| # taz.de -- Prozess gegen einstigen SS-Wachmann: Anklage nach 70 Jahren | |
| > Beihilfe zu 300.000 Morden: Das Landgericht Lüneburg befasst sich bald | |
| > mit Vorwürfen gegen einen einstigen SS-Wachmann im KZ Auschwitz. Dass das | |
| > Verfahren zustande kommt, ist nicht selbstverständlich. Gegen weiteres | |
| > Lager-Personal wird ermittelt | |
| Bild: Wer hier Dienst tat, kann heute wieder von der Justiz verfolgt werden: Wa… | |
| LÜNEBURG taz | Er war er für das Gepäck der verschleppten Menschen auf der | |
| Bahnrampe von Auschwitz-Birkenau mit zuständig, verbuchte das Bargeld, das | |
| die Neuankömmlinge dabei hatten. 70 Jahre später muss sich Oskar G. nun in | |
| Lüneburg vor dem Landgericht verantworten: wegen „Beihilfe zum Mord in | |
| 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen“. Durch Tätigkeiten wie die des | |
| heute 93-Jährigen „sollten die Spuren der Massentötung für nachfolgende | |
| Häftlinge verwischt werden“, erklärt die Staatsanwaltschaft Hannover. | |
| ## Eile tut Not | |
| Einen genauen Termin habe die 4. Große Strafkammer noch nicht festgelegt, | |
| sagt die Lüneburger Gerichtssprecherin Frauke Albers der taz. Sie selbst | |
| erwarte aber eine rasche Eröffnung des Verfahrens – schon wegen des hohen | |
| Alters von Oskar G. | |
| Insgesamt wirft die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in | |
| Ludwigsburg bundesweit 30 mutmaßlichen Aufseherinnen und Aufsehern aus | |
| Auschwitz-Birkenau „Beihilfe zum Mord“ vor (siehe Kasten). In Hamburg und | |
| Schleswig-Holstein laufen etwa Ermittlungen gegen mehrere Frauen, die zur | |
| Wachmannschaft oder dem sonstigen Personal gehört haben sollen. | |
| Im Falle G.s sah die Staatsanwaltschaft Hannover genügend Indizien für eine | |
| Anklage. Gegen drei weitere Beschuldigte seien die Ermittlungen dagegen | |
| eingestellt worden, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Klinge – wegen dauerhafter | |
| Verhandlungsunfähigkeit oder zwischenzeitlich eingetretenen Todes. | |
| Gut zwei Jahre lang, von 28. September 1942 bis zum 16. Oktober 1944, soll | |
| G. der Anklage zufolge seinen Dienst in der sogenannten | |
| Häftlingsgeldverwaltung von Birkenau versehen haben. Der ehemalige | |
| Waffen-SS-Freiwillige soll das Bargeld von einem Häftlingskommando erhalten | |
| haben, welches Gepäck und Kleidung der Ermordeten durchsuchte. | |
| Allein zwischen dem 16. Juni und dem 17. Juli 1944 trafen mindestens 137 | |
| Züge aus Ungarn in Auschwitz-Birkenau ein, brachten rund 425.000 Menschen | |
| in dass Lager. Aus Sicht der hannoverschen Staatsanwaltschaft muss Oskar G. | |
| davon gewusst haben: Wer nicht für die Zwangsarbeit ausgewählt wurde, den | |
| erwartete ein qualvoller Tod – unter Vorspiegelung, es gehe zum Duschen | |
| oder Baden. | |
| Den Anklägern zufolge wurden bei der „Ungarn-Aktion“ mindestens 300.000 | |
| Menschen in den Gaskammern ermordet. Der Angeklagte selbst hat wiederholt | |
| angegeben, an der Rampe lediglich „Koffer bewacht“ zu haben. | |
| ## Laufende Ermittlungen | |
| Noch keine Anklage erhoben hat in einem verwandten Fall die | |
| Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig: Dort laufen derzeit Ermittlungen | |
| gegen eine Frau, die 1944 zwar nicht zum Wachpersonal gehört, aber in | |
| Auschwitz gearbeitet haben soll. Ob ein Verfahren gegen die ebenfalls über | |
| 90 Jahre alte Frau eröffnet wird, ist ungewiss. Über den Stand der | |
| Ermittlungen dürfe wegen der laufenden Ermittlungen nichts gesagt werden, | |
| heißt es bei der Generalstaatsanwaltschaft. | |
| In Hamburg sind die Ermittlungen gegen eine ehemalige Angehörige des | |
| SS-Wachpersonals von Birkenau dieser Tage teilweise eingestellt worden: Ein | |
| britisches Militärgericht habe die heute 93-jährige Frau schon 1946 zu | |
| sieben Jahren Haft verurteilt, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Hamburger | |
| Anklage – und es dürfe niemand für die gleiche Tat zwei Mal bestraft | |
| werden. Allerdings stehe die Frau weiter „im Verdacht, auch zur | |
| SS-Wachmannschaft im Konzentrationslager Majdanek gehört zu haben“, so | |
| Frombach. | |
| Für das Verfahren in Lüneburg haben 16 Überlebende und Angehörige von | |
| Ermordeten ihre Zulassung für die Nebenklage beantragt. Acht Nebenklagen | |
| wurden schon zugelassen. | |
| 26 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Speit | |
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