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# taz.de -- Rechtsextreme Frauen im NSU-Prozess: Rassistinnen auf Schmusekurs
> Nazi-Frauen nutzen Geschlechterstereotype: Sie geben sich unpolitisch und
> ahnungslos, sind aber in der Szene sehr aktiv.
Bild: Rechtsextreme Frauen ganz vorne mit dabei: Eine Nazi-Demo in Berlin (Arch…
Eine „eigene Meinung“ habe Beate schon vertreten, erinnerte sich Brigitte
Böhnhardt. „Rechts“ aber habe sie sich nicht gekleidet. Immer höflich sei
sie gewesen, „kuschelig“ mit ihrem Sohn, dem damals etwa 20-jährigen
NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. „Wie man sich eine junge Frau vorstellt.“
Ihre Erinnerung schilderte Brigitte Böhnhardt im November 2013, im Saal
A101 des Oberlandesgerichts München. Neben ihr saß Beate Zschäpe, jetzt
angeklagt als Mittäterin für die zehn Morde des NSU, die zwei Anschläge und
fünfzehn Überfälle. Brigitte Böhnhardts Bild aber konnte das offenbar nicht
trüben. Ihr Sohn hatte damals ja einige „Probleme“, sagte sie aus. Beate
sei da eine Hoffnung gewesen: Eine Freundin könne ja viel bewirken bei
Jungen in dem Alter.
Es war die ganz falsche Hoffnung. Fast vierzehn Jahre lebte Uwe Böhnhardt
mit Zschäpe und Uwe Mundlos im Untergrund, mordete und raubte. So ließ es
auch Zschäpe in ihrer erstmaligen Erklärung am Mittwoch im Münchner
NSU-Prozess ihren Anwalt schildern. Am Ende erschossen sich Böhnhardt und
Mundlos nach einem gescheiterten Bankraub.
Und Zschäpe? Vermochte es nicht, die Taten zu verhindern. Weil sie es nicht
konnte, wie sie behauptet, und davon immer erst im Nachhinein erfuhr. Allzu
sehr bemühte die 40-Jährige am Mittwoch das Bild des harmlosen Heimchens.
„Entsetzt“ sei sie über die Morde und deren Motiv gewesen. Ein Ausstieg sei
ihr nicht gelungen, da sie Böhnhardt liebte und dieser mit Selbstmord
drohte. Am Ende habe sie ihren Kummer in Sekt ertränkt, gar die Katzen
vernachlässigt, „was für mich völlig untypisch war“.
## Längst in der Führungsetage
Die Erklärung zeichnet fast mustergültig das Bild nach, das lange Zeit
Frauen im Rechtsextremismus zugeschrieben wurde: abhängig von ihren
Neonazimännern, politisch im Grunde nicht interessiert, friedfertig und
fürsorglich. Nur passt Zschäpes politische Vita nicht dazu. Über Jahre
besuchte sie Szeneaufmärsche und Kameradschaftsabende, verteilte
Flugblätter, „Lieber sterben, als auf Knien leben“. In ihrer Wohnung hingen
Waffen an der Wand, eine Pistole nannte sie „Wally“. Einmal verprügelte sie
eine Punkerin, dann verschickte sie Drohbriefe mit Schwarzpulver. Bekannte
schilderten sie als jemand, der sich nie „unterordnet“. Auch im Untergrund
soll sie gefälschte Papiere organisiert haben, fuhr einen Waffenlieferanten
in die Versteckwohnung des NSU. Unpolitisch? Fremdgesteuert?
Und auch für die rechte Szene insgesamt passt es nicht. Frauen übernehmen
hier längst Führungsrollen. Sie organisieren Demonstrationen, gründen
Frauenkameradschaften, beteiligen sich an Übergriffen. In der NPD halten
sie seit 2006 einen eigenen Verband, den Ring Nationaler Frauen. Und auch
der Schritt zur Gewalt wird von einigen gegangen. Bereits in den Achtzigern
verübte eine Frau aus der rechtsterroristischen Deutschen Aktionsgruppe
einen Brandanschlag, zwei Vietnamesen starben. Auch die „Wehrsportgruppe
Hoffmann“ wurde von einer Frau mitangeführt.
Dennoch tauchen Frauen im Rechtsextremismus bis heute in der öffentlichen
Wahrnehmung nicht auf, werden unterschätzt – selbst im NSU-Komplex, dem
eine Frau derzeit ein Gesicht gibt. Dabei gab es auch einige zentrale
Helferinnen des NSU. Susann E. etwa, Frau des mitangeklagten André E. und
engste Vertraute Zschäpes bis zum Schluss. Sie überließ der Angeklagten
Bahncards und ihren Ausweis, noch auf der Flucht soll sie Zschäpe
Wechselwäsche organisiert haben. Auf einer Festplatte des Trios fanden sich
Fotos von Susann E. und ihrem Mann André E. – in einem Ordner mit Versionen
des NSU-Bekennervideos.
Oder Mandy S., Friseurin aus dem Erzgebirge, früher aktiv in einem
rechtsextremen Gefangenenhilfswerk. Dem Trio organisierte sie eine Wohnung,
auch sie überließ Zschäpe einen Ausweis. Oder Antje B., Erzieherin aus Aue,
einstige „Blood&Honour“-Aktivistin, die auch nach dem Abtauchen Kontakt zum
Trio hielt. Im NSU-Prozess aber gaben sich auch diese Frauen unpolitisch
und ahnungslos, Susann E. verweigerte die Aussage.
## Weibliche Rolle als Tarnung
Die Unterschätzung der Rechtsextremistin, sie ist es auch, die nun das
allgemeine Erstaunen über die Resolutheit Zschäpes verursacht. Das kalte
Abservieren ihrer ursprünglichen Anwälte, das lange, ungerührte Schweigen –
wie passt das zu der adretten Hosenanzugträgerin?
Das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus forderte bereits Ende
2011 in einem offenen Brief, nach der einsetzenden Berichterstattung über
den NSU und Zschäpe, „rechtsextreme Frauen als das zu sehen und
darzustellen, was sie sind: mutmaßlich rassistische, menschenverachtende
Täterinnen“.
Wie wenig diese Perspektive selbst bei Sicherheitsbehörden verankert ist,
zeigte eine Rasterfahndung 2007 im Raum Nürnberg, nach den dortigen
NSU-Morden. Dort wohnte zu der Zeit auch Mandy S., der Verfassungsschutz
gab ihren Namen an die Polizei weiter. Die aber begrenzte das Raster nur
auf Männer – die NSU-Helferin blieb unentdeckt.
Im Münchner NSU-Prozess gewährten die Ankläger der Bundesanwaltschaft
dagegen keine Nachsicht: Für sie ist Zschäpe ebenbürtige Mittäterin der
rechtsterroristischen Verbrechen. Gerade ihre weibliche Rolle sei
essenziell für die Tarnung gewesen, für den Eindruck einer harmlosen
Wohngemeinschaft. Zschäpe dagegen versucht nun, noch einmal das Bild der
unschuldigen Mitläuferin zu bemühen. Es ist nun am Gericht, zu entscheiden,
welcher Sicht es folgt.
12 Dec 2015
## AUTOREN
Konrad Litschko
Andreas Speit
## TAGS
NSU-Prozess
Schwerpunkt Rechter Terror
Beate Zschäpe
Sexismus
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Schwerpunkt Rechter Terror
Carsten S.
Schwerpunkt Rechter Terror
Beate Zschäpe
NPD
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Neonazis
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