# taz.de -- Staatsanwalt über Auschwitzprozessfilm: „Ein normales Strafverfa… | |
> Ex-Staatsanwalt Gerhard Wiese war an der Entstehung von „Im Labyrinth des | |
> Schweigens“ beteiligt. Der Film erzählt von der Zeit vor dem | |
> Auschwitz-Prozess. | |
Bild: Viel zu tun: Alexander Fehling als Staatsanwalt Johann Radmann in einer S… | |
Am Donnerstag läuft der Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ an. Er | |
erzählt die Vorgeschichte des 1. Frankfurter Auschwitzprozesses, der am 20. | |
Dezember 1963 begann. Hauptfigur ist der junge Staatsanwalt Johann Radmann, | |
der sich gegen den Willen seiner Vorgesetzten mit dem Fall eines ehemaligen | |
SS-Manns aus Auschwitz befasst, der unbehelligt an einer Schule lehrt | |
Radmann macht die Bekanntschaft des Journalisten Thomas Gnielka. Gemeinsam | |
finden sie Unterlagen, die es ermöglichen, ein Ermittlungsverfahren gegen | |
Wachpersonal, Ärzte und stellvertretenden Kommandanten von Auschwitz | |
einzuleiten. Unterstützt wird Radmann vom hessischen Generalstaatsanwalt | |
Fritz Bauer. Im Gegensatz zu Bauer und Gnielka ist Johann Radmann eine | |
Kunstfigur, die unter anderem von Gerhard Wiese inspiriert ist. Wiese trat | |
1960 seinen Dienst bei der Staatsanwaltschaft Fulda an. Im Februar 1961 kam | |
er nach Frankfurt, wo er noch heute lebt. | |
Taz: Herr Wiese, die Hauptfigur von „Im Labyrinth des Schweigens“ ist | |
Johann Radmann, der im Auftrag des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz | |
Bauer damit beginnt, den Frankfurter Auschwitzprozess vorzubereiten. Finden | |
Sie sich in dieser Figur wieder? | |
Gerhard Wiese: Die Figur des Johann Radmann ist eine Mischung aus meinem | |
Kollegen Joachim Kügler und mir. Alexander Fehling, der die Rolle des | |
Radmann spielt, macht das sehr gut. Wir haben vor Drehbeginn lange | |
miteinander gesprochen. Er wollte viele Einzelheiten wissen – wie sah Ihr | |
Dienstzimmer aus, was stand auf Ihrem Schreibtisch, haben Sie sich | |
untereinander gesiezt oder geduzt, gab es eine Kaffeemaschine? –, um sich | |
möglichst vertraut mit der Rolle zu machen. Aber so wie diese Rolle | |
angelegt ist, haben wir nicht gearbeitet. Bedenken Sie, das ist ein | |
Spielfilm, der seinen eigenen Regeln folgt. Der Film ist vorzüglich, er hat | |
mir sehr gut gefallen. | |
Sie haben mit Ihren bereits verstorbenen Kollegen Joachim Kügler und Georg | |
Friedrich Vogel die 700 Seiten umfassende Anklageschrift verfasst. Kügler | |
und Vogel haben vorher das Ermittlungsverfahren geleitet. Waren Sie von | |
Anfang an bei den Ermittlungen dabei? | |
Nein, die Ermittlungen von Kügler und Vogel liefen seit 1958. Damals war | |
noch vorgeschrieben, dass bei Kapitalverbrechen eine gerichtliche | |
Voruntersuchung stattfindet. Als ich dazukam, im Herbst 1962, musste die | |
Anklageschrift verfasst werden, dafür brauchten die beiden Unterstützung, | |
und dafür hat mein Chef mich ausgedeutet. | |
Johann Radmann ist ahnungslos. Er hat noch nie von Auschwitz gehört und | |
keinen Begriff vom Ausmaß der Massenvernichtungsmaschinerie, die von den | |
Nazis im Osten Europas in Gang gesetzt worden ist. Ist das eine Metapher | |
für den damaligen Wissensstand der Gesellschaft, oder spiegelt das | |
tatsächlich die fehlende Kenntnis junger Staatsanwälte wieder? | |
Ich hatte von Auschwitz gehört, wie von Treblinka, Dachau und anderen | |
Lagern, aber Einzelheiten, so wie ich sie dann bei Fertigung der Anklage | |
kennengelernt habe: Nein, das war mir nicht bekannt. | |
Der Journalist Thomas Gnielka, der als Fünfzehnjähriger zum Kriegsdienst | |
eingezogen wurde und mit Schulkameraden Häftlinge in Auschwitz-Birkenau | |
bewachen musste, hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Ermittlungen | |
in Gang zu bringen: Ein ehemaliger Häftling übergab ihm Erschießungslisten, | |
