| # taz.de -- Debatte rechtsextreme Frauen: Privat ist die sehr nett | |
| > Mit freundlicher Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft: Nazifrauen | |
| > machen erfolgreich Politik, weil sie als rechte Aktivistinnen übersehen | |
| > werden. | |
| Bild: Nazissen treten sonst auch mal als Oma, Nachbarin oder Erzieherin auf. | |
| BERLIN taz | Warum hat von Sicherheitsbehörden über Medien bis zur | |
| Zivilgesellschaft niemand verstanden, was es mit der Mordserie des NSU an | |
| türkischen und griechischen Kleinunternehmern auf sich hatte? | |
| In der Diskussion dieser Frage wird – richtigerweise – in erster Linie auf | |
| gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus hingewiesen. Eine | |
| weitere, wichtige Kategorie ist Geschlecht. | |
| Denn die Geschichte des NSU zeigt auch, welch dramatisches Ausmaß die | |
| gesellschaftliche Ignoranz gegenüber rechtsextremen Frauen hat. Diese | |
| Ignoranz fußt auf nicht reflektierten Geschlechterrollen. Trotz der vielen | |
| Diskussionen, die es über den Prozess und den NSU gibt, kommt dieser Aspekt | |
| in der Auseinandersetzung kaum vor. | |
| Ein Beispiel: Ein Stockwerk über der Wohnung, in der Zschäpe mit ihren | |
| Komplizen 2006 lebt, wird durch einen Einbruch ein Wasserschaden | |
| verursacht. Zschäpe hilft ihren NachbarInnen, denen sie als Lise D. bekannt | |
| ist, später beim Aufräumen und erzählt ihnen, sie sei zum Zeitpunkt der Tat | |
| zu Hause gewesen und habe Geräusche aus der Wohnung gehört. | |
| Als sie als Zeugin bei der Polizei eine Aussage macht, gibt sie an, Susann | |
| E. zu heißen. Ihre NachbarInnen seien fälschlicherweise davon ausgegangen, | |
| dass sie Lise D. heiße, erklärt Zschäpe. Dies sei aber nur ihr Spitzname. | |
| Und überhaupt seien die NachbarInnen gar nicht ihre NachbarInnen, denn | |
| eigentlich wohne sie gar nicht in der Wohnung, sie sei nur oft zu Gast. | |
| ## Einem Mann mit Migrationshintergrund hätten sie nicht geglaubt | |
| Dementsprechend könne sie auch nichts zur Tat sagen, denn sie sei zur | |
| Tatzeit gar nicht in der Wohnung gewesen. Während sie die Angaben macht, | |
| verhaspelt sie sich immer wieder und spricht von der Wohnung als „ihrer“ | |
| Wohnung. | |
| Der Polizist wird nicht stutzig. Ulrich Overdieck, der für die Fachstelle | |
| Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung den Prozess gegen | |
| Zschäpe beobachtet und aus dessen Analysen die erzählte Geschichte stammt, | |
| kommentiert: „Man stelle sich vor, statt auf Beate Zschäpe wäre ein | |
| polizeilicher Ermittler in einer vergleichbaren Situation auf einen jungen | |
| Mann gestoßen, von dem angenommen werden kann, dass er einen sogenannten | |
| Migrationshintergrund hat. | |
| Hätte diese Person sich gegenüber der Polizei auch in so großem Umfang in | |
| Widersprüche über seine Identität und seine Wohnverhältnisse verwickeln | |
| dürfen, ohne das Vertrauen in seine Ehrlichkeit zu verspielen?“ | |
| Ein weiteres Beispiel, das Overdieck erzählt: 2007 geht die Polizei dem | |
| Verdacht nach, die Mordserie an Personen türkischen und griechischen | |
| Migrationshintergrunds könne einen rechtsextremen Hintergrund haben. | |
| Aufgrund der Konzentration der Morde im Raum Nürnberg fordert die Polizei | |
| deshalb vom bayerischen Verfassungsschutz eine Liste aller in der Region | |
| lebenden Rechtsextremen an. | |
| Als die Polizei die Liste erhält, steht auf ihr auch Mandy S., eine frühe | |
| Unterstützerin des NSU, die den drei im Untergrund lebenden Nazis Wohnungen | |
| vermittelt hatte und zu der Zeit in Nürnberg lebt. Die Polizei entschließt | |
| sich jedoch, die weitere Überprüfung auf Männer zwischen 18 und 35 Jahren | |
| zu beschränken. Mandy S. entgeht der Aufmerksamkeit der Polizei, weil sie | |
| eine Frau ist; der NSU enttarnt sich vier Jahre später selbst. | |
| ## Die besorgte Mutter war eine rechtsextreme Frau | |
| Nazis werden tendenziell als Männer gedacht, szenezugehörige Frauen eher | |
| als deren Anhängsel. Dies ist eine Reproduktion der überwunden geglaubten | |
| Vorstellung von Frauen als per se unpolitischen Subjekten. | |
| Als bei der Bürgerversammlung in Berlin-Hellersdorf letzten Sommer, bei der | |
| es um das dortige Flüchtlingsheim ging, die beiden NPD-Kader Sebastian | |
| Schmidtke und Maria Fank ans Mikrofon traten, wurde Schmidtke erkannt und | |
| des Mikrofons verwiesen, während man seine Lebensgefährtin gewähren ließ, | |
| die über „unsere Kinder“ und deren vermeintliche Entbehrungen durch die | |
| Ankunft der „fremden Kinder“ schwafelte. | |
| In der Wahrnehmung des Moderators mag Maria Fank einfach eine zufällig auf | |
| der Bürgerversammlung aufgetauchte, besorgte Mutter gewesen sein. Dass die | |
| Äußerung dieser angeblichen Sorgen auf einer Bühne, durchzogen von | |
