# taz.de -- Wehrmachtsmassaker in Griechenland: Die Schreie des Lambros Nissiot… | |
> Am 16. August 1943 erschoss die Wehrmacht wahllos Dorfbewohner im | |
> griechischen Kommeno. Eine Begegnung mit zwei Überlebenden. | |
Bild: Überlebende: Vassilios Nissiotis und Lambros Nissiotis. | |
KOMMENO taz | Die Häuser in Kommeno sehen proper aus, ordentlich getünchte | |
Einfamilienhäuser und Bungalows. Manche haben kleine Treppen aus Marmor, | |
den es hier in der Gegend, in Nordwestgriechenland, gibt. Auf dem Dorfplatz | |
des 800-Seelen-Dorfes langweilen sich keine Arbeitslosen. Man sieht die | |
Krise nicht, nicht auf den ersten Blick. | |
Es gibt drei Cafés, eine Schule. Und einen Supermarkt, in dem es allerdings | |
aussieht wie in einem HO-Laden in Karl-Marx-Stadt 1982: Die halbleeren | |
Regalen sind mit Toilettenpapier, Seife und Tomatendosen bestückt. Es gibt | |
nicht viel Arbeit in Kommeno, 50 Kilometer vom Mittelmeer, nahe am | |
Ambrakischen Golf. Manche haben Jobs in Arta, der nächstgelegenen größeren | |
Stadt. Der Bürgermeister verdient sein Geld als Krabbenfischer. Viele haben | |
ein paar Ziegen, Schafe, Olivenhaine. Man versorgt sich selbst. Verkaufen | |
lohnt sich nicht. Der Preis für ein Kilo Oliven liegt bei 20 Cent. Es waren | |
mal 80 Cent. | |
Vassilios Nissiotis hat 35 Jahre in Deutschland gearbeitet, von 1962 bis | |
1997. Bei dem Automobilzulieferer Ehrenreich in Krefeld. 35 Jahre Akkord am | |
Band. Das halbe Leben, jetzt Rente. Im Sommer lebt Vassilios Nissiotis in | |
Kommeno, dem Dorf, in dem er geboren wurde, im Winter in Deutschland. „Auch | |
wegen der Ärzte“, sagt er. Das griechische Gesundheitssystem war schon vor | |
der Krise fragwürdig. | |
Vassilios Nissiotis ist 74 Jahre alt und sieht jünger aus. Im Dorf ist er | |
der Deutsche, und wenn er über Griechenland redet, klingt er auch manchmal | |
deutsch, fast herablassend. Er spricht nur radebrechend deutsch. Man lernt | |
am Band schlecht Sprachen. Seine Kinder sind Deutsche, einer hat ein | |
Reisebüro in Krefeld, der andere eine Pizzeria in München. Es ist eine | |
Migrantengeschichte, so wie viele andere. | |
Aber etwas ist anders, etwas, das vor fast 70 Jahren geschah. Das ist lange | |
her, fast zwei Generationen. Aber in Kommeno ist die Geschichte präsent. | |
Man kann sie sehen: an dem kleinen weißen Obelisken auf dem Dorfplatz, in | |
den 317 Namen eingraviert sind. Und auf dem Friedhof. | |
## Alles niedergebrannt | |
Vassilios Nissiotis sitzt auf der Terrasse seines Hauses und zeigt nach | |
rechts, auf ein weißgetünchtes kleines Haus nebenan. Dort ist es damals | |
geschehen. Dort sind sie verbrannt, seine Oma Magdalena, der Onkel Ioannis, | |
der Opa Nikos, Tante Elena, Dimitra, die Cousine. „Kommt mit“, hatte seine | |
Mutter Konstatina zu ihnen gesagt, im Morgengrauen des 16. August 1943. Sie | |
nahm ihre vier Kinder mit hinunter zum Fluss, weg aus dem Dorf, weil sie | |
ahnte, dass es Gefahr bedeutete, dass so viele deutsche Soldaten mit MGs | |
anrückten, vor Sonnenaufgang. Sie versuchte auch ihre Mutter und | |
Geschwister zu überreden, mitzukommen. | |
„Ich erinnere mich, dass meine Mutter sagte: ’Weg jetzt, sofort‘“, sagt | |
Vassilios Nissiotis. Doch die Verwandten wehrten ab. Was soll schon | |
passieren, sagten sie. Wir haben nichts getan. Im Dorf hatte am Abend zuvor | |
