| # taz.de -- Spionage in Deutschland: Die Spuren der Überwacher | |
| > Warum ermittelt Generalbundesanwalt Range nicht wegen Ausspähung der | |
| > deutschen Bevölkerung? Ein Blick auf die Indizien. | |
| Bild: Die stillgelegte Abhöranlage der NSA auf dem Berliner Teufelsberg. | |
| Staatschefs werden seit Generationen ausspioniert. Das Neue und Skandalöse | |
| an den NSA-Machenschaften ist jedoch, dass auch ganze Bevölkerungen zum | |
| Objekt geheimdienstlicher Ausforschung geworden sind. Dennoch hat | |
| Generalbundesanwalt Harald Range diese Woche nur wegen der Überwachung des | |
| Handys von Kanzlerin Merkel Ermittlungen eingeleitet. | |
| Die Beschränkung auf Merkels Telefon wurde weithin kritisiert. „Es kann | |
| nicht sein, dass die Privatsphäre von 80 Millionen Bürgerinnen weniger wert | |
| ist als die der Kanzlerin. Das ist Zwei-Klassen-Justiz“, brachte es | |
| Linken-Chefin Katja Kipping auf den Punkt. | |
| Worin besteht aber die „Massenüberwachung der deutschen Bevölkerung“? Die | |
| Formulierung wird mittlerweile so selbstverständlich benutzt, dass sich | |
| kaum noch jemand an die Details erinnert. | |
| Im vorigen Sommer tauchte eine Zahl auf, die zunächst alle elektrisierte. | |
| Rund 500 Millionen Kommunikationsvorgänge „aus Deutschland“ erfasse die NSA | |
| jeden Monat, meldete der Spiegel unter Verweis auf Edward Snowden. Erst | |
| nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass die Zahl sich gar nicht auf | |
| Telefonate und E-Mails in Deutschland bezieht. Vielmehr auf die Daten, die | |
| der Bundesnachrichtendienst (BND) im Ausland sammelt und der NSA zur | |
| Verfügung stellt. So erfasst der BND in Afghanistan Daten über den dortigen | |
| Telekom-Verkehr. Zum anderen überwacht der Geheimdienst mit seiner | |
| Abhöranlage im bayerischen Bad Aibling Kommunikation in Nordafrika und im | |
| Nahen Osten. | |
| Mit Aufklärung dieses Missverständnisses war aber nur die griffige Zahl aus | |
| der Welt. Wie stark die NSA die Bevölkerung in Deutschland tatsächlich | |
| überwacht, ist seither offen. Vielleicht geht es um noch mehr Daten, | |
| vielleicht um weniger. | |
| ## Deutsche Netzknoten: Zugriff unwahrscheinlich | |
| Ungeklärt ist auch, wie die NSA Zugriff auf deutsche Daten nimmt. Der | |
| spektakulärste Weg wäre, wenn die NSA auf deutschem Boden Internetknoten | |
| wie den de-cix in Frankfurt anzapfte. Die deutschen Betreiber von de-cix | |
| wiesen aber jede Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten von sich. | |
| Überprüfungen des Bundesamts für Verfassungsschutz haben ebenfalls nichts | |
| ergeben. Auch Snowden hatte laut Spiegel nur gesagt, die NSA „interessiere“ | |
| sich für Internetknoten in Süd- und Westdeutschland. | |
| Der Journalist Glenn Greenwald, dem NSA-Whistleblower Edward Snowden seine | |
| Dokumente anvertraute, enthüllte jüngst im Buch „Die globale Überwachung�… | |
| dass die NSA weltweit Komponenten der Internet-Infrastruktur wie Router | |
| manipuliert. Produkte von US-Firmen werden auf dem Weg zum Kunden | |
| abgefangen und so umgebaut, dass hinterher ausgewählte Kommunikationsströme | |
| dupliziert und an die NSA geleitet werden. Ob auch die deutsche | |
| Netzinfrastruktur von solchen Manipulationen betroffen ist, ist bislang | |
| unbekannt. | |
| Zugriff könnte die NSA auch über ihre Liegenschaften in Deutschland nehmen. | |
| Die mutmaßliche Abhöranlage in der Berliner US-Botschaft zielt allerdings | |
| nur auf den Mobilfunkverkehr im Regierungsviertel. Eine Massenüberwachung | |
| der deutschen Bevölkerung ist damit nicht möglich. Andere NSA-Standorte wie | |
| der Dagger-Komplex in Darmstadt und das neue NSA-Quartier in Wiesbaden sind | |
| nach Einschätzung des Verfassungsschutz, keine Abhör- sondern | |
| Analyse-Einrichtungen. | |
| ## NSA mit direktem Zugang | |
| Relevant ist sicher der Zugriff auf interkontinentale Datenleitungen. Die | |
| NSA hat sich zum Beispiel mit einem speziellen U-Boot ausgerüstet, um | |
| Unterseekabel anzapfen zu können. Nachrichten und Gespräche von und nach | |
| Deutschland laufen oft im transatlantischen Telefonkabel TAT 14 über | |
