt-Eenboom sagt, er habe außer Kopierkosten nie Geld erhalten –, mal | |
wissen sie selbst nicht mal, dass der BND sie unter einem Tarnnamen als | |
Kontaktperson führt. | |
Eine von diesen Verbandelten war „Dorothea“. Im März 1970 war die damalige | |
Chefredakteurin der Zeit Marion Gräfin Dönhoff unter diesem Decknamen beim | |
BND registriert als „voll tragfähige und regelmäßige | |
BND-Presse-Sonderverbindung“. Auf der vom damaligen Bundesminister Horst | |
Ehmke angeforderten Liste finden sich weitere hochrangige Medienakteure wie | |
der Stern-Gründer Henri Nannen, der ZDF-Intendant Karl Holzamer und | |
Bild-Chefredakteur Peter Boenisch. | |
## Besuch vom BND-Mitarbeiter | |
Insgesamt standen rund 230 Journalisten mit Decknamen auf der Liste. Sie | |
selbst wisse nicht, was damit gemeint ist, sagt Dönhoff Schmidt-Eenboom, | |
als dieser 1997 die Liste veröffentlicht. Doch besuchte sie gelegentlich | |
ein BND-Mitarbeiter, erinnert sie sich. Die Unterhaltungen waren „so, wie | |
man mit irgendeinem Fremden, der eine Zeitung besucht, spricht, ohne dass | |
es dabei um erhebliche Probleme geht“, zitiert sie Schmidt-Eenboom in | |
seinem Buch „Undercover“. | |
Vielleicht war ihr gar nicht bewusst, dass jeder Besuch eines | |
Geheimdienstmitarbeiters als dienstlich einzuschätzen gilt. Vielleicht war | |
sie aber auch am Austausch von Exklusivinformation interessiert. In ihren | |
Artikeln stand sie dem Geheimdienstchef Reinhard Gehlen jedenfalls | |
besonders wohlwollend gegenüber und bezeichnete ihn als „Gentleman“, der | |
mit „mit allen Wassern gewaschen“ sein muss. | |
Und der Bundesnachrichtendienst bekam die Informationen, die er wollte. | |
17 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
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