# taz.de -- Tagung Film im Konzentrationslager: Dokumente der Täuschung | |
> Theresienstadt gilt vielen als vergleichsweise harmloses Lager. Dieses | |
> Image gründet sich auch auf einen dort entstandenen beschönigenden Film. | |
Bild: Aufnahme aus Theresienstadt, 1942. Rechts im Bild: der SD-Kameramann Olaf… | |
Wer in Theresienstadt nicht an schlechter Ernährung oder einer Krankheit | |
starb, wurde früher oder später in eines der deutschen Vernichtungszentren | |
im Osten transportiert. „Transport“ war ein schreckenerregendes Wort in | |
diesem deutschen Lager im „Protektorat Böhmen und Mähren“, das zwischen | |
1941 und 1945 bestand. | |
Von Transporten ist aber nichts zu sehen in dem 1944 unter der Ägide der SS | |
in Theresienstadt gedrehten Film „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus | |
dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Er stand im Zentrum einer vier Tage | |
dauernden Konferenz in Terezin, wie Theresienstadt heute heißt. Sie hatte | |
den Titel „Filme aus Ghettos und Lagern: Propaganda – Kassiber – | |
Historische Quelle“. | |
Jahrzehntelang war der Film unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden | |
eine Stadt“ bekannt. Vermutlich stammte er von Insassen des Lagers, die | |
damit ihrem Sarkasmus Ausdruck gaben. Theresienstadt, das teils wie ein | |
Ghetto, teils wie ein Konzentrationslager organisiert war, ist in diesem | |
Film als utopischer Ort dargestellt, der außerhalb des vom Krieg | |
verwüsteten Europa zu liegen scheint. | |
Die Erwachsenen gehen spazieren, sitzen im Café und arbeiten im Garten. Ein | |
Kinderchor singt die Oper „Brundibar“. Ein Fußballspiel findet statt. | |
Fröhliche Kinder essen Brote. Die Betrachterin des Films kann nicht wissen, | |
dass die Szene dreimal gedreht werden musste, weil die Kinder hungrig waren | |
und die Brote schon verschlungen hatten, bevor die Kamera lief. | |
## „Stadtverschönerung“ | |
Der Film ist ein Dokument der Täuschung, er steht in direktem Zusammenhang | |
mit dem Projekt „Stadtverschönerung“: Der dänische König hatte auf eine | |
Inspektion des Lagers durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz | |
gedrängt, weil er wissen wollte, wie es seinen 476 Landsleuten geht. Um | |
sich auf den Besuch der Delegation vorzubereiten, die im Juni 1944 ins | |
Lager durfte, wurde Kosmetik betrieben und eine Infrastruktur mit | |
Bekleidungsgeschäften und eigener Lagerwährung vorgetäuscht. Zugleich ließ | |
die SS Tausende in die Vernichtungslager deportieren, damit das Lager | |
weniger überfüllt erschien. | |
Die „Stadtverschönerung“ erfüllte ihre Aufgabe. Das Rote Kreuz war | |
zufrieden, eine Inspektion von Auschwitz wurde nicht mehr für nötig | |
befunden. Wenige Wochen später begannen die Dreharbeiten für den Film, der | |
das Bild einer musterhaften Gemeinschaft im fiktiven „selbstverwalteten | |
jüdischen Siedlungsgebiet“ festhält. Er war wohl 90 Minuten lang. Heute | |
liegen davon nur noch 8 Minuten des Anfangs und 15 Minuten vom Ende vor. | |
Der holländische Historiker Karel Margry konnte schon 1992 plausibel | |
erklären, dass dieser Film seinen Ursprung weder in Goebbels’ | |
Propagandaministerium hatte noch im Büro von Reinhard Heydrich, dem | |
Stellvertretenden Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, konzipiert wurde. | |
SS-Sturmbannführer Hans Günther, der die Zentralstelle zur Regelung der | |
Judenfrage der Gestapo in Prag leitete, beauftragte die | |