| Großbritannien. Vor der englischen Küste beim Örtchen Bude greift der | |
| englische Geheimdienst GCHQ zu, der wiederum eng mit der amerikanischen NSA | |
| zusammenarbeitet und Daten dorthin weitergibt. Im Rahmen des englischen | |
| Programms Tempora werden wohl auch deutsche Kommunikations-Inhalte drei | |
| Tage lang gespeichert und ausgewertet, Verbindungsdaten sogar 30 Tage. | |
| Betroffen sind auch deutsche Kunden von US-Internetunternehmen wie | |
| Facebook, Google und Amazon. Die Daten dieser Unternehmen lagern | |
| überwiegend in Rechenzentren in den USA, auf die die NSA Zugriff hat. | |
| Während die Unternehmen versichern, sie gäben nur auf richterliche | |
| Anordnung Daten frei, brüstet sich die NSA in internen Dokumenten, die | |
| Snowden weitergab, sie habe „direkten Zugang“ zu den Datenspeichern. Eine | |
| Lösung für den bislang noch nicht geklärten Widerspruch könnte sein, dass | |
| die NSA die Verbindung der jeweiligen Konzern-Datenzentren anzapft. Für die | |
| globalen Datenzentren von Google und Yahoo hat dies die Washington Post | |
| bereits nachgewiesen. | |
| Unmittelbare Spionagehandlungen der NSA auf deutschem Boden sind also eher | |
| unwahrscheinlich. Außerhalb Deutschlands – via Seekabel und | |
| US-Rechenzentren – werden NSA und GCHQ aber wohl ziemlich sicher auf | |
| deutsche Daten zugreifen. | |
| Strafrechtlich wäre ein NSA-Angriff auf einen Internetknotenpunkt in | |
| Frankfurt auf jeden Fall eine geheimdienstliche Agententätigkeit. Laut | |
| Strafgesetzbuch drohen hierfür bis zu fünf Jahre Haft oder Geldstrafe | |
| (Paragraf 99). Was aber gilt, wenn der Tatort in England oder den USA | |
| liegt? „Da stellen sich ganz neue Fragen“, sagte Generalbundesanwalt Harald | |
| Range am Mittwoch, als er sein weiteres Vorgehen erläuterte. Ein | |
| Armutszeugnis. Nach einem Jahr Vorermittlungen ist in Karlsruhe noch nicht | |
| einmal der strafrechtliche Maßstab klar. | |
| ## Zugriff leicht möglich: im Ausland | |
| Viel spricht dafür, dass ein Ausspähen der deutschen Bevölkerung auch | |
| strafbar ist, wenn die Daten im Ausland lagern oder fließen. Schließlich | |
| wird auch verfolgt, wenn ein deutscher Offizier im Ausland in eine Falle | |
| gelockt wird, um Raketenpläne im Gepäck zu kopieren. | |
| Schwieriger ist schon die Frage, was eigentlich eine „geheimdienstliche | |
| Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland“ ist. Die Rechtsprechung ist | |
| da bisher recht großzügig. Es geht nicht nur um Staatsgeheimnisse und Daten | |
| von Politikern. Auch wenn in Deutschland lebende Exilanten vom Geheimdienst | |
| ihres Heimatlandes ausgeforscht werden, verstößt dies gegen deutsche | |
| Interessen und ist daher strafbar. Eine flächendeckende Ausforschung der | |
| Daten der gesamten deutschen Bevölkerung sollte daher erst recht verboten | |
| sein. | |
| Es ist also naheliegend, dass gegen Mitarbeiter von NSA und GCHQ ein | |
| Anfangsverdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit besteht, weil sie | |
| systematisch und heimlich deutsche Kommunikation scannen und auswerten. | |
| Dass der Generalbundesanwalt hier bisher zögert, hat nicht nur mit | |
| außenpolitischer Rücksichtnahme zu tun. Die spräche auch gegen Ermittlungen | |
| wegen Merkels Handy. | |
| Größer ist wohl die Sorge, dass Deutschland sich mit solcher | |
| Strafverfolgung international lächerlich machen würde. Schließlich ist der | |
| Bundesnachrichtendienst letztlich auch nicht viel besser als NSA und GCHQ. | |
| So scannt der BND bei der strategischen Fernmeldekontrolle milliardenfach | |
| die Daten von Ausländern, die mit Menschen in Deutschland per Telefon oder | |
| E-Mail kommunizieren. Auch reinen Auslandsverkehr überwacht der BND in | |
| vielen Regionen der Welt. Erst am Freitag genehmigten CDU und SPD dem | |
| Dienst Gelder für die Echtzeitüberwachung von sozialen Netzwerken im | |
| Ausland. | |
| Die Zurückhaltung des Generalbundesanwalts hat wohl mehr die Interessen des | |
| BND im Blick als die Rücksicht auf die NSA. | |
| 8 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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