Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechtsruck in Frankreich: Die Mitte fehlt
> Viele Linke und Bürgerliche sind von Hollande und Sarkozy enttäuscht. Sie
> wählen aus Protest rechts – so naiv das auch scheint.
Bild: Hat Grund zur Sorge, wenn er nach rechts guckt: François Hollande.
Was der britische Premier David Cameron in Großbritannien unter dem
[1][Druck von rechts] versucht, um nicht von Ukip eingeholt zu werden, das
kennt Frankreich schon aus der (ersten) Präsidentschaft von Nicolas
Sarkozy. Doch den Rechtspopulisten mit einer abgespeckten Light-Version
ihrer europa- und ausländerfeindlichen Programme und ihrer reaktionären
Ideologie hinterherzurennen, ist gefährlich.
Ein Beispiel: Als Sarkozy von seinem Immigrationsminister Eric Besson
(einem Überläufer aus der Parti Socialiste) 2009 eine Debatte über die
nationale Identität organisieren ließ, ermutigte er die Rechtsradikalen, an
offiziellen Diskussionsabenden teilzunehmen und im Internet nach
Herzenslust ihren Hass und Nationalismus auszuleben. Über Wochen konnte der
Front National (FN) so xenophobe, nationalistischen Thesen auf Staatskosten
an ein breites Publikum bringen. Mit dem Ergebnis, dass vielen diese
Fremdenfeindlichkeit anschließend als banal oder plausibel erschien.
Sarkozy hatte mit dieser Aktion also nichts anderes als Wahlhilfe für die
damals neue FN-Parteichefin Marine Le Pen betreiben. Die bemühte sich
daraufhin, durch eine formelle Abgrenzung von Neonazis, Antisemiten und den
übelsten Geschmacklosigkeiten ihres Vaters Jean-Marie Le Pen, ihre
rechtsextreme Partei salonfähig zu machen. Mit Erfolg. Gleichzeitig nahm in
Sarkozys Partei, der konservativen UMP, die Verwirrung zu und auch das
Gefühl einer ideologischen Geistesverwandtschaft zwischen der bürgerlicher
Rechten und extremen Rechten.
Mehrere Umfragen belegen, wie nicht nur das persönliche Ansehen und die
Glaubwürdigkeit von Marine Le Pen in bisher bürgerlichen Kreisen seitdem
ständig wächst. Mittlerweile gibt ein Drittel der UMP-Basis an, dass sich
ihre politischen Wertvorstellungen mit denen des FN decken.
## Sarkozys dehnbare Grundsätze
Demnach müssten 58 Prozent der UMP-Sympathisanten für punktuelle
Wahlallianzen der beiden Parteien sein. Die UMP-Parteiführung verspricht
dennoch hoch und heilig, dass selbst lokale Absprachen mit der extremen
Rechten tabu seien. Glaubwürdig ist das nicht. Denn an der Spitze der UMP
steht nun wieder Sarkozy, dessen Grundsätze und Überzeugungen bekanntlich
sehr dehnbar sind und sich im Kern auf die Wichtigkeit seiner eigenen
Person beschränken. Für ihn ist die UMP ein Trampolin zur Rückkehr an die
Macht. Der ganze „Rest“ – die Zielsetzungen, die Ideen, der Umgang mit der
FN-Hasspropaganda – ist sekundär und folglich verhandelbar.
Längst verfängt der vor allem von der Linken betriebene Versuch nicht mehr,
den FN in die moralische Schmuddelecke zu stellen. Zu groß ist nach
unzähligen Affären und laufenden Ermittlungen der doppelte moralische
Kreditverlust der Linken und der bürgerlichen Rechten.
So naiv das in Deutschland vielleicht erscheinen mag: Immer mehr
WählerInnen sagen sich in Frankreich, der FN sei die einzige Lösung, die
sie noch nicht ausprobiert haben. Andere bereits zum Rechtspopulismus
Konvertierte sehen in der Le-Pen-Partei weniger einen Hoffnungsträger,
sondern vor allem eine Art Lautsprecher, um ihre Hoffnungslosigkeit
herauszuschreien. Mit seiner nationalen Empörung über das „System PS-UMP“
verkörpert der FN diese Proteststimmung. Die Nachfrage dafür ist enorm.
Eine klare Mehrheit der Leute in Frankreich ist unzufrieden mit der
regierenden Linken genauso wie mit der bürgerlichen Opposition.
Kann Frankreich die Rettung vor den Extremisten in der politischen „Mitte“
finden? Müsste der französische Premierminister Manuel Valls seine kühnsten
Träume in Worte fassen, würde er wahrscheinlich zugeben, dass ihm eine
Mitte-links-Regierung oder eine Koalition mit dem bürgerlichen Zentrum
vorschwebt. Das wäre eine parlamentarische Mehrheit aus liberalen
Sozialisten und sozialen Liberalen, die den Reformkurs zur Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit französischen Wirtschaft nicht nur voll unterschreibt,
sondern von Herzen herbeiwünscht. Valls „sozialliberale“ Linie zur
Verwirklichung der Sparziele von François Hollande stößt in der eigenen
Partei auf Widerstand.
