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# taz.de -- Historiker über Archive und Überwachung: „Big Data erfordert an…
> Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in
> Postdam, spricht über Archivierung und Überwachung – damals und heute.
Bild: Lauschangriff um 1912: Telefonistinnen in der Vermittlungsstelle
taz: Herr Bösch, Edward Snowden hat im letzten Jahr offenbar gemacht, dass
unsere Computerkommunikation in totalem Ausmaß überwacht wird. Was hat Sie
als Zeit- und Medienhistoriker mehr überrascht, die Tatsache der
Überwachung oder unser Erstaunen darüber?
Frank Bösch: Die Überraschung darüber, dass Kommunikation überwacht wird,
dürfte eigentlich nicht so groß sein. Dass das nicht erst mit dem digitalen
Zeitalter anfing, war ja bekannt. Dank des Postmonopols musste auch in
Westdeutschland jedes Telefongespräch oder Telegramm erst mal durch den
Kanal einer Behörde und war also prinzipiell vom Staat kontrollierbar.
Auslandsgespräche mussten noch bis in die 1970er Jahre beim Fräulein vom
Amt angemeldet werden. Dass es in den 50er und 60er Jahren in der BRD eine
millionenfache Überwachung von Telefongesprächen und Briefen gegeben hat,
das hat ja auch jüngst die Arbeit von Jürgen Foschepoth gezeigt. Der
NSA-Skandal schärft jedoch den Blick auf frühere Überwachungsformen.
Das überwachte Individuum ist also eine historische Konstante der Moderne?
Konstant war die Überwachung nicht, aber ihre Tradition reicht weit vor die
Zeit der Diktaturen und elektronischen Medien zurück. Im Kaiserreich etwa
wurden selbst die Kneipengespräche von Arbeitern abgelauscht. In Hamburg
etwa findet sich ein Bestand von 20.000 Spitzelberichten, die den
politischen Small Talk beim Bier festhielten, um Stimmungen im Volk
auszumachen.
Ordentlich abgelegt in Karteikästen?
Abgeheftet in Leitzordnern. Da sind Polizisten inkognito in die Kneipen
gegangen und haben mitgeschrieben, was die Leute über Politik und
Gesellschaft reden. Und die Leute wussten auch, dass da potenziell Spitzel
mit am Tisch sitzen. Der überwachte Mensch, aber auch das Bewusstsein von
der Überwachung, das hat eine lange Geschichte. Gerade hier in Deutschland
mit seiner starken Polizeitradition, schon vor Nationalsozialismus und DDR.
Also auch das Bewusstsein um die Überwachung ist eine historische
Konstante?
Ja, wir haben dieses überwachte Individuum, das immer damit rechnet, dass
alles, was es tut, in irgendeiner Form weitergereicht wird. Die
linksalternativen Proteste dagegen zeigen, wie verbreitet diese Furcht
bereits vor 40 Jahren war. Viele Leute versuchten, sich damit zu
arrangieren, sich neue Räume des Privaten und nicht Einsehbaren zu
schaffen, Schutzmechanismen zu entwickeln, um nicht die viel zitierte Nadel
im Heuhaufen zu werden. Die Rasterfahndung Ende der 70er Jahre zeigte dann
jedoch, dass genau diejenigen als verdächtig auffallen, die keine Daten
hinterlassen, weil sie etwa bar bezahlen oder sich nicht registrieren.
Das Ganze ist ein ewiger Kreislauf von Geheimhaltung und Enthüllung?
In dem Moment, wo Dinge transparent gemacht werden, entstehen neue
Geheimhaltungen. Das kann man auch in der Entwicklung der Außenpolitik im
20. Jahrhundert sehen. In dem Moment, wo wir auch dank verschärfter
medialer Beobachtung neue Einsichten in arkane Bereiche der Politik
erhalten, entstehen neue geschützte Bereiche und verändert sich das
Kommunikationsverhalten. Das ist wie in der Architektur. Wir bauen mit mehr
Glas, um Transparenz zu zeigen, aber hinter dem Glas gibt es Innenhöfe, die
nicht einsehbar sind, Etagen, in die man nicht reinkommt, wo Gatekeeper den
Zugang abwehren. Und so ist es auch in der Kommunikation. Jede
Geheimhaltung zieht neue Techniken nach sich, das Geheimnis zu knacken,
aber eben auch neue Strategien, um Kommunikation zu schützen. Und wenn man
seit der NSA-Affäre nun stärker auf digitale Verschlüsselung zurückgreift,
so werden auch darauf neue Technologien folgen, die das wieder zu knacken
versuchen.
Wenn das Vertrauen in geschützte Kommunikation so erschüttert wird wie
jetzt im Fall der NSA-Überwachung, welche Folgen hat das für die Quellen
der Zeit- und Mediengeschichte?
