Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- NS-Aufarbeitung in Hamburg: Ermittlungen gegen SS-Aufseherin
> In Hamburg laufen erstmals Ermittlungen gegen eine ehemalige
> SS-Aufseherin, die an einem Todesmarsch beteiligt gewesen sein soll. Die
> streitet alles ab.
Bild: Vom KZ Groß Rosen aus begann der Todesmarsch der Häftlinge nach Gubin.
HAMBURG taz | Mord oder Beihilfe? Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Hamburg gegen die ehemalige SS-Aufseherin Hilde Michnia stehen erst am
Anfang. „Der Verlauf der Ermittlungen ist noch nicht absehbar, bisher
besteht der Verdacht der Beihilfe zum Mord, das kann sich aber ändern“,
sagt Oberstaatsanwältin Nana Frombach, Sprecherin der Hamburger Behörde.
Eine Anzeige löste die Ermittlungen wegen der Beteiligung an einen
Todesmarsch 1945 aus. „Ich hoffe, dass für die Öffentlichkeit diese Tat
aufgeklärt werden kann“, sagt Hans-Jürgen Brennecke, der die Anzeige
stellte. Seit Ende Januar laufen bei der Staatsanwaltschaft die
Ermittlungen gegen die 93-Jährige aus Schenefeld. Hier nahe Hamburg lebt
die Witwe seit 1970 in einer Hochhaus-Siedlung. Bisher konnte sie nicht
vernommen werden, sagt Frombach.
Gegen Ende des Dritten Reiches müsse die Aufseherin zum Konzentrationslager
Bergen-Belsen gekommen sein, sagt Stephanie Billib von der [1][Gedenkstätte
Bergen-Belsen]. Von 1941 bis 1945 starben unter Bewachung der Wehrmacht und
SS in dem Konzentrationslager in der Lüneburger Heide 52.000 Häftlinge an
Hunger, Seuchen und aus Kälte. Die Staatsanwaltschaft hält Michnia,
geborene Lisiewicz, vor, 1945 als Aufseherin an einen so genannten
Todesmarsch der Häftlinge vom [2][KZ Groß-Rosen] nach Gubin beteilig
gewesen zu sein, bei dem von etwa 2.000 Frauen nahezu 1.400 starben.
Bereits 1945 verurteile ein britisches Militärgericht in Lüneburg Michnia,
die fünf Jahre bei der SS war, zu einem Jahr Haft. Das Gericht folgte einer
Inhaftierten, die aussagte, dass die damals 23-jährige SS-Aufseherin
Häftlinge misshandelt hätte. 15 Angeklagte sind in dem Prozess
freigesprochen worden, 19 wurden zu Haftstrafen verurteilt, elf weitere
SS-Angehörige wurden hingerichtet.
„Das war ein Schauprozess“, sagte Michnia gegenüber der taz. Zu den neuen
Ermittlungen erklärte die Witwe und Mutter dreier Kinder: „Das ist alles
erlogen.“ Bei dem Marsch, bei dem sie dabei gewesen sei, sei keiner
umgekommen. „Bitte belästigen Sie mich nicht weiter“, schiebt sie nach, ihr
ginge es durch dieses Nachfragen körperlich nicht gut.
Zwar darf für eine Tat niemand zwei Mal vor einem deutschen Gericht
angeklagt werden. In diesem Fall fand die Verhandlung aber vor einem
britischen Militärgericht statt, sagt Frombach, zudem werde überprüft, ob
alle Taten damals verhandelt worden.
Der Lüneburger Hans-Jürgen Brennecke, der die Anzeige gegen Michnia
gestellt hat, setzt sich seit zehn Jahren mit der Geschichte des
Nationalsozialismus in seiner Heimatstadt auseinander. Bei der Vorführung
des Films „Close to Evil“ in einem Gesprächskreis in der KZ-Gedenkstätte
Neuengamme fiel dem 70-Jährigen Michnia auf.
In der Dokumentation von Gerry Gregg versucht der Shoa-Überlebende Tomi
Reichental mit Michnia zu reden. Der Film zeigt das Scheitern des
Gesprächsversuchs von Reichental, der, weil er Jude ist, als Neunjähriger
aus der Slowakei nach Bergen-Belsen deportiert worden war. Auf Michnia war
Reichental durch den Hinweis einer früheren Nachbarin gekommen. Der hatte
Michnia erzählt, Aufseherin in Bergen-Belsen gewesen zu sein. Nach einer
Radiosendung mit Reichental suchte diese Nachbarin, die kurz nach dem
Gespräch nach Irland gezogen war, den Kontakt zu ihm.
