# taz.de -- Flüchtlinge auf dem Oranienplatz: Tausche Camp gegen Asyl | |
> Die meisten Flüchtlinge vom Berliner Oranienplatz einigen sich mit dem | |
> Senat auf eine Auflösung des Camps. Eine kleinere Gruppe lehnt den | |
> Kompromiss jedoch ab. | |
Bild: Nach dem Abzug der Flüchtlinge sollen diese andere Unterkünfte erhalten. | |
BERLIN taz | Anderthalb Jahre lebten die Flüchtlinge, in Zelten und | |
Holzverschlägen, in ihrem Protestcamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz, | |
mitten in Berlin. Seit Wochen verhandelte der dortige Senat mit den | |
Bewohnern um eine freiwillige Räumung des Platzes. Am Dienstag nun der | |
vermeintliche Durchbruch: Flüchtlingsvertreter und Integrationssenatorin | |
Dilek Kolat (SPD) unterschrieben ein Einigungspapier. Parallel billigte der | |
rot-schwarze Senat den Lösungsversuch in einer Sitzung. | |
Der Kompromiss sieht vor, dass die Flüchtlinge, deren Zahl Kolat mit 467 | |
angab, den Platz und eine benachbarte, ebenfalls besetzte Schule räumen. Im | |
Gegenzug gibt es eine umfassende Einzelfallprüfung. Die soll erst nach | |
kompletter Räumung beginnen. Eine Frist dafür legt das Papier nicht fest. | |
Doch eine Gruppe von mindestens 27 Flüchtlingen lehnt den Kompromiss laut | |
Kolat ab. | |
Nach dem Abzug der Flüchtlinge sollen diese andere Unterkünfte erhalten. | |
Für die Zeit ihrer Antragsprüfung will ihnen der Senat ein Bleiberecht | |
garantieren. Nach Darstellung der Integrationssenatorin Kolat tragen 80 | |
Prozent der Flüchtlinge den Kompromiss mit. Die Landesregierung setzt | |
darauf, dass diese Gruppe den Rest von dem Abzug überzeugen. | |
In diesem Zusammenhang kritisierten Kolat und der Regierende Bürgermeister | |
Klaus Wowereit (SPD) das Verhalten von Unterstützern der Flüchtlinge. Mit | |
diesen hatte Kolat nämlich nicht verhandeln wollen, als sie sich Mitte | |
Januar zu ersten Gesprächen zusammensetzte. „Wir wissen, dass es Kräfte | |
gibt, die diese Vereinbarung nicht haben wollen“, sagte Wowereit. Kolat | |
ergänzte, es gebe ein Umfeld, das Interesse an Konflikten habe. Konkreter | |
mochten beide trotz Nachfragen nicht werden. | |
Die CDU, die die Besetzung des auf dem Oranienplatz seit Monaten als | |
untragbar und rechtswidrig bezeichnet, sich aber mit einer Räumung durch | |
die Polizei im Senat nicht durchsetzen konnte, sah „einen deutlichen | |
Schritt voran“. Das Flüchtlingslager auf dem Oranienplatz war entstanden, | |
als im Oktober 2012 rund 100 Asylbewerber im Zuge einer Protestkarawane aus | |
Bayern nach Berlin gezogen waren. Sie demonstrierten damit gegen die | |
deutsche Asylpolitik, insbesondere gegen Residenzpflicht, Sammellager und | |
Arbeitsverbote. Ausgangspunkt war der Selbstmord eines iranischen | |
Flüchtlings im März 2012 in Würzburg. | |
## Bundesweite Protestwelle | |
Damit war eine bundesweite Welle an Flüchtlingsprotest ausgelöst: Auch in | |
München demonstrierten Asylsuchende, traten später in den Hungerstreik. In | |
Hamburg forderten Flüchtlinge aus dem italienischen Lampedusa mehr Rechte, | |
die St. Pauli-Kirche gewährte ihnen Obdach. In Berlin traten Asylsuchende | |
vor dem Brandenburger Tor in einen Hungerstreik. | |
Das Protestcamp auf dem Oranienplatz wurde vom grün geführten Kreuzberger | |
Bezirksamt geduldet. Die Forderungen der Flüchtlinge seien richtig, | |
bekundete der damalige Grünen-Bürgermeister Franz Schulz. Als die Zahl der | |
Campierenden immer weiter wuchs, besetzten etwa 100 von ihnen im November | |
2012 eine nahe leer stehende Schule. Auch dies gestand ihnen der Bezirk | |
vorerst zu. Bis Ende März 2013 könnten sie bleiben, dann aber sollte das | |
Gebäude als „Projektehaus“ für lokale Initiativen zur Verfügung stehen. | |
Aber es blieb beim Appell: Die Flüchtlinge verharrten im Haus. | |
Sowohl in der Schule als auch im Camp-Umfeld kam es allerdings immer wieder | |
zu Auseinandersetzungen: Unter den Flüchtlingen war die Stimmung aufgrund | |
der ungewissen Lage angespannt, nicht alle waren der improvisierten und | |
beengten Lebenslage gewachsen. Auch in der Nachbarschaft wuchs der Ärger, | |
beklagt wurden Müll und Gewalt. Und schließlich wurde immer wieder ein | |
Zusammenhang zwischen den Flüchtlingen und dem nahen Drogenumschlagplatz am | |
Görlitzer Park gezogen. | |
## Wowereit stoppte ungeduldigen Innensenator | |
Im Juni 2013 wurde ein Flüchtling durch einen Messerstich von einem | |
Anwohner verletzt. In der Schule attackierten sich die Bewohner zunehmend | |
gegenseitig, zuletzt erst am Montag. Die CDU nahm die Vorkommnisse zum | |
Anlass, um die Räumung von Camp und Schule zu fordern. Ein CDU-Abgeordneter | |
sammelte dafür Unterschriften in der Nachbarschaft. | |
Ende November 2013 vermittelte der Senat für die Flüchtlinge schließlich | |
ein Heim der Caritas. Allerdings zogen nur rund 100 Flüchtlinge um, der | |
Rest wollte den Platz nicht verlassen. Innensenator Frank Henkel (CDU) | |
verlor schließlich die Geduld – er verkündete ein Ultimatum: Bis Mitte | |
Januar müsse das Camp abgebaut werden, sonst würden die Bewohner geräumt. | |
So weit ist es nicht gekommen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit | |
ließ seinen Innensenator auflaufen und stoppte den Plan. Er schickte | |
Integrationssenatorin Dilek Kolat nochmals auf den Platz, um mit den | |
Bewohnern zu verhandeln. Einen Erfolg traute Kolat kaum jemand zu. Der | |
Dienstag hat gezeigt: Es sollte anders kommen. | |
18 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
Stefan Alberti | |
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