## In der Mitte nur Treibsand
Noch ist nicht sicher, ob die Regierung eine linke Mehrheit bekommt für die
nächste, vom Arbeitgeberverband mit Vorschusslorbeeren bedachte Runde an
Strukturreformen. Verhandelt werden eine Reihe von Liberalisierungen und
Lockerungen im Arbeitsrecht. Davon hatte schon die Rechte gesprochen, als
sie mit Chirac und Sarkozy an der Macht war. Ihr Vorhaben umzusetzen, haben
sie die Bürgerlichen aber nicht getraut. Eigentlich müssten sie Valls in
den Himmel loben. Nur funktioniert politische Alltag in Paris anders.
Eine breite Koalition in der Mitte schwebt vielleicht auch dem Gaullisten
Alain Juppé vor. Er will sich in der UMP vom Rechtskurs seines Rivalen
Sarkozy abgrenzen, um 2017 die Präsidentschaftswahlen als Kandidat der
bürgerlichen Mitte und mit Hilfe der Stimmen von links gegen die
Rechtsextremistin Marine Le Pen zu gewinnen. Ein politischer Traumtänzer
mehr! Schon der Zentrumsdemokrat François Bayrou hatte zweimal vergeblich
versucht, mit dieser Strategie der Mitte in der Politik Fuß zu fassen. Auf
diesem Terrain aber gibt es nur Treibsand. Wer dort Halt sucht, riskiert
Kopf und Kragen.
„Große“ Koalitionen gab es und gibt es in vielen Ländern Europas, in
Frankreich bleibt eine solche Allianz politische Fiktion. Schuld an der
Links/rechts-Polarisierung ist das strikte Mehrheitswahlrecht, das General
de Gaulle zusammen mit der Volkswahl des Staatspräsidenten in der
Verfassung seiner Fünften Republik verankern ließ. Seitdem ist die
Vorstellung einer politischen Mitte eine Utopie.
Die Realität der französischen Wahlen und Debatten ist eine
Scheibenwischerpolitik: Rechts, links, rechts, links. Wenn also derzeit der
Schwerpunkt der Politik weit nach rechts abdriftet, müsste für alle, die
sich in Frankreich damit nicht abfinden wollen, das Gebot der Stunde
lauten: Zuerst auf die Bremse treten und dann volle Kraft nach links! Aber
davon spürt man im Moment noch nichts.
18 Dec 2014
## LINKS
[1] /Nachwahl-in-Grossbritannien/!149948/
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Rassemblement National
Nicolas Sarkozy
Francois Hollande
Marine Le Pen
Rechtsruck
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Reformen
Rechtsextremismus
Fremdenfeindlichkeit
Schwerpunkt Rassemblement National
Antisemitismus
Jean-Claude Juncker
Russland
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Frankreich
## ARTIKEL ZUM THEMA
Präsidentschaftskandidatur in Frankreich: Allianz in der Mitte
Der Zentrumsdemokrat Bayrou unterstützt den sozialliberalen Kandidaten
Macron. Das soll einen Durchmarsch der Rechten verhindern.
Kommentar Frankreichs Reformpolitik: Rinks und Lechts in Paris
Der Misstrauensantrag der Opposition gegen Premierminister Manuel Valls ist
gescheitert. Dafür musste er antidemokratische Tricks anwenden.
Kommentar Frankreichs Front National: Die Feigheit hat Folgen
Sarkozys konservative UMP macht die extreme Rechte immer hoffähiger. Deren
Wähler brauchen kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.
Kommentar Roma in Frankreich: Fremdenfeindlich bis ins Jenseits
Die verweigerte Beerdigung eines Roma-Mädchens im französischen Champlan
steht exemplarisch für die Fremdenfeindlichkeit im Land.
Rechte Partei in Frankreich: Wie schwul ist der Front National?
Die Partei streitet über ihre Homosexuellen: Angeblich beeinflussen eine
„Schwulen-Lobby“ Marine Le Pen. Das führte bereits zu Austritten.
Antisemitismus in Frankreich: „Eine permanente Baustelle“
In Frankreich kam es zu schweren Verbrechen gegen Juden. Der Soziologe
Michel Wieviorka über den neuen Antisemitismus.
Debatte Rechtsruck in Europa: Kein Konzept gegen rechts
Das EU-Parlament ignoriert die unerwünschten Abgeordneten, so gut es kann,
selbst wenn sie berechtigte Kritik üben. Und bestärkt sie damit.
Russlandfreunde in aller Welt: Dear Putin
Sie wollen sich bei Russlands Präsidenten für das Verhalten Ihrer
Regierungen entschuldigen? Dann zeichnen Sie einfach eine neue
Online-Petition.
Kommentar Antisemitismus in Frankreich: Angriff auf die „Brüderlichkeit“
Die schockierende Gewalt gegen Juden ist ein Affront für Frankreich. Es ist
inakzeptabel, sie mit einer Projektion des Nahostkonflikts zu
rechtfertigen.
Überfall auf jüdisches Paar bei Paris: Brutaler Angriff schockiert Frankreich
Antisemitische Übergriffe haben in Frankreich jüngst stark zugenommen. Nach
dem jüngsten Überfall auf ein Paar bei Paris zeigen sich Politiker
bestürzt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.