Die Chancen seiner Anzeige kann Brennecke nicht abschätzen. Denn bislang
hat die deutsche Justiz weder einen Wachmann noch eine Wachfrau wegen der
Beteiligung an einem Todesmarsch verurteilt. „Mit der Anzeige will ich
keine alte Frau ärgern“, sagt Brennecke. „Doch dieses Verbrechen muss auch
juristisch als Verbrechen aufgeklärt werden.“ Eine Einsicht in ihre
Verantwortung erwartet er bei der ehemaligen SS-Aufseherin nicht: „Sie
verhält sich wie so viele Täter und Täterinnen nach 1945. Sie will nichts
gesehen, bloß Befehle befolgt haben und gar gezwungen gewesen sein.“
3 Feb 2015
## LINKS
[1] http://bergen-belsen.stiftung-ng.de/
[2] http://de.gross-rosen.eu/
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Aufarbeitung
Bergen-Belsen
SS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Hamburg
NS-Verbrechen
Konzentrationslager
SSW
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Vergangenheitsbewältigung
Gedenken
Antisemitismus
SS
## ARTIKEL ZUM THEMA
NS-Morde in Konzentrationslagern: Auch Frauen unter den Tätern
Sie waren WegbereiterInnen des Massenmords. Trotzdem wurden
SchreibtischtäterInnen der NS-Zeit lange nicht strafrechtlich verfolgt.
Verfolgung von Nazi-Verbrechen: Auch im hohen Alter verantwortlich
Knapp ein Dutzend Fälle von Männern und Frauen, die in KZs und
Vernichtungslagern dienten, werden jetzt an Staatsanwälte übergeben.
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Die Schuld des SS-Buchhalters
In Lüneburg steht ein Ex-SS-Mann vor Gericht. Er bekennt sich zu seiner
„moralischen Mitschuld“. Die Erklärung wirkt verstörend unbeteiligt.
Gedenken an KZ-Befreiungen: „Jede Erinnerung bringt sie uns nahe“
Mehr als 2.700 Menschen gedachten der Menschen, die in Sachsenhausen und
Ravensbrück ums Leben kamen. Die Lager wurden vor 70 Jahren befreit.
Götz Alys Essayband „Volk ohne Mitte“: Fretwursts aller Klassen
Zwischen Raubzug und Massenmord: Der Historiker Götz Aly spürt in seinen
Essays dem deutschen opportunistischen Aufsteiger nach.
Essay Befreiung des KZ Buchenwald: Haben wir versagt?
Als Buchenwald befreit wurde, schworen wir, alles für eine neue Welt des
Friedens zu tun. Aber dieses Ziel ist nicht einmal in absehbarer Nähe.
NS-Erbe einer Transportfirma: Lasten der Vergangenheit
Kühne + Nagel transportierte die Möbel deportierter Juden. Der
Logistikkonzern ließ dieses Kapitel aus der NS-Zeit bisher im Dunkeln.
Prozess gegen Auschwitz-Wachmann: Beihilfe zu mehr als 300.000 Morden
Der 93-jährige Oskar G. kommt vor Gericht. Der ehemalige SS-Mann soll für
den Tod Hunderttausender mitverantwortlich sein.
Prozess gegen einstigen SS-Wachmann: Anklage nach 70 Jahren
Beihilfe zu 300.000 Morden: Das Landgericht Lüneburg befasst sich bald mit
Vorwürfen gegen einen einstigen SS-Wachmann im KZ Auschwitz. Dass das
Verfahren zustande kommt, ist nicht selbstverständlich. Gegen weiteres
Lager-Personal wird ermittelt
Wehrmachtsmassaker in Griechenland: Die Schreie des Lambros Nissiotis
Am 16. August 1943 erschoss die Wehrmacht wahllos Dorfbewohner im
griechischen Kommeno. Eine Begegnung mit zwei Überlebenden.
Kriegsverbrechen in Civitella und Distomo: Orte des Schreckens
In italien und Griechenland rächten die Wehrmacht und SS gefallene deutsche
Kameraden mit verbrecherischen Morden. Hunderte wurden hingerichtet.
Keine Klagen in Italien möglich: Nazi-Opfer scheitern am Völkerrecht
Der IGH hat über italienische Gerichtsurteile gegen Deutschland
entschieden. Opfer deutscher Kriegsverbrechen dürfen nicht im Ausland
klagen, so das Urteil.
IGH urteilt im Sinne Deutschlands: Immunität bei Nazi-Kriegsverbrechen
Deutschland kann nicht vor ausländischen Gerichten wegen Kriegsverbrechen
während des Nationalsozialismus verklagt werden. Dies urteilte der
Internationale Gerichtshof (IGH).
Straßburger Urteil zu Waffen-SS-Massaker: Griechen werden nicht entschädigt
Griechische Opfer-Nachfahren können keinen Schadensersatz für deutsche
Kriegsverbrechen einklagen. Das entschied jetzt der Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.