eine große Hochzeit stattgefunden. Es war der Tag nach Mariä Himmelfahrt, | |
in Griechenland ein höherer Feiertag als Weihnachten. Es war doch alles | |
normal. | |
Eine Stunde später warfen Wehrmachtssoldaten Handgranaten durch das | |
Fenster, verrammelten das Haus, feuerten MG-Salven durch die Tür und | |
brannten das Haus nieder. So wie das ganze Dorf. Die deutschen Soldaten, | |
ein Bataillon Edelweiß-Gebirgsjäger, erzählt man in Kommeno, haben eine | |
21-jährige Schwangere aufgeschlitzt und ihr das Ungeborene in den Arm | |
gelegt. | |
## Milchreis mit Kompott | |
Konstantina, Vassilios Mutter war damals 32 Jahre alt, der Vater Georgios, | |
45, hatte den Lebensmittelladen am Dorfplatz. Sie überlebten, weil die | |
Mutter misstrauisch war. Die deutschen Soldaten schlachteten Babys, Kinder, | |
Frauen, Männer, Greise ab. Es gab keine Gegenwehr, es wurde keine Waffe | |
gefunden, kein versteckter Partisan entdeckt. Während des Massakers | |
versteckte Konstantina ihre Kinder unweit vom Dorf, am Fluss. Fast 200 | |
kauerten dort. | |
Dann näherte sich ein deutscher Soldat. Ausgerechnet in diesem Augenblick | |
fing ein Baby an zu weinen. Konstantinas Baby. Ein Onkel drückte ihm die | |
Hand auf das Gesicht, feste, immer fester, bis er das Baby fast erwürgt | |
hatte. „Besser einer stirbt als 200“, sagt Lambros Nissiotis. Er ist | |
Vassilios’ Bruder, er hat 37 Jahre in München gearbeitet, bei MAN im | |
Magazin. Jetzt lebt er wie sein Bruder, ein halbes Jahr hier, ein halbes | |
Jahr in Deutschland. Lambros Nissiotis war dieses Baby, das weinte, zehn | |
Monate alt. | |
Es gibt in Kommeno wenig, das den 16. August 1943 überstanden hat. Die 120 | |
Gebirgsjäger brannten das Dorf nieder, stahlen Schafe und Vieh. Sie machten | |
Kommeno dem Boden gleich, 317 Leichen ließen sie liegen. Vierzig der Toten | |
waren Kinder unter vier Jahren. Karl S., der an dem Massaker teilnahm, | |
sagte 1971 unter Eid aus, dass er tote Kinder sah, denen man „ mit Benzin | |
getränkte Watte in die Münder gestopft und die Watte dann angezündet“ | |
hatte. Nach getaner Arbeit aßen die Soldaten Milchreis mit Kompott, abends | |
betranken sie sich mit dem erbeuteten Wein. Einige hatten Gewissensbisse, | |
andere nicht. | |
Major Reinhold Klebe war der ranghöchste Wehrmachtssoldat am Ort. Er schoss | |
am 16. August 1943 nicht mit, sondern wartete zwei Stunden vor dem Dorf, | |
bis das Gemetzel zu Ende war. Danach inspizierte er die Szenerie. 1969 | |
wurde in München wegen des Kommeno-Massakers ermittelt. Zwei überlebende | |
Griechen hatten die 12. Kompanie der Gebirgsjäger als Täter identifiziert. | |
Das Verfahren wurde eingestellt. Begründung der Staatsanwaltschaft: | |
Kommeno, in dem Partisanen Lebensmittel beschlagnahmt hatten, sei „ein | |
wichtiges Versorgungszentrum der Partisanen“ und daher ein legitimes | |
militärisches Ziel gewesen. Von dem Massaker habe Klebe, der sich an keinen | |
toten Zivilisten erinnern konnte, nichts mitbekommen. Nach dem Krieg war | |
Klebe 1956 der erste Kommandeur eines Gebirgsjägerbataillons der | |
Bundeswehr. | |
## Keine Verurteilungen, keine Entschädigung | |
In der Bundesrepublik wurde niemand für das Massaker in Kommeno verurteilt. | |
Auch nicht für die Massenmorde an Zivilisten in Distomo, Kalavrita, | |
Kandanos, Kondomari und etlichen anderen Orten. In Griechenland kennt die | |