die der Lagerkommandanten von Auschwitz unterzeichnet hatte. | |
Es ist richtig, dass Gnielka diese Unterlagen vom SS- und Polizeigericht in | |
Breslau von einem früheren Häftling bekommen hat. Aber es war nicht ganz so | |
wie es im Film dargestellt wird, er hat sie nicht aus dessen Koffer | |
herausgeholt. Und Gnielka ist direkt zu Fritz Bauer gegangen und hat ihm | |
die Unterlagen übergeben. | |
Im Grunde verdanken wir es einem Zufall, dass dieser größte Prozess der | |
Nachkriegsgeschichte stattfinden konnte. | |
Damals, das muss man sich vor Augen halten, waren Anfänge des Verfahrens | |
schon in Stuttgart. Mithilfe dieser Unterlagen war es Bauer aber möglich, | |
beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe Frankfurt als Gerichtsort bestimmen zu | |
lassen. Damit hatte Bauer sein Ziel erreicht. | |
Im Film beginnt die Geschichte damit, dass ein Auschwitzüberlebender im | |
Gymnasiallehrer Alois Schulz ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS aus | |
Auschwitz wiedererkennt. Der Journalist Thomas Gnielka bringt den Fall der | |
Frankfurter Staatsanwaltschaft zu Gehör und wird abgewiesen. Niemand will | |
etwas gegen Schulz unternehmen. Im Gegensatz zu Gnielka ist die Figur des | |
Lehrers Schulz fiktiv, sie steht für den Unwillen von Polizei und Justiz, | |
gegen NS-Verbrecher vorzugehen. Man könnte in Schulz aber den SS-Mann | |
Wilhelm Boger erkennen, gegen den in Stuttgart ermittelt wurde. | |
Boger ist als einer der ersten festgenommen worden, aufgrund der Anzeige | |
eines früheren Häftlings. Die Stuttgarter Kollegen haben daraufhin gegen | |
Boger ermittelt und ihn festgenommen. Ein wichtige Rolle spielte dort | |
bereits Hermann Langbein, der Vorsitzende des Internationalen | |
Auschwitzkomitees, auch er kommt im Film vor. Langbein war in Auschwitz | |
Häftlingssschreiber bei den Ärzten gewesen und hatte da sehr viel | |
mitbekommen. Schon 1945 hatte er ein großes Netzwerk gespannt aus früheren | |
Häftlingen und hörte sie an. Seine Tätigkeit hat sehr viel dazu | |
beigetragen, dass wir an die Zeugen herankamen und wussten, was von ihnen | |
zu erwarten war. | |
Der junge Staatsanwalt Radmann ist irgendwann emotional ausgelaugt. Vorher | |
sah er keine, jetztsieht er überall Nazis. Als er erfährt, dass auch sein | |
eigener Vater Parteimitglied war, und nicht der Widerstand leistende Mann, | |
den die Familienlegende entwarf, wirft ihn das aus der Bahn. Steht Radmann | |
in dieser Hinsicht exemplarisch für Ihre Generation? | |
Bei uns in der Familie war bekannt, wer in der Partei gewesen war. Und die | |
sechs Millionen Parteimitglieder waren nicht alle Verbrecher, sondern viele | |
waren normale Bürger, die nolens volens eingetreten sind, ihren Beitrag | |
bezahlt haben und es damit haben bewenden lassen. Andere waren darüber | |
hinaus natürlich viel stärker involviert, Blockwarte, Goldfasane und was es | |
da alles so gab. Dass Radmann nichts Näheres über seinen Vater weiß mag so | |
vorgekommen sein, aber das und auch seine Reaktion darauf ist nicht | |
exemplarisch, sondern der dramaturgischen Zuspitzung geschuldet. | |
Radmann wird auch dadurch charakterisiert, dass er unbedingt den KZ-Arzt | |
Josef Mengele festnehmen lassen will. Mengele, dieser sympathische Mann, | |
der so scheußliche Verbrechen begangen hat, verkörpere Auschwitz, meint | |
Radmann. War Mengele für Sie als Staatsanwälte ein wichtiges Thema? | |
Mengele war mit Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben. Und mein Kollege | |
Kügler ist mehrfach nach Günzburg, Mengeles Geburtsort, und in die Schweiz | |
gereist, wenn wir Hinweise bekommen haben, dass Mengele dorthin unterwegs | |
ist. Bauer drängte dann darauf: Fahren Sie los. Kügler war Junggeselle, der | |