Filmproduktionsfirma Aktualita mit der Herstellung des Films. | |
Margrys gut begründete These ist, dass Günther den beliebten deutschen | |
Sänger, Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron engagierte, nachdem dieser | |
am 26. Februar 1944 nach Theresienstadt deportiert worden war. Dass Gerron | |
in der Filmgeschichte als Regisseur geführt wird, sei aber irreführend, da | |
die SS Gerron genauestens überwachte, und der Chef der Aktualita, Karel | |
Peceny, bald als De-facto-Regisseur agierte. | |
## Unklare Bedeutung | |
So klar auch einige historische Fakten erscheinen, so unklar bleibt die | |
Bedeutung des Films: Welche Absicht verfolgte er? An wen war er adressiert? | |
Wie ist zu erklären, dass er der üblichen antisemitischen Propaganda | |
widerspricht? | |
Die junge deutsche Historikerin Anja Horstmann zeigte in ihrem Vortrag über | |
einen SS-Film über das Warschauer Ghetto, wie das Bild „des Juden“ hier | |
klar der herrschenden Ideologie entsprach. Der Schnitt der Arbeitskopie aus | |
dem Frühjahr 1942 etabliert ein Nebeneinander von schreiender Armut und | |
opulentem Reichtum und zeichnet das Bild einer dysfunktionalen jüdischen | |
Gesellschaft ohne kollektiven Zusammenhalt. | |
Ähnlich verfährt Fritz Hipplers „Ewiger Jude“ von 1940. Eines seiner | |
wesentlichen Topoi ist die Gegenüberstellung arischer und jüdischer Arbeit, | |
argumentiert der tschechische, seit vielen Jahren in den USA lehrende | |
Historiker Jindrich Toman: Arische Arbeit ist kreativ und kollektiv, sie | |
zeigt sich im Bild der „denkenden Hände“ an Maschinen. Jüdische „Arbeit… | |
hingegen verwandelt nützliche Dinge in bloße Objekte des Kommerz. | |
Diese klassische antisemitische Gegenüberstellung wird im „Dokumentarfilm | |
aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ auf den Kopf gestellt. Hier gibt es | |
muskulöse jüdische Männerkörper genauso wie die schöpferischen Hände | |
jüdischer Töpferinnen und die sorgenden Hände jüdischer Ärzte. Toman meint | |
daher, bei dem Theresienstadt-Film könne man nur von gescheiterter | |
Propaganda sprechen, weil man dieses positive Bild mit dem negativen | |
nationalsozialistischen Klischee des Juden nicht vermitteln könne. | |
## Es geht weniger um die Juden | |
In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass dieser Film einem deutschen | |
Publikum gezeigt werden sollte. Da er die erfolgreiche Täuschung der | |
„Stadtverschönerung“ in filmische Form brachte, könnte er für ein Publik… | |
außerhalb des von der Wehrmacht besetzten Europa gedacht gewesen sein. | |
Vielleicht war er auch als Dokument konzipiert, das die Zeit nach | |
Kriegsende in den Blick nahm. Der „Dokumentarfilm aus dem jüdischen | |
Siedlungsgebiet“ könnte, die Niederlage im Blick, als Beweismittel für | |
einen zukünftigen Prozess gedacht gewesen sein. All das wird als | |
Möglichkeit auf der Tagung diskutiert. Einig ist man sich, dass es in | |
diesem Film weniger um die Juden als vielmehr um die Deutschen geht. | |
Wenn aus zersetzenden Juden nun doch noch produktive Menschen geworden | |
sind, ist das in der Logik der Filmerzählung der wohlwollenden Führung | |
durch deutsche Herrenmenschen zu verdanken. Diese groteske Botschaft wird | |
zu einer Zeit formuliert, als Himmler vor deutschen Funktionsträgern | |
erklärt: Die Ausrottung der Juden „durchgehalten zu haben und dabei […] | |
anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals | |
geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“. | |
