# taz.de -- Debatte Rechtsruck in Europa: Kein Konzept gegen rechts | |
> Das EU-Parlament ignoriert die unerwünschten Abgeordneten, so gut es | |
> kann, selbst wenn sie berechtigte Kritik üben. Und bestärkt sie damit. | |
Bild: Wie geht's weiter mit Europa? Großbritannien ist schon kaum noch zu sehe… | |
Nein, mit den Rechten möchte man in Brüssel nichts zu tun haben. Selbst | |
wenn sie den Finger in die Wunde legen und Kommissionspräsident Jean-Claude | |
Juncker wegen der LuxLeaks attackieren: Um die „Alternative für | |
Deutschland“, den „Front National“ aus Frankreich und die Ukip aus England | |
haben die EU-Politiker einen Cordon sanitaire gelegt. | |
Bei der Vertrauensabstimmung für beziehungsweise gegen Juncker stimmte im | |
November eine ganz große Koalition im Europaparlament für den | |
Kommissionschef – und gegen die Aufklärung der Luxemburger Steueraffäre. | |
Nicht einmal einen Untersuchungsausschuss, wie ihn die Grünen gefordert | |
hatten, wird es nun geben. | |
Man mag dies aus Gründen der politischen Hygiene für richtig halten. Selbst | |
die Linke wollte nicht mit den Rechtspopulisten stimmen; einen eigenen | |
Misstrauensantrag zog sie zurück. Man kann auch so argumentieren wie viele | |
EU-Diplomaten: „Eine neue EU-Krise können wir uns jetzt gar nicht leisten, | |
deshalb darf Juncker nicht stürzen.“ | |
Nur: Die Rechte in Europa stoppt man so nicht. Ganz im Gegenteil. Es ist | |
nämlich Wasser auf die Mühlen der Luckes, Le Pens und Farages, wenn die | |
„Systemparteien“ – Pardon: die Pro-Europäer in Brüssel und Berlin – d… | |
LuxLeaks-Affäre unter den Teppich kehren. Seht her, sie stecken mit den | |
Steuerdieben unter einer Decke, heißt es dann. | |
## Eine Strategie gegen rechts fehlt | |
Die Vertrauensabstimmung über Juncker zeigt das Dilemma, in dem die | |
EU-Befürworter stecken: Eine Strategie gegen rechts haben sie immer noch | |
nicht. Sechs Monate nach der Europawahl, bei der Populisten und | |
Nationalisten ein Rekordergebnis einfuhren, fällt den Demokraten nichts | |
Besseres ein, als die unerwünschten neuen Europaabgeordneten zu ignorieren | |
– und die Probleme totzuschweigen. | |
Dabei zeigen die LuxLeaks doch, woran Europa krankt: an einem gnadenlosen | |
Steuerwettbewerb, der den Großkonzernen nützt und dem Gemeinwesen schadet. | |
Und das in einer Zeit, da kein Geld mehr da ist für die Infrastruktur, die | |
Juncker nun von privaten Investoren finanzieren lassen will – mit einer | |
Rundum-sorglos-Garantie aus Steuermitteln. Doch kritisieren darf man das | |
nicht. | |
Und weil man es nicht kritisieren darf, sucht sich der Frust ein anderes | |
Ventil. Es sind die Einwanderer, neuerdings sogar die Einwanderer aus der | |
EU, die zum Sündenbock gestempelt werden. Ressentiments gegen Einwanderer | |
und Hass auf Andersgläubige sind das große Thema, mit denen die Rechten auf | |
Stimmenfang gehen. Selbst in Deutschland scheint dies zunehmend zu | |
verfangen. | |
Doch ausgerechnet in dieser für die Zukunft Europas zentralen Frage kneifen | |
die EU-Politiker. Aus Angst vor den Rechtspopulisten wurde zuerst die | |
„Festung Europa“ errichtet – den Tod von Tausenden Bootsflüchtlingen nim… | |
die EU mittlerweile achselzuckend in Kauf. Nun sind wir dabei, Hürden für | |