konnte sich schnell frei machen. Aber es ist ihm nie gelungen, Mengele | |
festzunageln. Mengele ist später bei einem Badeunfall in Südamerika | |
ertrunken. Im Film wird gezeigt, wie Radmann versucht, noch rechtzeitig zum | |
Flughafen zu kommen, weil er sicher ist, dass Mengele auf dem Weg zurück | |
nach Südamerika ist. Das Polizeiauto bleibt auf halber Strecke mit einer | |
Panne liegen, doch Radmann will unbedingt noch Mengele erreichen und rennt | |
los, praktisch ins Nichts, so habe ich diese Szene interpretiert: Trotz | |
allen Bemühens konnte er ihn nicht fassen. | |
Im Film muss Radmann feststellen, dass Fritz Bauer die Ergreifung von | |
Eichmann duch den Mossad wichtiger war. Spätestens als Eichmann entführt | |
wurde, war Mengele gewarnt und tauchte unter. | |
Wir Staatsanwälte wussten, anders als es im Film dargestellt wird, von | |
Bauers Beteiligung an der Ergreifung Eichmann nichts. Das lief top secret, | |
abgesichert durch den damaligen hessischen Ministerpräsidenten und | |
Justizminister Georg-August Zinn. Das haben wir erst hinterher erfahren. | |
Aber Mengele war immer präsent. | |
Der Frankfurter Auschwitzprozess war eine Zäsur, weil er mit der Politik | |
Adenauers gebrochen hat, der ein Programm der „Demokratisierung durch | |
Integration“ ehemaliger nationalsozialistischer Funktionsträger verfolgte, | |
wie es ein Historiker genannt hat. Wie haben Sie diese Politik damals | |
gesehen, und wie sehen Sie sie heute? | |
Ich sehe manches heute anders. Wir hatten damals nicht das Gefühl, dass wir | |
gegen Adenauers Richtlinien vorgegangen wären. Für uns war es zunächst ein | |
normales Strafverfahren, das nach seinen Regeln durchzuziehen war. Als die | |
Anklage fertig war, als die Medien das aufgriffen, als der Prozess am Römer | |
begann, die ganzen anderthalb Jahre, die er dauerte, und als schließlich | |
das Urteil verlesen wurde, das alles hat in der Öffentlichkeit natürlich | |
viel Aufmerksamkeit gefunden. Aber mir, und da kann ich nur für mich | |
sprechen, waren abgesehen vom Fall Hans Globke, der ja reichlich durch die | |
Presse ging, weil er Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger | |
Rassegesetze und von 1953 bis 1963 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer Chef | |
des Bundeskanzleramts war, das Ausmaß nicht bekannt. | |
Es war Ihnen nicht klar, wie viele ehemalige NS-Funktionsträger immer noch | |
oder wieder an wichtigen Stellen saßen? | |
Nein. | |
Fritz Bauer hat einmal gesagt, bis Mitte der Fünfziger hätten Richter und | |
Staatsanwälte das Gefühl gehabt, „den Schluss ziehen zu dürfen, nach der | |
Auffassung von Gesetzgebung und Exekutive sei die juristische Bewältigung | |
der Vergangenheit abgeschlossen“. Bauer hat eine genaue Vorstellung gehabt, | |
warum dieses Verfahren notwendig war. | |
Bauer war, ich sage es mal ganz simpel: Klüger als die anderen. Die lieben | |
Deutschen, so deute ich mir das, waren nach den Nürnberger Prozessen und | |
den folgenden alliierten Militärgerichtsverfahren der Meinung, die | |
Alliierten hätten die Arbeit gemacht und damit sei die Sache erledigt. Erst | |
durch den sogenannten Ulmer Einsatzgruppenprozess ist man hellhörig | |
geworden. Die Politik hat daraufhin die Zentrale Stelle zur Aufklärung | |
nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg geschaffen oder der | |
Justiz aufgedrückt, wie Sie wollen. Dann erst sind die Dinge wirklich von | |
Grund auf aufgearbeitet worden. Aber es war schon so, dass nach '45 etwa in | |
Hessen gut 2.000 Verfahren liefen, die mit Naziverbrechen zusammenhingen. | |
Aber die deutsche Justiz war in ihren Verfahren eingeschränkt, es konnten | |
nur Deutsche angeklagt werden. Da sind Veruerteilungen ergangen wegen | |
Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge, und wir hatten in | |
