| # taz.de -- Steueroase Luxemburg: Das Geld der anderen | |
| > Luxemburg kompensiert die Misere seiner Stahlindustrie durch den | |
| > Finanzsektor. Aber was würde das Land ohne Steuertrickserei machen? | |
| Bild: Hat auch schöne Seiten: Luxemburgs Altstadt. | |
| LUXEMBURG/ESCH taz | Wer danach fragt, wie die Steueraffäre im Land selbst | |
| gesehen wird, dem schickt Luxemburgs Wirtschaftsminister Etienne Schneider | |
| gleich zwei Beamte. Doch bevor sie sprechen, führen sie zu den Fenstern | |
| eines Büros im 13. Stock. | |
| „Das müssen Sie vorher sehen“, sagt eine Beraterin. Unten ragen die | |
| herzöglichen Burgen auf, die City, weiter hinten die Stahlfabriken, am | |
| Horizont die Ardennen. Ein hübsches Panorama. Aber genau da liege das | |
| Problem: Dass niemand die schönen, die guten Seiten des Kleinstaats | |
| wahrnehme. Unfair sei dies, reduzierend und bedrückend. | |
| Kürzlich hat sie deshalb Sebastian Turner eingeladen, den Gründer der | |
| Werbeagentur Scholz & Friends. „Deutschland – Land der Ideen“ hat der sich | |
| ausgedacht, das hat Schneiders Beratern gefallen. So eine Kampagne wollen | |
| sie auch. Doch die Suche nach dem Markenkern gestaltet sich schwierig. | |
| Welches Image gibt man einem Land, das wegen seiner Haupterwerbsgrundlage | |
| als Steuerdieb verschrien ist? Was ist Luxemburg eigentlich? | |
| Robert Garcia hätte einen Vorschlag: „Schurkenstaat“. Er lacht lange. „D… | |
| wir Parasiten sind, wissen wir doch seit 20 Jahren.“ Garcia hat einst das | |
| Bürgerradio Ara aufgebaut, später saß er für die Grünen in der | |
| Abgeordnetenkammer. „Wenn ich da was gegen den Finanzplatz gesagt habe, | |
| wurde ich angeschrien, ich sei 'Vaterlandsverräter'“. Kleinstaaten seien | |
| eben nicht lebensfähig, sagt er. „Es sei denn, sie haben Rohstoffe oder | |
| Briefkästen.“ | |
| Etwa später sitzt er vorm Mikrofon im Ara-Studio. „Heute reden wir über die | |
| Lux-Leaks, weswegen sich ausländische Journalisten jetzt wie die Geier auf | |
| Luxemburg stürzen“, sagt er und bewegt die Arme hin und her, als seien ihm | |
| Flügel gewachsen. | |
| Zu Gast ist der Grünen-Finanzexperte Mike Mathias. „Warum akzeptieren die | |
| Luxemburger, dass die Konzerne nur ein Prozent Steuern zahlen, während sie | |
| selbst so viel mehr zahlen müssen“, fragt er. „Das ist aber ganz schön | |
| populistisch, die Leute gegen die Wirtschaft aufzuwiegeln“, spottet Garcia. | |
| Mathias fährt fort. „Keiner weiß, was passiert, wenn die Steuertrickserei | |
| aufhört. Niemand kann sagen, wie viel dann übrig bleibt: vom Finanzsektor, | |
| vom Bruttosozialprodukt, vom Staatshaushalt.“ Einen Vorgeschmack gebe es. | |
| Fast alle großen Internetfirmen haben in Luxemburg ihren EU-Sitz. Für den | |
| Verkauf digitaler Güter wie E-Books mussten sie bislang hier Steuern zahlen | |
| – künftig aber im Land der Käufer. „Dadurch verliert Luxemburg dieses Jahr | |
| 1 von 14 Milliarden Euro Steuereinnahmen.“ | |
| ## Keine Luxemburger Journalisten | |
| Am Abend im Carré Rotonde, dem Kulturzentrum, das Garcia leitet. Das linke | |
| katholische [1][Magazin Forum] hat Journalisten zur Diskussion über die | |
| Post-Juncker-Ära geladen, ein Jahr ist die neue Regierung jetzt im Amt. Der | |
| Saal ist voll, das Podium in blaues Licht getaucht. In der letzten Reihe | |
| steht der Chefberater des Ministerpräsidenten, Xavier Bettel. Am Morgen | |