Der Film von 1944 propagiert die offizielle Lesart deutscher | |
„Anständigkeit“. | |
Unter dem Vorbehalt, dass auch den Filmen aus Theresienstadt ein | |
„Nazi-Blick“ (Jeremy Hicks) zugrunde liege, wurde die Frage diskutiert, ob | |
sie dennoch „mehr enthalten als das, was die SS mit ihnen vorhatte“, wie | |
die Historikerin Natascha Drubek in ihrer Einladung zur Konferenz | |
formuliert hatte. Die Animationsfilmerin Irena Dodalova war für das erste | |
Theresienstädter Filmprojekt von 1942 als Regisseurin verpflichtet worden. | |
Sie brachte im Februar 1945 eine Schachtel mit Filmfragmenten von insgesamt | |
vier Minuten Länge in die Schweiz. | |
Auf den aneinandergeschnittenen Schnipseln, die der Hamburger | |
Filmwissenschaftler Thomas Tode anhand bestimmter Merkmale wie | |
Überbelichtung und falscher Aufnahmegeschwindigkeit als übrig gebliebene | |
Anfänge und Endstücke einzelner Shots erkannte, können Mitglieder des | |
Filmteams des Sicherheitsdiensts der SS identifiziert werden. Während diese | |
Aufnahmen so tatsächlich als Kassiber angesehen werden können, blieb die | |
Idee, dass in den Aufnahmen jüdischer Hilfskameraleute klandestine | |
Botschaften enthalten sein könnten, umstritten. | |
## Widerstand vs Kollaboration | |
Dass es ein unerwartetes „Mehr“ in diesen Bilder gibt, zeigte sich, als | |
Dagmar Lieblova auf den Aufnahmen von 1942 alle ihre Freundinnen aus dem | |
Haus L-410 beim Namen nennen konnte, von denen nicht alle überlebten. Für | |
die emeritierte Germanistikprofessorin aus Prag ist der Filmausschnitt | |
trotz der Umstände seiner Entstehung eine Postkarte aus der Vergangenheit. | |
Der tschechische Diskurs über Theresienstadt wird immer noch stark von der | |
Gegenüberstellung von Widerstand und Kollaboration beherrscht. Insofern war | |
es erhellend, tschechoslowakische Filme der Nachkriegszeit zu sehen. | |
Während Alfred Radoks Film Noir „Distant Journey“ über ein bürgerliches, | |
christlich-jüdisches Ehepaar nur in der Provinz gezeigt werden durfte, weil | |
er der Partei insgesamt "zu jüdisch" war, vermittelte Zbynek Brynychs | |
„Transport from Paradise“ von 1962 eine antitotalitäre Botschaft, die sich | |
gegen die antisemitisch geprägte Kommunistische Partei richtete. | |
„Transport from Paradise“ zeigt gleich am Anfang die Dreharbeiten zu einem | |
Propagandafilm im Ghetto und macht deutlich, dass das Moment der Täuschung | |
bereits in der Struktur des Lagers angelegt ist. Die Listen für den | |
Transport in den Osten musste der Theresienstädter Judenälteste | |
unterschreiben: Die SS hatte mit den Deportationen formal nichts zu tun. | |
Der amtierende Judenälteste weigert sich, sie zu unterschreiben, und wird | |
selbst deportiert. Sein Nachfolger Murmelstein erscheint im Film als | |
zwielichtige Gestalt. | |
Die deutsche Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch sprach am letzten Tag der | |
Konferenz darüber, wie Claude Lanzmann in seinem jüngsten Film Benjamin | |
Murmelstein Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Einmal gesehen, kann man | |
nicht mehr verschwinden. Das ist ein Sicherheitsfaktor“, erklärt | |
Murmelstein seine Strategie der Sichtbarmachung. Wie Gertrud Koch zeigte, | |
war das nicht nur praktisch gedacht. Nur wer sichtbar ist, der existiert | |
auch, lehrt die Philosophie der alten Griechen. | |
11 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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