# taz.de -- Leben und Arbeiten in der Nazi-Zeit: Bilder einer Zwangsverbindung | |
> Eine Ausstellung zeigt beeindruckende Fotos der einst mächtigen Bremer | |
> Wollkämmerei aus der Zeit des Nationalsozialismus. Leider hat sie zu | |
> wenig Platz. | |
Bild: Zum 50. Firmenjubiläum der Bremer Wollkämmerei wurden 1934 viele Hakenk… | |
BREMEN taz | Die Bremer Wollkämmerei (BWK) war mal das, was man heute einen | |
großen Player nennt. Ein Weltunternehmen der Textilbranche. 5.000 | |
ArbeiterInnen waren einst in Blumenthal beschäftigt, um Schafwolle und | |
Chemiefasern zu verarbeiten, auf einem Gelände, das größer ist als der | |
Vatikan. 2009 machten sie die Firma nach 125 Jahren dicht. Nun beleuchtet | |
eine kleine, engagierte Foto-Ausstellung das Leben und die Arbeit in der | |
BWK zu Zeiten des Nationalsozialismus. | |
Dabei geht es um mehr als nur die Geschichte eines Unternehmens, das | |
langsam in Vergessenheit gerät. Denn die BWK war nicht einfach nur die | |
wichtigste Firma am Ort. Die BWK war der Ort. Blumenthal ist nur ein | |
kleines Fischerdorf außerhalb des Zollgebietes, als einige Konsuln und | |
Kaufleute 1883 hier eine Aktiengesellschaft gründen. Der Ort gehörte | |
seinerzeit zur preußischen Provinz Hannover – und erst seit 1939 zu Bremen. | |
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden ganze Straßenzüge, um | |
Werktätige mit Wohnraum zu versorgen. | |
Ähnlich wie die untergegangene Vulkan-Werft nebenan ist auch die BWK dem | |
System der Nazis „zwangsverbunden“. Überhaupt gibt es in Bremen-Nord viele | |
Orte, die eng mit dem Nationalsozialismus verknüpft sind: Der U-Boot Bunker | |
Valentin etwa, damals das größte Rüstungsprojekt der Marine, das größte | |
künstlich angelegte unterirdische Tanklager der Welt oder die Bahrsplate, | |
ein Außenlager des KZ Neuengamme. In dem heute parkähnlichen Gelände an der | |
Weser lebten einst auch ZwangsarbeiterInnen der BWK. 1944 beschäftigte die | |
Firma 1.198 von ihnen. | |
## Zwangsarbeiter "ordentlich verpflegt" | |
Doch während die Nazis am Bunker Valentin „ein Vernichtungslager“ | |
betrieben, in dem Tausende der über 10.000 ZwangsarbeiterInnen starben, | |
wurden die Gefangenen in der BWK „ordentlich und ausreichend“ verpflegt, | |
sagt Detlef Gorn, Ausstellungsmacher und Vorsitzender des Fördervereins | |
Kämmereimuseum; sie bekamen sogar 80 Prozent dessen, was Deutsche an Lohn | |
erhielten. Auf einem Foto der Ausstellung sind französische Kriegsgefangene | |
zu sehen, die jedenfalls nicht ausgemergelt sind. Andere hingegen zeigen | |
riesige Wellblechbaracken mit Holzpritschen. Oder Kinder, vermutlich aus | |
Osteuropa, vermutlich wie ihre Eltern im Arbeitseinsatz. Auch wenn das Bild | |
unterm Weihnachtsbaum aufgenommen ist: Die Stimmung der Gesichter ist sehr | |
bedrückend. | |
In der BWK arbeiteten osteuropäische Wanderarbeiter schon lange vor dem | |
Krieg. Seit 1890 wurden in Polen, in Pommern, in Schlesien verstärkt | |
Arbeitskräfte rekrutiert. Die Nadolskis und Kowalskis finden sich bis heute | |
in Blumenthal wieder, zu Zeiten der Machtübernahme war fast die Hälfte der | |
örtlichen Bevölkerung polnischen Ursprungs, sagt Gorn. Die BWK überstand | |