Namen dieser Orte fast jedes Kind. In Deutschland kennen sie noch nicht mal | |
Historiker, die auf Zeitgeschichte spezialisiert sind. Diese Verbrechen | |
begingen die SS, die Wehrmacht, vor allem Gebirgsjäger, die noch brutaler | |
als die Waffen-SS operierten. Die Bundesregierung antwortete 2008 auf | |
Anfrage der Linkspartei unbeirrt: „Von einer verbrecherischen Geschichte | |
der Gebirgstruppen zu sprechen, ist historisch falsch.“ | |
Niemand aus Kommeno hat aus Deutschland Geld bekommen. Alle deutschen | |
Regierungen haben seit 1949, mit einer Ausnahme, zäh und erfolgreich | |
griechische Forderungen nach Entschädigung abgewehrt. Es kostete Bonn und | |
Berlin politisch nichts, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Es gibt | |
einzelne Deutsche, die sich engagiert haben. Hermann Frank Mayer, ein | |
Unternehmer aus Hannover, hat die Geschichte des 16. August 1943 und die | |
Verbrechen der Gebirgsjäger in Nordgriechenland penibel recherchiert. | |
Ein Dutzend Jugendliche aus Bergkamen haben im Oktober neben dem Friedhof | |
ein kleines [1][Mahnmal aus Marmorquadern errichtet.] Der Jazzer Günter | |
Baby Sommer hat ein Oratorium "Lieder für Kommeno" geschrieben, das am 1. | |
November in Berlin aufgeführt wird. 2008 erfuhr Sommer zufällig während | |
eines Percussionfestival in Kommeno von dem Massaker 1943. „Ich war völlig | |
schockiert“, so Sommer. „Ich bin nicht abgereist wie geplant, sondern eine | |
Woche dort geblieben. Der Bürgermeister hat mich von Haus zu Haus geführt, | |
und ich habe die Geschichten der Überlebenden und Nachkommen erfahren. Ich | |
habe zugehört. Das war das Beste, was ich tun konnte. Es gab nicht viele, | |
die den Leuten in Kommeno bislang zugehört haben.“ | |
Dort lernte Sommer Maria Labri kennen, die als 12-Jährige druch einen | |
Zufall dem Massaker entkam. Auf der der CD „Songs for Kommeno“ trägt sie | |
das zentrale Stück „Marias Miroloi“, den Klagegesang vor. Beim ersten | |
Treffen hat Maria Labri, erzählt Sommer, „mir 20 Minuten gegenübergesessen | |
und kein Wort gesagt. Sie hat mich nur angeschaut.“ | |
Vassilios Nissiotis, der 1943 fünf Jahre war, hat die Leichen im Dorf nicht | |
gesehen. Er weiß von ihnen aus den Erzählungen des Vaters. Danach hauste | |
die Familie fünf Jahre in einer Schilfhütte, ein paar Kilometer entfernt | |
von dem Ort, an dem Kommeno einmal gewesen war. „Wir hatten Glück: Es war | |
Sommer, im Winter hätten wir vielleicht nicht überlebt“, sagt Vassilios. | |
Sie hatten keine Medikamente, kein Saatgut, kein Haus, kein Geld, keine | |
Schafe, Ziegen, Kühe, Ochsen, Pferde. Die Deutschen hatten alles vernichtet | |
und geraubt. War es nicht schwierig, nach diesem Massaker 1962 nach | |
Deutschland, ins Land der Täter, zu gehen? Vassilios Nissiotis sagt: „Es | |
gab hier keine Arbeit. Kein Geld, nix.“ Er hat sich diese Frage nie | |
gestellt, weil es darauf keine sinnvolle Antwort gegeben hätte. | |
Günter Baby Sommer tritt am Freitag, 2. November auf dem [2][Berliner Jazz | |
Festival] auf. [3][Günter Baby Sommer im Interview.] | |
2 Nov 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youngworkers.de/page/9 | |
[2] http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/jazzfest/jazz_program… | |
[3] /1/berlin/tazplan-kultur/artikel/ | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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