# taz.de -- Umgang mit rechtem Terror: Fehler im System | |
> Vor drei Jahren flog der NSU auf. Die Sicherheitsbehörden versagten, weil | |
> ihre Extremismustheorie nicht zwischen rechts und links unterscheidet. | |
Bild: Die drei von der Anklagebank: Beate Zschäpe und ihre Anwälte. | |
Freitag: 11 Uhr 30, Am Schafrein in Eisenach. Zwei oder drei „knallartige | |
Geräusche“ sind aus einem weißen Campingbus zu hören. Zwei Polizeibeamte | |
suchen Deckung. Sekunden danach hat der Bus Feuer gefangen, fliegt das | |
Fahrzeugdach in die Luft. Knapp eine Stunde später öffnet | |
Polizeikriminaldirektor Michael Menzel die Tür des ausgebrannten Fahrzeugs. | |
Sofort, so Menzel, habe er gewusst, dass die beiden Männer, die die | |
Sparkasse am Nordplatz überfallen hatten, „offensichtlich tot“ waren. | |
Auf einem Tisch sah er eine Waffe, „wie sie auch die Polizei“ verwendet – | |
da habe er geahnt, dass er „es nicht mehr mit normalen Bankräubern zu tun“ | |
hatte. Kurz nach 15 Uhr am selben Tag setzt Beate Zschäpe die Wohnung in | |
der Frühlingsstraße 26 in Zwickau in Brand, die sie mit Uwe Mundlos und Uwe | |
Böhnhardt bewohnt hatte. Vier Tage später stellt sie sich der Polizei in | |
Jena. | |
Vor genau drei Jahren, am 4. November 2011, flog das Trio des | |
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf. Zwei Bankräuber wollte die | |
Polizei damals stellen, fand jedoch zwei Rechtsterroristen. Es waren keine | |
Ermittlungen der Polizei, keine Einschätzungen der Geheimdienste, die an | |
dem Tag zu dem Ende des 13-jährigen Untergrundlebens von Mundlos, Böhnhardt | |
und Zschäpe geführt hatten. | |
Nicht ein Hinweis von V-Leuten aus der rechtsextremen Szene, sondern der | |
Zufall hatte zu jenen geführt, die zehn Menschen getötet und mindestens | |
zwei Bombenanschläge und vierzehn Banküberfälle verübt haben sollen. Eine | |
Niederlage für die Sicherheitsbehörden, sagte damals der heute scheidende | |
Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Zierke, den der NSU-Fall noch | |
immer „schmerzt“. | |
## Falsche Extremismustheorie | |
In der Statik der deutschen Sicherheitsbehörden sind längst neue Strukturen | |
etabliert und anvisiert, die ein solches Versagen bei den Ermittlungen zu | |
rechtsextremem Terror und Gewalt verhindern sollen. Im Bundesamt für | |
Verfassungsschutz (BfV) und dem BKA etwa wird bis heute darüber diskutiert, | |
wie Pannen bei der Kommunikation und den Ermittlungen verhindert werden | |
können.Es gibt ein Gemeinsames Abwehrzentrum Rechts (GAR), und die | |
Rechtsextremismusdatei RED wurde aufgebaut, um die Informationen der | |
Behörden schnell abrufbar zu haben. | |
Eine zentrale V-Leute-Datei, deren Einführung im Mai 2013 auf der | |
Innenministerkonferenz vereinbart wurde, gibt es aber immer noch nicht – | |
auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag räumt das | |
Bundesinnenministerium am 7. August 2014 ein: „Die Ausgestaltung der | |
einzelnen Dateninhalte, sowie Dateneinordnung befindet sich noch in der | |
Abstimmung mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz.“ | |
Ist der NSU aber nur deshab nicht entdeckt worden, weil es an der | |
Kommunikation der Sicherheitsbehörden untereinander haperte, es an | |
Vernetzung fehlte und Ermittlungsfehler nicht entdeckt worden sind? Nein, | |
nicht alleine, sagt Fabian Virchow, Leiter der Forschungsstelle | |
Rechtsextremismus/Neonazismus an der FH-Düsseldorf. Vielleicht seien die | |
„Kommunikationsprobleme“ nur vorgeschoben, um über anderes nicht reden zu | |
müssen. | |
Vor allem eine grundlegend falsche Analyse dürfte das Versagen der | |
Sicherheitsbehörden mit verursacht haben. Die Extremismustheorie nämlich, | |
mit der die Behörden arbeiten. Sie stammt von den Theoretikern Uwe Backes | |
und Eckhard Jesse und wird nicht hinterfragt. | |
## Das Hufeisenmodell taugt nicht | |
In dem seit 1989 herausgegebenen Jahrbuch Extremismus & Demokratie bildet | |
jener Extremismusbegriff von Backes und Jesse als „Sammelbezeichnung für | |
unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen“ die Basis, „die | |
sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner | |
fundamentalen Werte einig wissen“. In der Theorie werden also alle | |
Extremismen vereint und miteinander verglichen. Dies wird besonders | |
deutlich in dem sogenannten Hufeisenmodell, wo links und rechts die | |
jeweiligen Enden bilden, welche sich auch grafisch einander annähern. | |
Die nachhaltige Folge der Theorie, so legt es der Leiter des Duisburger | |
Instituts für Sprach- und Sozialforschung, Siegfried Jäger, dar, sei eine | |
Ausblendung rechter Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft. Eine | |