die Nazi-Zeit als weitgehend intaktes Unternehmen, noch die Bilanz von 1945 | |
weist einen Gewinn aus, schlägt eine Dividende vor. Selbst von den | |
Alliierten blieb die BWK ziemlich verschont, gezielte Bombardements blieben | |
aus. Das könnte etwas mit dem englischen Kapital in den Firmenbilanzen zu | |
tun haben, vermutet Gorn, oder mit dem Umstand, dass die damaligen Chefs | |
„weniger NS-hörig“ waren. | |
## Vormittags in der Firma, nachmittags im Parteibüro | |
Dabei pflegte die NSDAP enge Verbindungen ins Unternehmen. Rathaus, | |
Parteibüro und die Wollkämmerei lagen ganz dicht beisammen. Fotos zeigen | |
Frauen, die morgens in der Firma und nachmittags für die Partei arbeiten. | |
Die Vorstände der BWK, sagt Gorn, seien indes „eher moderat“ eingestellt | |
gewesen und hätten sich im NS-Regime „nie in den Vordergrund gespielt“. | |
Aber wenn der Führer zum Volk sprach, wurden die Maschinen angehalten und | |
die Arbeiter in der heute denkmalgeschützten Fliegerhalle versammelt. | |
Lehrlinge wurden auch an der Flak ausgebildet, für die Frauen gab es | |
Mütterkurse, die das Rollenbild der Nazis lehrten, aber auch, 1939, | |
Russisch. Die Ertüchtigung durch Werksport nahm breiten Raum ein. Und die | |
Feier zum 50. Firmenjubiläum – 1934 war das – ist reichlich von | |
Hakenkreuz-Fahnen gesäumt. Die seien hier schon sehr früh sehr präsent, | |
sagt Gorn, deutlich stärker als nebenan auf der Vulkan-Werft, sagen | |
Zeitzeugen. Vielleicht auch, um die vielen Polen einzuschüchtern. | |
Über 150 Fotos zeigt die Ausstellung, Gorn hat noch viel mehr davon. Dicht | |
an dicht hängen sie, ungerahmt, an den Wänden der Alten Bücherei. Es ist | |
ein kleiner, schmuckloser 60er-Jahre-Bau, der heute von Künstlern genutzt | |
wird, damit er nicht verfällt. Die Ausstellung zeigt hier eine | |
beeindruckende Sammlung, hinterlässt viele Eindrücke. Dazu gibt es einen | |
sehr sehenswerten, längeren Dokumentarfilm von 1937, ergänzt um neuere | |
Bilder und Zeitzeugenberichte. Und einen „Grabbeltisch“, wie Gorn ihn | |
nennt, auf dem lose jene Fotos liegen, für die an der Wand wirklich kein | |
Platz mehr war. | |
## "Dem Werk ein Denkmal setzen" | |
Die Ausstellung hätte viel mehr verdient – eine professionellere | |
Präsentation, größere Räume, mehr erklärende Texte. Doch an Gorn, der weder | |
Historiker ist noch früher in der BWK arbeitete, liegt es nicht. Man muss | |
schon froh sein, dass es diese Schau nun, für kurze Zeit, überhaupt gibt. | |
Er wolle „dem Werk ein Denkmal setzen“, sagt Gorn, und sammeln, | |
konsolidieren, was von ihm übrig ist. Die bestechend scharfen, qualitativ | |
hochwertigen Fotos – mit denen das Werk sich selbst porträtierte – sind | |
heute schon digitalisiert. | |
Dabei wurde die Arbeit der BWK seit 1883 vom Unternehmen zwar bestens | |
archiviert, als die Firma dicht gemacht wurde, landete aber vieles im | |
Container. Manches konnten die Leute um Gorn retten. Heute träumt er von | |
einem eigenen BWK-Museum auf dem alten Werksgelände. | |
## ■ bis 30. August, Landrat-Christian-Straße 109, Bremen-Blumenthal. Di, | |
Do, Sa, 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei | |
25 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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