Einwanderer aus der EU zu errichten. Die Freizügigkeit, ein Grundprinzip | |
der europäischen Einigung, ist unter Beschuss geraten. | |
## Regierungen setzen den Populisten wenig entgegen | |
Eine besonders traurige Rolle spielt dabei der britische Premier David | |
Cameron. Der konservative Politiker lässt sich von den ausländerfeindlichen | |
Parolen der Ukip treiben und versucht sogar, die EU mit immer neuen | |
restriktiven Forderungen zu erpressen. Doch Cameron ist damit nicht allein. | |
Auch die Regierungen in Den Haag, Wien und Berlin setzen den Populisten zu | |
wenig entgegen. | |
Kanzlerin Angela Merkel hat zwar eine rote Linie gezogen, was die | |
Freizügigkeit angeht. Doch im Detail kommt sie Cameron entgegen. Mit der | |
CSU sitzt schließlich eine Partei in der Regierung, die die britischen | |
Attacken gegen „Sozialtouristen“ nur zu gern aufgreift. Ohne Not hat nun | |
sogar Deutschland die Gesetze gegen den Missbrauch von Sozialleistungen | |
durch EU-Ausländer verschärft. | |
Und das ist wohl erst der Anfang. Die Gefahr ist durchaus real, dass die | |
bürgerliche Rechte, die die Mehrheit der EU-Staaten regiert, den | |
Rechtspopulisten noch weiter entgegenkommt. Denn zum einen sind die Rechten | |
in einigen Ländern zu einer realen Macht geworden, wie zuletzt der Sturz | |
der schwedischen Regierung gezeigt hat. Zum anderen könnten sie indirekt – | |
über die EU-Austrittsdebatte in Großbritannien – weiter an Einfluss | |
gewinnen. | |
Wieder richten sich die Blicke auf Cameron und Merkel. Denn Cameron ist | |
derzeit das schwächste Glied in der europäischen Kette – und Merkel will | |
Großbritannien um jeden Preis in der EU halten. Zuletzt hat die Kanzlerin | |
dem Premier dafür sogar einige Hundert Millionen Euro des britischen | |
EU-Beitrags gestundet, die eigentlich im Dezember fällig geworden wären. | |
Was kommt als Nächstes? | |
## Fatal falsche Eurorettung | |
Gefahr droht aber auch aus Frankreich, wo der Front National bei der | |
Europawahl zur stärksten Partei aufgestiegen ist. Die regierenden | |
Sozialisten liegen am Boden, die bürgerliche Rechte hat sich radikalisiert | |
und könnte mit dem ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy selbst ins | |
populistische Lager abgleiten. Auch hier kommt Merkel eine Schlüsselrolle | |
zu; mit Sticheleien gegen die Pariser Regierung macht sie die Lage noch | |
komplizierter. | |
Doch der Rechtsruck in Europa ist kein Schicksal. Er ist das Ergebnis einer | |
verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik, die der EU die schlimmste Krise | |
seit den 30er Jahren beschert hat. Die fehlgeleitete „Eurorettung“ hat | |
Europa in Geber- und Nehmerländer gespalten – und auf beiden Seiten | |
Unzufriedenheit und Ressentiments geschürt. | |
Das beuten die Rechten aus; hier müsste eine Gegenstrategie ansetzen. Der | |
neue Kommissionschef Juncker hat dies erkannt, er will sogar handeln. | |
Europa müsse das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen und wieder für | |
Wachstum und Jobs sorgen, verkündete er nach seiner Wahl im | |
Europaparlament. Doch das war vor den LuxLeaks, die ihn politisch enorm | |
schwächen. Und es war vor dem Investitionsprogramm, das sich mehr und mehr | |
als heiße Luft entpuppt. | |