Frankfurt 1950/51 ein großes Euthanasieverfahren wegen Hadamar. | |
Sie mussten als Staatsanwaltschaft versuchen, Taten anzuklagen, die den | |
Rahmen dessen sprengten, was einen gewöhnlichen Mordprozess ausmacht. Da | |
gab es Täter, die individuell mordeten. Da gab es aber auch Täter, die | |
„nur“ ihre Funktion in der Vernichtungsmaschinerie erfüllten. Wie sind Sie | |
damit umgegangen, dass Sie einem institutionellen Verbrechen | |
gegenüberstehen? | |
Wir haben darauf reagiert, indem wir den Antrag gestellt haben – das | |
Fritz-Bauer-Institut hat mir erst vor einiger Zeit eröffnet, dass ich es | |
gewesen bin, das hatte ich ganz vergessen – die Angeklagten darauf | |
hinzuweisen, dass sie auch wegen Täterschaft oder Beihilfe verurteilt | |
werden können. Weil Auschwitz eine Einheit, eine große | |
Vernichtungsmaschinerie mit vielen Nebenlagern in Monowitz den Buna-Werken | |
und so weiter war. Wir haben entsprechende Anträge gestellt, aber der | |
Vorsitzende des Schwurgerichts hat gleich zu Beginn der Urteilsverkündung | |
gesagt: Wir haben ein Schuldstrafrecht. Kann man die Schuld eines Täters | |
beweisen, wird er verurteilt, kann man es nicht beweisen, wird er | |
freigesprochen. Dadurch kam es zu den Freisprüchen im Prozess. Wenn Sie nun | |
einen Sprung in die Gegenwart machen und an das Urteil der | |
Schwurgerichtskammer in München im Fall John Demjanjuk denken, dann hat | |
München unsere Theorie, in Varianten natürlich, aufgegriffen und Demjanjuk | |
entsprechend verurteilt. Dadurch sind die gut vierzig Wachleute, die still | |
geruht haben in Ludwigsburg, wieder zum Leben erwacht. Man hat für sie | |
einfach keinen Nachweis darüber, was sie gemacht haben. Jetzt hofft man, | |
die Herrschaften sind inzwischen um die 90, vielleicht auf diesem Wege den | |
einen oder anderen noch vor Gericht zu stellen. | |
Es ist erstaunlich, dass das vierzig Jahre gedauert hat. | |
Der Bundesgerichtshof hat sich unserer Auffassung damals auch nicht | |
angeschlossen. Es gibt jedoch einen Rechtsprofessor aus Köln, Cornelius | |
Nestler, der sagt, der Bundesgerichtshof habe unsere Auffassung sehr wohl | |
schon vorher bestätigt. Er verweist auf Urteile im Zusammenhang mit den | |
Lagern Sobibor, Treblinka und Kulmnhof, die reine Vernichtungslager waren, | |
in denen es eine Rampe gab und den Weg in die Gaskammer. Wer dort war, war | |
mit der Vernichtung befasst. Ich habe die Urteile nicht gelesen, das hat | |
Nestler leider erst vor kurzem so deutlich vorgetragen. Aber Auschwitz war | |
eben kein reines Vernichtungslager, daher ergaben sich die Unterschiede in | |
der Rechtssprechung. | |
Fritz Bauer steht nicht im Zentrum des Films, was der Rolle entspricht, die | |
er selbst gewählt hatte: Er wollte wohl als jüdischer Sozialdemokrat, der | |
vor den Nazis ins Exil flüchten musste, im Prozess nicht sichtbar in | |
Erscheinung treten. | |
Wir waren nicht bei der Behörde des Generalstaatsanwalts tätig, wir waren | |
bei der landgerichtlichen Staatsanwaltschaft. Wir hatten natürlich Kontakt | |
mit Bauer, der ohne Frage der Initiator war. Bauer war, das hat man mir | |
erst später erzählt, beim ersten Prozesstag kurze Zeit da, aber | |
unauffällig. Er ist dann nie wieder bei der Hauptverhandlung gesehen | |
worden. Ihm lag daran, dass das zügig durchgeführt wurde. So ein Verfahren | |
in 18 Monaten zu schaffen, da dürfen wir uns schon ein wenig auf die | |
Schulter klopfen. Das wäre so heute wohl nicht mehr möglich. Danach hatte | |
Bauer das, was er wollte: Er hatte die gerichtliche Feststellung, vom | |
Bundesgerichthof bestätigt, was wirklich in Auschwitz geschehen ist, und | |
dann konnte keiner mehr kommen und sagen: Es hat keine Gaskammern gegeben. | |
Wenn man über Fritz Bauer liest, ergibt sich das Bild eines einsamen Manns, | |