weitere gravierende Folge: die Unterschiede zwischen den Extremismen können | |
verloren gehen. | |
Über Jahrzehnte hinweg versicherten die Sicherheitsbehörden zudem, dass es | |
in Deutschland keinen rechtsextremen Terrorismus gebe. Die Studie | |
„Rechtsextremismus Nr. 21: Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher | |
Rechtsextremisten – Entwicklungen von 1997 bis Mitte 2004“ des BfV spiegelt | |
diese Fehleinschätzung und ihre Folgen wider. Auf den letzten Seiten des | |
Dokuments heißt es: „Derzeit sind in Deutschland keine | |
rechtsterroristischen Organisationen und Strukturen erkennbar.“ | |
Zudem resümiert das Amt mit Blick auf Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe: | |
„Ungeachtet der Tatsache, dass es den ’Bombenbastlern aus Jena‘ jahrelang | |
gelungen war, sich ihrer Verhaftung zu entziehen, gibt es keine | |
wirkungsvolle Unterstützerszene, um einen nachhaltigen Kampf aus dem | |
Untergrund heraus führen zu können.“ Beim Erscheinen der Studie hatte der | |
NSU bereits Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleymann Tasköprü, Habil | |
Kilic und Mehmet Turgut erschossen und in Nürnberg und Köln Bombenanschläge | |
verübt, bei denen es Schwerverletzte gab. | |
## Auf die Justiz abgefärbt | |
Eine weitere analytische Schwäche der Studie ist ihre Bezugnahme auf den | |
Linksterrorismus. Denn aus dem Fehlen von Bekennerschreiben wird die | |
Inexistenz einer rechtsterroristischen Organisation gefolgert. Kurz: | |
Rechtsterrorismus ist gleich Linksterrorismus – dass beide Szenen | |
unterschiedliche Opfergruppen und Strategien haben, wird komplett | |
ausgeblendet. | |
Eine „Braune Armee Fraktion“ muss wie die „RAF“ gestrickt sein. Doch da… | |
Rechtsextreme selten Bekennerschreiben verfassen, muss den | |
Extremismusexperten entgangen sein, bemängelt etwa Fabian Virchow. Backes | |
hält noch immer daran fest, dass die Erkenntnisse der NSU-Untersuchungen | |
kein Beweis für ein systematisches Versagen der Sicherheitsbehörden sind. | |
Anders als die NSU-Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD). Sie fällte in | |
Thüringen ein gegenteiliges Urteil. Bei der Vorstellung des | |
Abschlussberichts im August 2014 sagte Marx, die Fahndung sei „ein einziges | |
Versagen“ und es dürfe nicht mehr nur von „unglücklichen Umständen“, | |
„Pannen“ oder „Fehlern“ gesprochen werden. | |
Die grundsätzliche Annahme, ein solches terroristisches Netzwerk existiere | |
nicht, färbt auch auf die Arbeit der Justiz ab. In dem seit dem 6. Mai 2013 | |
in München laufenden Verfahren gegen die einzige Überlebende des Trios und | |
vier weitere Unterstützer geraten Nebenkläger der Opferangehörigen häufig | |
mit der Generalbundesanwaltschaft aneinander. | |
## Behörden bleiben ignorant | |
Insbesondere bei Nachfragen zu dem Netzwerk Blood & Honour, das den dreien | |
nach dem Abtauchen im Jahr 1998 die ersten Wohnungen, Papiere, Geld und | |
Waffen besorgte. „Alle Aufklärungsversuche behindert die | |
Generalbundesanwaltschaft“, sagt Rechtsanwalt Sebastian Scharmer. Die | |
Hoffnung der Angehörigen zu erfahren, ob mögliche Helfer vor Ort dem Trio | |
zuarbeiteten und wie die Opfer ausgesucht worden sind, werde somit | |
weiterhin enttäuscht. | |
„Das wirklichkeitsfremde und ideologisch motivierte Korsett des | |
Extremismus-Dogmas verstellt offenbar weiterhin den Blick auf die Herkunft, | |
Ausprägung und Zielstellung rechtsterroristischer Tendenzen und | |
Organisationen,“ sagt Martina Renner, die für die Linke im | |
Bundestagsinnenausschuss sitzt und Obfrau im Thüringer | |
NSU-Untersuchungsausschuss war. Da helfe dann auch kein Referat mit dem | |
Titel „Rechtsterrorismus“ im BfV. | |
Eine Kleine Anfrage der Linkspartei offenbarte am 17. September dieses | |
Jahres, dass das BfV in der Öffentlichkeit zwar vermied, von | |
„Rechtsterrorismus“ zu sprechen, gar andere Einschätzungen formulierte, | |
aber schon 1981 erstmals ein Referat zur „Beobachtung des | |
rechtsextremistischen Terrorismus“ eingerichtet hatte. Der Anlass: das | |
Oktoberfest-Attentat am 26. September 1980 in München. | |
Dreizehn Menschen starben durch eine Bombe, die Gundolf Köhler platziert | |
hatte, 211 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. In der | |
offiziellen Interpretation ist Köhler, der selbst bei dem Anschlag starb, | |
ein Einzeltäter gewesen. Netzwerk? Helfershelfer? Schon damals wurde | |
ausgeblendet, was heute wieder ausgeblendet wird. Dies zeigt doch: Umdenken | |
wollen die Behörden nicht. | |
3 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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