| stand in der Zeitung, die Regierung verliere wegen Lux-Leaks „langsam die | |
| Nerven“. Weitermachen wie bisher kann das Land nicht. Doch an die vier | |
| neuen Sektoren, die Wirtschaftsminister Etienne Schneider schaffen will, | |
| glaubt so recht keiner. | |
| „Wie soll ein Land dieser Größe vier neue Wirtschaftszweige aufbauen, die | |
| lebensfähig sind?“, fragt der Chefredakteur des Luxemburger Worts. Das | |
| denken hier viele. Und wohl deshalb trug die Elite lange die zweifelhafte | |
| Steuerpolitik mit. 2012 hat der französische Journalist Edouard Perrin | |
| einen Teil der Lux-Leaks-Dokumente veröffentlicht. Damals haben sich | |
| Luxemburger Journalisten beim Finanzminister für den „schlechten | |
| Journalismus“ ihrer Zunft entschuldigt. „Viele Kollegen haben auch diesmal | |
| wieder schnell geschrieben, dass ja ’alles ganz legal‘ war“, sagt jetzt | |
| eine Diskutantin. Noch immer gelte es als „unpatriotisch“, den Finanzplatz | |
| zu kritisieren. Kein Luxemburger Journalist war an Lux-Leaks beteiligt, | |
| stellt sie fest. | |
| In Esch, der zweitgrößten Stadt des Landes, ist zu besichtigen, wie sehr | |
| Luxemburg, das Land mit 540.000 Einwohnern und dem höchsten | |
| durchschnittlichen Bruttosozialprodukt der Welt, eine Klassengesellschaft | |
| ist. Von der Stahlkrise der 80er Jahre hat sich Esch nicht erholt. Viele | |
| Öfen wurden abgestellt, die einstigen Gastarbeiter, meist Portugiesen, | |
| blieben. Und sie blieben unter sich: Auch nach Jahrzehnten sprechen so | |
| viele von ihnen kaum die Landessprachen, dass sich die Geldautomaten in | |
| Esch auf Portugiesisch bedienen lassen. | |
| Landesweit liegt der Ausländeranteil bei 45 Prozent, in Esch sind es 60 | |
| Prozent. Eine Mehrheit, die nicht wählen darf. Anders als in der Hauptstadt | |
| gibt es in Esch Bars ohne W-LAN, wo ein großes Bier nur zwei Euro kostet. | |
| Ein paar Schritte vom historischen Marktplatz steht ein | |
| Sozialwohnungsblock, in dem Junkies Heroin kaufen. Die Arbeitslosenquote in | |
| Esch liegt bei rund 13 Prozent, doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. | |
| Für niedrig Qualifizierte gilt Mindestlohn von 1.300 Euro, wer keinen Job | |
| findet, muss mit 1.100 Euro Sozialhilfe auskommen, kaufkraftbereinigt | |
| weniger als Hartz IV. Jeder Fünfte landesweit ist armutsgefährdet. | |
| Ins Escher Rathaus ist „Mir welle bleiwe wat mir sinn“ eingemeißelt, der | |
| Wahlspruch der Luxemburger. 64 Jahre lang haben die konservativen | |
| Christsozialen nach dem Krieg das Land regiert. Damit das so blieb, haben | |
| sie alles getan, um den staatlichen Sektor aufzupumpen. Erst mit dem Geld | |
| aus der Stahlindustrie, dann mit dem aus der Finanzwirtschaft. Fast die | |
| Hälfte jener, die einen luxemburgischen Pass haben, arbeiten heute beim | |
| Staat. Einstiegsgehalt eines Lehrers: 5.400 Euro. „Wir wollen bleiben, was | |
| wir sind.“ Aber was, wenn das nicht mehr geht? | |
| Hinter dem Europäischen Gerichtshof hat Luxemburgs Bankenverband seinen | |
| Sitz. Das Gebäude mit den orangen Glasfassaden sieht aus wie ein Hotel für | |
| sparsame Städtetouristen, doch im Oktober haben die Banken drei Billionen | |
| Euro verwaltet. Investmentfonds zahlen in Luxemburg keine Steuern, lange | |
| galt das Bankgeheimnis. Auch das kompensierte die Verluste der | |
| Stahlindustrie. | |
| Ab 2017 aber müssen Luxemburgs Banken die Guthaben ausländischer Kunden | |