| rassistischen und nationalistischen Vorstellungen, kalkuliert war – das | |
| traut man einer Frau, gibt sie sich erst einmal als besorgte Mutter und | |
| spricht von „unseren“ Kindern, anscheinend nicht so einfach zu. | |
| Ein unverstellter Blick auf rechte Frauen rüttelt im Zweifelsfall | |
| vielleicht an Grundannahmen über das „Wesen“ von Frauen und Männern und | |
| somit an den kulturellen und sozialen Grundfesten unserer Gesellschaft. | |
| Die Existenz rechtsextremer Frauen überführt generalisierte Vorannahmen | |
| über Frauen als friedliebend, harmlos oder einfühlsam der Irrationalität | |
| und stellt die als natürlich wahrgenommene Unterschiedlichkeit von Männern | |
| und Frauen infrage. | |
| ## Sicherlich hat sie sich nur verliebt | |
| Der voreingenommene Blick auf Frauen durchzieht alle gesellschaftlichen | |
| Bereiche. Als im Sommer 2012 aufflog, dass die Ruderin Nadja Drygalla mit | |
| einem Rechtsextremen zusammen ist, waren sich viele JournalistInnen sicher, | |
| Drygalla selbst könne keine Rechtsextremistin sein, sicherlich habe sie | |
| sich nur verliebt. | |
| „Der Preis der Liebe“, titelte der Stern. Drygalla wurde durch ihre | |
| Beziehung zu ihrem Freund geradezu zur Heldin – schließlich verkörperte sie | |
| weibliche Grundtugenden: naive Liebe zum Mann und die Treue zu ihm. Eine | |
| Initiative in Mecklenburg-Vorpommern wollte ihr auch gleich den Titel | |
| „Sportlerin des Jahres“ verpassen. | |
| Längst gehört es zur Strategie der NPD, die gesellschaftliche Wahrnehmung | |
| von Frauen als eher sozial, friedfertig und politisch unstrategisch für | |
| sich zu nutzen. Es gibt rechtsextreme Erzieherinnen, NPD-Mitglieder in | |
| Elternbeiräten, NPD-Kinderfeste, wo Frauen Kuchen und Kaffee verteilen. | |
| Frauen sind Sympathieträgerinnen, ihnen wird anscheinend eine Art | |
| generalisiertes Vertrauen entgegengebracht. | |
| Frauen sind für die NPD aus zwei Gründen von Interesse. Zum einen, weil sie | |
| der vermeintlichen sozialen Ausrichtung der Partei Glaubwürdigkeit | |
| verleihen – soziale Belange gelten als Frauenthemen. | |
| Die lokale Verankerung, die die Partei anstrebt, erreicht sie zum anderen | |
| auch über Frauen, die im vorpolitischen Raum aktiv sind und Kontakte | |
| knüpfen. An den letzten Wahlen konnte man beobachten, dass die NPD vor | |
| allem dann erfolgreich ist, wenn die Wählerinnen und Wähler die | |
| KandidatInnen vor Ort kennen. | |
| ## Gerade im ländlichen Raum greift die Strategie der Nazis | |
| „Privat ist die sehr nett“, erklärt eine Mutter, an deren Schule eine | |
| rechtsextreme Frau Elternsprecherin ist. Gerade im ländlichen Raum, wo die | |
| soziale Nähe unter den Menschen groß ist und die Wahrnehmungsfähigkeit von | |
| menschenfeindlichen Ideologien schwach ausgeprägt, greift die Strategie der | |
| Nazis. | |
| Dass das soziale Engagement von rechten Frauen kalkuliert ist, um die | |
| Abgrenzung der Gesellschaft gegen rechtsextreme Positionen und Personen | |
| aufzuweichen, ist weitgehend unbekannt. Im ländlichen Raum erfordert die | |
| Abgrenzung von Rechtsextremen oft eine höhere Konfliktfähigkeit als in | |
| urbanen Räumen. | |
| Und trotzdem – wie ein Jugendsozialarbeiter im Gespräch anmerkte: Auch hier | |
| auf dem Land muss man nicht mit allen NachbarInnen befreundet sein. Das | |
| Unterschätzen rechtsextremer Frauen macht deutlich, dass die Unterwanderung | |
| des öffentlichen Lebens durch Rechtsextreme dann gelingt, wenn ihre | |
| Ideologien an Vorstellungen der Mehrheitskultur anknüpfen können und | |
| deshalb übersehen werden. | |
| Solange nicht auch Gender zur politischen Querschnittsaufgabe wird, bleibt | |
| es schwer, Unterwanderungsstrategien von Nazis zu erkennen und zu | |
| unterbinden. Zudem gäbe es eine ganze Reihe praktischer Maßnahmen, die es | |
| weiblichen Nazis erschweren würden, in öffentliche Räume vorzudringen und | |
| Gewalt auszuüben; sie reichen von Schulungen für die Polizei oder einer | |
| nach Geschlecht differenzierten Statistik rechter Gewalt bis zu | |
| unterstützenden Maßnahmen für Kindertagesstätten und soziale Einrichtungen, | |
| die in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen bisher weitgehend allein | |
| gelassen werden. | |
| Auch innerhalb der demokratischen Zivilgesellschaft muss sich noch einiges | |
| bewegen, dass sie das Engagement von Mädchen und Frauen zulässt und | |
| fördert. Erst wenn gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe von weiblich | |
| sozialisierten Personen als solche selbstverständlich ist, werden | |
| rechtsextreme Identitätsangebote für Mädchen und Frauen wirklich | |
| uninteressant. | |
| 17 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Stella Hindemith | |
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