der wenig Freunde hat, aber sich gut mit der jungen Generation versteht, | |
und außerdem sehr viel raucht. Wie haben Sie Fritz Bauer erlebt? | |
Er hatte die Angewohnheit, Referendare die bei der Staatsanwaltschaft in | |
Frankfurt zur Ausbildung waren, zu sich zu zitieren, um sie kennenzulernen. | |
Da war eines Tages ich dran. Als er hörte, dass ich Berliner bin, fragte er | |
sofort: Was halten Sie von der Gedächtniskirche? Das war damals aktuell. | |
Soll sie wiederaufgebaut oder abgerissen werden? Als überzeugter Berliner | |
sagte ich natürlich: Die muss wieder aufgebaut, das Ensemble muss | |
wiederhergestellt werden. Quatsch, dummes Zeug, da muss was anderes hin, | |
sagte Bauer. Er hat das nicht böse gemeint, das war sein Temperament, das | |
sofort aus ihm rausbrach. Zum Rauchen sagte er: Wieviel Stunden hat der | |
Tag? 24, ich rauche 18 Stunden. Er rauchte Roth-Händle, alle fünf Minuten | |
eine. Das andere Mal hat er mich zitiert, weil in Ost-Berlin der Prozess | |
gegen Dr. Fischer lief, er war Lager-Arzt in Monowitz. Bauer schickte mich | |
als Prozessbeobachter hin. Ich habe drei Wochen lang den Prozess beobachtet | |
und hinterher Bauer persönlich davon berichtet. | |
Eine der eindrücklichsten Szenen im Film ist eine Abfolge von Gesichtern. | |
Es sind die Gesichter von Überlebenden, die Johann Radmann bei der | |
Vorbereitung des Prozesses ihre Geschichte erzählen, was man im Film aber | |
nicht hört. Wie erinnern Sie die Begegnungen mit den Überlebenden, die als | |
Zeugen eine wesentliche Rolle im Prozess spielten? | |
Ich selbst sah die Zeugen und die Angeklagten erst in der Hauptverhandlung. | |
Es war beeindruckend, wie die Zeugen ihre schrecklichen Erlebnisse | |
wiedergegeben haben, und das unter erschwerten Umständen: Denn im großen | |
Saal des Gallus-Baus saß links der große Block der Angeklagten mit ihren | |
Verteidigern eingerahmt von Polizei. Der Zeuge saß in der Mitte vom Saal | |
mit Blick auf das Schwurgericht. Das war sicher eine große Belastung. Wir | |
haben Zeugen erlebt, die in Tränen ausgebrochen sind, dem Zusammenbruch | |
nahe, so dass wir unterbrechen mussten. Aber wir hatten eine Dolmetscherin, | |
die die Aussagen nicht einfach wörtlich nachplapperte, sondern auch den | |
Tonfall der Zeugen ins Deutsche übertrug. Das war eine sehr große Leistung | |
dieser jungen Frau. | |
Viele der Zeugen haben aber auch Deutsch gesprochen Man kann sich den | |
[1][Tonbandmitschnitt des Prozesses heute im Internet] anhören. | |
Leider hat das Tonband erst funktioniert, als drei Monate vorbei waren. | |
Was ist Ihnen von diesem Verfahren am deutlichsten im Gedächtnis geblieben? | |
Der erste beeindruckende Moment war der Prozessbeginn: Der Plenarsaal, | |
Mitten im Dezember dunkel und beleuchtet, ich komme von der Seite hinein | |
und sehe mir gegenüber diesen Block gutbürgerlicher Menschen, keine | |
Auffälligkeiten, alles normal: das waren die Angeklagten. Presse, Hörfunk, | |
Fernsehen waren da. Das war das erste Bild. Und dann natürlich der | |
persönliche Eindruck vom Lager Auschwitz bei der Ortsbesichtigung. | |
Der Film endet mit dem Beginn des Prozesses. | |
Im Schlussbild des Films hat man mich noch als Komparsen eingesetzt: Der | |
Wiese steht hier am Set herum, der kann doch einen der Zuschauer spielen, | |
die noch in den Saal wollen, hieß es. Der Regisseur sagte: Wiese, ab in die | |
Maske. Dann stand ich in der Mitte der Menschenmenge vor den Saaltüren, | |
durch die sich die beiden Staatanwälte drängeln. Die Türen gehen zu, und | |
Hans Hofmeyers Originalstimme ist zu hören: „Ich eröffne die Sitzung des | |
Schwurgerichts.“ | |
6 Nov 2014 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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