Aber vielleicht reißt er das Ruder ja doch noch herum. Es ist, wie Juncker | |
selbst gesagt hat, die „letzte Chance“ für Europa. Es ist vielleicht auch | |
die letzte Gelegenheit, den weiteren Aufstieg der Rechten zu verhindern. | |
13 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Jean-Claude Juncker | |
David Cameron | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Rechtspopulismus | |
Euro-Krise | |
Ukip | |
EU | |
Europa | |
Europäische Union | |
Frankreich | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Frankreich | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
EU-Kommission | |
Großbritannien | |
Jean-Claude Juncker | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prinz forderte Ukip-Chef zum Duell: Farage scheut den Konflikt | |
Ein polnischer Prinz hatte den Chef der europafeindlichen britischen Partei | |
Ukip zum Duell aufgefordert. Der kneift nun: Gewalt sei nicht seine Sache. | |
Steueraffäre LuxLeaks: Ausschuss will Schäuble vorladen | |
Das Europaparlament stößt bei der Aufklärung der Luxemburger Steueraffäre | |
auf Widerstand. Deutschlands Finanzminister soll aussagen. | |
LuxLeaks-Affäre: Null Bock auf Aufklärung | |
Will man so genau wissen, was Ex-Premier Juncker in der Luxemburger | |
Steuerflucht-Affäre verbockt hat? Parlamentspräsident Schulz offenbar | |
nicht. | |
Umfrage unter Briten: Lieber raus aus der EU | |
Großbritanniens Premier Cameron hat für Ende 2017 ein Referendum über die | |
Union angekündigt. Wäre es schon jetzt, es würde nicht gut aussehen. | |
Rechtsruck in Frankreich: Die Mitte fehlt | |
Viele Linke und Bürgerliche sind von Hollande und Sarkozy enttäuscht. Sie | |
wählen aus Protest rechts – so naiv das auch scheint. | |
Rechte Ukip in Großbritannien: „Fucking ekelerregende Schwuchtel“ | |
Die Ukip ist in South Basildon auf der Suche nach einem Kandidaten. Alle | |
bisherigen stolperten über Kleinigkeiten wie Rassismus und Geldgier. | |
Krippen-Streit in Frankreich: Ochs und Esel im Hôtel de ville? | |
Der Streit um religiöse Symbole in öffentlichen Räumen hat etwas | |
Operettenhaftes. Und doch geht es in Frankreich um Grundsätzliches. | |
Konservative Opposition in Schweden: Pakt gegen Rechtsaußen angeboten | |
Rot-Grün scheiterte am Veto der Schwedendemokraten. Die Opposition schlägt | |
einen Deal vor, der die nächste Regierung vor demselben Schicksal bewahren | |
soll. | |
Kommentar CDU und AfD: Koalition wird nicht ausgeschlossen | |
Die CDU ist in Thüringen kein Bündnis mit den Rechtspopulisten eingegangen, | |
weil ihr das nichts gebracht hätte. Ideologisch gab es kein Problem. | |
Rechtspopulisten gegen Juncker: Misstrauensantrag gescheitert | |
Der wegen Steuerdeals in die Kritik geratene EU-Kommissionspräsident | |
Jean-Claude Juncker hat ein Misstrauensvotum im EU-Parlament überstanden. | |
Schlag für die Tories in Großbritannien: Zweiter Sitz für Rechtspopulisten | |
In Großbritannien hat die europafeindliche Ukip einen zweiten Sitz im | |
Unterhaus gewonnen. Der Gewinner war erst kürzlich bei den Tories | |
ausgetreten. | |
Kommentar Äffäre um Juncker: Eine schwere Vertrauenskrise | |
Die Luxemburg-Leaks haben den EU-Kommissionschef ins Mark getroffen. Sein | |
Ausweichkurs wird ihm nicht helfen. Konsequenzen müssen folgen. |