# taz.de -- Rechtspopulisten gegen Juncker: Misstrauensantrag gescheitert | |
> Der wegen Steuerdeals in die Kritik geratene EU-Kommissionspräsident | |
> Jean-Claude Juncker hat ein Misstrauensvotum im EU-Parlament überstanden. | |
Bild: Ist seit dem 1. November Chef der EU-Kommission: Jean-Claude Juncker | |
STRASSBURG/BRÜSSEL dpa | Die Rechtspopulisten im Europaparlament sind mit | |
ihrem Misstrauensantrag gegen die neue EU-Kommission um Jean-Claude Juncker | |
gescheitert. Bei der Abstimmung votierten am Donnerstag lediglich 101 | |
Abgeordnete für den Vorstoß aus dem EU-kritischen Lager. 461 lehnten ihn | |
ab, 88 enthielten sich. | |
Hintergrund des Misstrauensantrags waren Enthüllungen über möglicherweise | |
gegen EU-Recht verstoßende Steuervorteile für international tätige | |
Großkonzerne in Luxemburg. Juncker war in dem Großherzogtum knapp 19 Jahre | |
lang Regierungschef. Kritiker werfen dem 59-Jährigen deswegen „Beihilfe zur | |
Steuerhinterziehung“ von Unternehmen vor. | |
Mit den Antragstellern um Nigel Farage von der britischen Anti-EU-Partei | |
Ukip und Marine Le Pen von der französischen Front National stimmten unter | |
anderem Abgeordnete der Alternative für Deutschland (AfD). Sie begründeten | |
dies mit Junckers Weigerung, politische Verantwortung für „die von seiner | |
Regierung betriebene“ Steuerpraxis zu übernehmen. | |
Juncker ist seit dem 1. November Chef der EU-Kommission, die unter anderem | |
für alle Mitgliedstaaten verbindliche Gesetze vorschlägt. In der | |
Parlamentsdebatte zum Misstrauensantrag hatte er gesagt, er habe die | |
diskutierten Steuermodelle nicht zu verantworten. Mit der EU-Kommission | |
arbeite er bereits an Gesetzesvorschlägen, um den Missbrauch von | |
Steuerabsprachen für Konzerne („tax rulings“) zu verhindern. | |
## Warum das Misstrauensvotum keine Chance hatte | |
Ein Misstrauensantrag gegen die EU-Kommission schon nach wenigen Wochen | |
Amtszeit – das hatte es noch nie gegeben. Der Antrag wurde auch nicht mit | |
der Arbeit der Kommission begründet, sondern mit der Verantwortung des | |
Kommissionschefs Jean-Claude Juncker als früherer Regierungschef Luxemburgs | |
für die Luxemburger Steuerpolitik. Er hatte keine Chance. Aus folgenden | |
Gründen: | |
Das Initiatoren-Argument: Hinter dem Misstrauensantrag standen | |
Rechtspopulisten wie Nigel Farage von der europafeindlichen britischen | |
Partei Ukip und Marine Le Pen von der französischen Front National. Mit | |
diesen Politikern wollen Europafreunde keine gemeinsame Sache machen – auch | |
wenn der eine oder andere Linke eine schnelle Ablösung des Christdemokraten | |
Junckers nicht ungern sähe. | |
Das Niederlage-Argument: Juncker war Spitzenkandidat der europäischen | |
Volkspartei (EVP) bei der Europawahl und gilt als der erste | |
EU-Kommissionschef, der zumindest indirekt von den Wählern ins Amt gebracht | |
wurde. Hätte er zurücktreten müssen, hätten die Staats- und Regierungschefs | |
wie einst hinter verschlossenen Türen einen neuen Kandidaten bestimmt. Das | |
Argument der Demokratisierung der Wahl wäre beschädigt worden. | |
Das Lähmungs-Argument: Der Aufbau einer neuen EU-Kommission hätte Wochen, | |
wenn nicht Monate gedauert und die Arbeit an wichtigen | |
Gemeinschaftsprojekten gelähmt. Dazu gehört das 315 Milliarden Euro schwere | |
Investitionspaket zur Konjunkturbelebung. | |
Das Kaum-Alternativen-Argument: Wer hätte auf Juncker folgen können? Auf | |
diese Frage wussten Diplomaten in Brüssel keine Antwort. Im EU-Postenpoker | |
muss stets ein Gleichgewicht zwischen Parteienlagern und Nationalinteressen | |
gefunden werden. Junckers bei der Europawahl knapp unterlegener Rivale | |
Martin Schulz von der SPD ist bereits zum Präsidenten des Europaparlaments | |
gewählt worden. | |
Das Keine-Beweise-Argument: Es gibt keinen Beleg dafür, dass Juncker in | |
seiner Zeit als luxemburgischer Ministerpräsident (1995-2013) wissentlich | |
und mutwillig gegen EU-Regeln verstieß. Die Steuererleichterungen für | |
Großkonzerne wie Ikea, Amazon, Pepsi, Apple oder Eon könnten anrüchig, aber | |
legal gewesen sein. | |
Das Luxemburg-ist-überall-Argument: Das Großherzogtum ist bei weitem nicht | |
das einzige EU-Land, das im Verdacht unfairer Steuerpraktiken steht. | |
Staaten wie die Niederlande oder Irland sind ebenso im Visier von | |
Wettbewerbshütern. Ihre Abgeordneten mussten befürchten, sich mit einem | |
allzu harten Kurs gegen Luxemburg ein Eigentor zu schießen. | |
Das Geschichts-Argument: Bislang wurde kein einziger Misstrauensantrag | |
gegen eine EU-Kommission angenommen. Der jüngste Vorstoß vor dem Fall | |
Juncker erhielt 2005 nur 35 Stimmen bei 589 Gegenstimmen und 35 | |
Enthaltungen. Urheber war auch damals Nigel Farage gewesen. Diesmal | |
stimmten 101 Abgeordnete für den Vorstoß, 461 lehnten ihn ab und 88 | |
enthielten sich. | |
27 Nov 2014 | |
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