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# taz.de -- „Fritz Bauer Ultras“ in Braunschweig: Fankultur im Feindesland
> „Fritz Bauer Ultras“ am Braunschweiger Staatstheater vom Team um
> Regisseur Christian Weiß belehrt viel und fragt: Was sind wir für ein
> Wir?
Bild: Das sind die „Fritz Bauer Ultras“. Sie empfehlen radikale Zärtlichke…
Demokratie muss man leben, sie ist nicht selbstverständlich, wir müssen
aufpassen, damit sie nicht vor die Hunde geht. Bestreiten lässt sich das
kaum. Und darum darf man sich schon etwas wundern, wie die politisch
versierte, in Recherche und Ausdruck trittsichere Theatergruppe xweiss auf
die Idee kommt, mit kaum mehr als dieser Botschaft einen ganzen
Theaterabend zu bestreiten.
„Fritz Bauer Ultras“ heißt die Produktion, die das Team um Regisseur
Christian Weiß am [1][Braunschweiger Staatstheater] mit dem Ensemble
entwickelt und zur Uraufführung gebracht hat. Wie der Name schon sagt, geht
es an der Oberfläche erst mal auch gar nicht nur um die Demokratie selbst,
sondern um den 1968 verstorbenen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer: berühmt
für die juristische Rehabilitierung [2][der Attentäter vom 20. Juli 1944],
als [3][wesentlicher Impulsgeber der Auschwitz-Prozesse und für die Jagd
auf SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann].
Dieses bewegte Leben ist im Stück bereits vorbei. Bauers weiße Totenmaske
hängt inmitten der Spielfläche, einem schwer greifbaren schwarz-weiß
gekachelten Raum, den Andrea Jensen gestaltet hat. Die Wände sind uneben,
der Flimmereffekt des Musters wird durch anhaltende Licht- und Farbwechsel
noch verstärkt.
Durch Kopfhörer folgt das Publikum historischen Tonaufnahmen und dem, was
fünf Schauspielerinnen in bunten Kapuzenpullis einem Mikro in der
Bauer-Maske erzählen. Gesichter zeigen sie nicht, ihre sportlichen
Bewegungen wirken streng choreografiert: die Titel stiftenden Ultras, wie
man sie vom Fußball kennt. Sie zitieren Bauers Obduktionsbericht und
Ermittlungen zur Todesursache. Denn alles war damals denkbar: eine eitrige
Bronchitis, Suizid oder Mord.
## Die fiktive Bewegung verkauft Fanschals im Foyer
Atmosphärisch ist das außerordentlich dicht. Der technische Aufbau steckt
voller subtiler Irritationen, was Nähe und Perspektive angeht. Die
Geschichte bleibt fragmentarisch und ungeordnet: Fritz Bauer macht sich
kurz vorm Sterben eine Wurst heiß, Fritz Bauer ist im KZ, Fritz Bauer sagt
den berühmten Satz: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.�…
Was als kriminalistisches Puzzle und Psychogramm einer
Ausnahmepersönlichkeit beginnt, fällt schlagartig in sich zusammen, als
sich die intime Aufführung zur Mitte ins Offene wendet. Im Publikum
verschwinden die Kopfhörer und auf der Bühne fallen die Kapuzen. Personen
gewordene Schauspielerinnen referieren nun über Rechtsextremismus von heute
und über die Fritz Bauer Ultras: ihre fiktive Bewegung, die im Foyer echte
Fanschals, Mützen und anderes Merchandise verkauft.
Bauer wiederum wird nun zur ideellen Bezugsfigur und zum Avatar von
Demokratie und Rechtsstaat stilisiert. Dass der Personenkult etwas albern
überdreht, fällt dabei kaum ins Gewicht. Die Ultras sind eh längst mit sich
selbst und zwei Fragen beschäftigt: Was sind wir für ein Wir? Und was lässt
sich gegen das grassierende politische Elend tun? Die Antworten sind so
einfach wie unbefriedigend. „Wir“ sind alle, die es wagen, sich respektvoll
als Mosaik widersprüchlicher Ichs miteinander ins Benehmen zu setzen. Und
tun sollen wir dann … irgendwas: vorpolitische Räume besetzen, einander
aktiv zuhören, radikal-subversiv zärtlich sein.
## Ungebrochen engagierte Kunst stößt an Grenzen
Manchmal stocken die Belehrungen, als wolle man gleich das Publikum
befragen – aber es bleibt dann doch beim Selbstgespräch. So gut gemeint das
auch ist: Ungebrochen engagierte Kunst stößt an Grenzen, wo sie Rechten als
Moralpredigt erscheint und Linken als Selbstverständlichkeit.
Inhaltlich irritiert vor allem, wo dem begeisterten Mitmachen unterwegs
eigentlich die Skepsis gegenüber Staat und Kollektiv abhandengekommen ist.
Anfangs war noch klar, dass Fritz Bauer dem eigenen Apparat kaum über den
Weg traute. Mag sein, dass man einen dialektischen Dreh im Sinn hatte. Auf
der Bühne misslingt der Stunt aber gewaltig: Fritz Bauer von der großen
humanistischen Ausnahme im System zu dessen Symbolfigur zu machen.
18 Nov 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Fritz Bauer
Auschwitz-Prozess
Theater
Kolumne leibesübung*innen
Theater
Holocaust-Gedenktag
Antisemitismus
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