| automatisch bei deren Heimat-Finanzämtern anzeigen. Und letzte Woche | |
| dekretierte Außenminister Jean Asselborn, das Land stehe „für | |
| Steuertricksereien nicht mehr zur Verfügung“. Die Steuertricks gehen allein | |
| auf das Konto der Steuerberaterfirmen, die Affäre aber fällt auf den ganzen | |
| Finanzplatz zurück. Wird da das Kapital nicht nervös? | |
| ## Die Profis bleiben dabei | |
| Philipp von Restorff hat früher bei einem Start-up in Berlin-Mitte | |
| gearbeitet, heute vertritt er die riesige Finanzbranche des winzigen | |
| Staats. Er wiegt den Kopf. „Das Image Luxemburgs hat in der öffentlichen | |
| Meinung natürlich gelitten“, sagt er. „Aber bei Professionellen hat der | |
| Finanzplatz weiter einen guten Ruf. Denen geht es um politische Stabilität, | |
| Planbarkeit, das Bonitäts-Rating.“ Die neue Durchsichtigkeit der Konten | |
| werde höchstens eine „Änderung des Kundenprofils“ nach sich ziehen. „Me… | |
| High-Net-Worth-Individuals.“ Soll heißen: wirklich Reiche aus Dubai als | |
| Kunden, statt Zahnärzte mit Schwarzgeld aus Rheinland-Pfalz. Trotzdem | |
| versuchen die Banken sich neu aufzustellen, sagt von Restorff: halale | |
| Geldanlagen für Muslime, „Renminbi-Banking“ für Chinas Geschäfte und | |
| Produkte mit dem Internet-Geld Bitcoins. | |
| In Diego De Biasios „Innovationsinkubator“ sind die Räume nach großen | |
| Bauwerken benannt. Der Besprechungsraum im obersten Stock heißt nach dem | |
| Viadukt von Millau, eine der längsten Seilbrücken weltweit. Vom Fenster aus | |
| sieht man einen ausrangierten Stahlofen. Er ragt in den Himmel wie das | |
| Relikt einer untergegangenen Zivilisation. Hier entsteht der Uni-Campus von | |
| Esch-Belval, der Erste im Land. Hier, 20 Kilometer südlich der Hauptstadt, | |
| soll ab 2015 geforscht werden. Der Ökonom De Biasio, klein, drahtig, Mitte | |
| 30, ist die Vorhut. | |
| Die Erklärung für die Raumnamen steht auch gleich auf den Türschildern: Wer | |
| Unternehmen gründen will, darf „keine Angst haben, ganz groß zu denken“. … | |
| Biasios Inkubator soll Geschäftsideen bis zur Marktreife ausbrüten. Vor | |
| einigen Jahren hat die Regierung das Projekt gegründet. De Biasio zeigt | |
| eine Powerpoint-Präsentation mit seinen Projekten: eine Firma, die | |
| Holzstämme so scannt, dass möglichst wenig Verschnitt anfällt, eine andere | |
| hat eine Software geschrieben, um teure Materialtests zu simulieren. | |
| Diego De Biasio glaubt an den Standort: „Wir haben neulich ein | |
| Bitcoin-Start-up aus Düsseldorf aufgenommen, die haben in Deutschland nicht | |
| mal einen Termin bei der Genehmigungsbehörde bekommen.“ In Luxemburg sei | |
| hingegen alles übersichtlich, schlank, schnell. | |
| Trotz der Botschaft an den Türschildern: Gefährlich groß ist hier bislang | |
| gar nichts. Sieben Firmen hat De Biasio in diesem Jahr gecoacht. 62 | |
| Unternehmen, die seit 1998 den Inkubator durchlaufen haben, existieren | |
| noch. Sie beschäftigen insgesamt 125 Menschen und haben 57 Millionen Euro | |
| Risikokapital eingesammelt. Von den Billionen, auf denen von Restorffs | |
| Banker sitzen, kommen hier nicht mal homöopathische Dosen an. | |
| Kann Luxemburg so je die Dominanz des Finanzsektors überwinden? „Es wird | |
| wahrscheinlich sehr lange dauern“, sagt De Biasio. | |
| 24 Nov 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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