Für die Geschichtswissenschaft ist die Angst vor dem Geheimnisverrat ein
großes Problem gewesen. Aus Vorstandsprotokollen von Parteien in den 50er,
60er Jahren z. B. kann man als Historiker noch viele Informationen ziehen.
Wenn man das mit Akten der Zeit um 1980 vergleicht, dann sind die so
kryptisch und aussagearm, das gleicht schon fast einer Pressemitteilung.
Aus Angst, dass die Dinge an den politischen Gegner gelangen, dass man
Spuren hinterlässt und Teil einer Medienkampagne wird, wurde immer mehr
mündlich gemacht und Notizen sehr allgemein gehalten. Die Angst vor dem
Vertrauensbruch ist insofern für die Historiker tatsächlich ein Problem.
Das ändert sich dann aber wieder in den 1990er Jahren?
Die Rückkehr zur Schriftlichkeit mit der Verbreitung der digitalen
Kommunikation, E-Mails etc. bedeutet für die Geschichtswissenschaft
zunächst einmal eine Verbesserung, weil viel von der mündlichen
Kommunikation nun doch wieder verschriftlicht wird. Und es ist weiterhin
so, dass in Behörden auch die E-Mail-Kommunikation bei wichtigen Vorgängen
ausgedruckt und abgezeichnet wird. Insofern gibt es in den Ministerien
weiterhin eine sehr starke Schriftlichkeit. Und auch die Abhörpraktiken
schaffen für die Historiker natürlich neues Material.
Der Datenüberfluss des digitalen Zeitalters erreicht damit aber auch die
Geschichtswissenschaft?
Künftige Historiker haben ein doppeltes Problem. Einerseits gibt es zu
viele Daten – und das ist eine Entwicklung, die sich seit dem Aufkommen des
Kopierers abzeichnet. Die Dokumentenflut nimmt wahnsinnig zu, weil alles
Mögliche und auch sehr viel Unwichtiges vervielfältigt wird. Ein
Selbstdarstellungsdrang, der immens viel Gedrucktes produziert. In welcher
Form das alles bewahrt werden soll, ist noch offen und wird in den Archiven
auch verhandelt. Für Historiker heißt das methodisch, dass sie sich, wie
die Geheimdienste auch, im Umgang mit Big Data schulen müssen. Das
erfordert andere Fragestellungen, nicht mehr alles Überlieferte zu lesen,
Arbeiten mit Stichworten und digitalen Suchstrategien, um Begriffe und
Themen rauszusieben. Wie sich das entwickelt, die Chancen die damit
einhergehen, aber auch die Verluste, das ist noch völlig offen.
Andererseits gibt es gleichzeitig einen neuen Datenmangel?
Grundsätzlich problematisch ist natürlich, ganz banal, dass elektronische
Daten viel schneller gelöscht werden können als millionenfache Papierdaten.
Wäre die Stasi schon durchdigitalisiert gewesen, hätte sie mit ein paar
Klicks ihr ganzes Erbe vernichten können. Die Aktenvernichtung per Hand
dagegen dauert entschieden länger und insofern ist da auch genug übrig
geblieben.
Unsere Zeit ist ja nicht nur durch Transparenz- und
Veröffentlichungsimperative gekennzeichnet, sondern gleichzeitig durch den
unverminderten Trend der Privatisierung von Staatsaufgaben. Dank Snowden
wurde auch ein Licht auf die Tatsache geworfen, dass inzwischen etwa 70
Prozent des US-amerikanischen Intelligence-Budgets an private
Sicherheitsfirmen gehen. Auf deren Firmenarchive haben die Öffentlichkeit
und die Wissenschaft ja gar keine Zugriffsrechte mehr. Wie schreibt man die
Geschichte zum Beispiel von Google ohne Zugang zu deren Firmenarchiv?
Tatsächlich ist bei nichtstaatlicher Kommunikation die Überlieferung viel
ungeregelter, es gibt weniger Überlieferung und viel weniger
Geschichtsbewusstsein, als das bei staatlichen Behörden der Fall ist. Wir
sehen das hier am Institut gerade bei einer Studie zu RTL, wo erstmalig
auch RTL-Akten ausgewertet werden. Intuitiv und auf die Gegenwart bezogen,
wäre ich da auch erst mal eher pessimistisch. Der Rückblick auf die
Geschichte zeigt aber, dass am Ende doch relativ viel Material verfügbar
wird. Nehmen Sie die zahlreichen Studien zu Unternehmen im
Nationalsozialismus. Die Dresdner Bank zum Beispiel, da dachte man auch
zuerst, dass der Prozess der Enteignung der Juden nicht mehr
rekonstruierbar ist. Tatsächlich aber gab es genügend Akten, um zu zeigen,
wie sich die Bank damals bereichert hat. Und auch Unternehmen wie Google
bewahren interne Dokumente auf, die ihre Entwicklung dokumentieren.
Über die gegenwärtige Überwachungsproblematik kann man sich schon jetzt auf
hohem Niveau informieren. Müssen Sie nicht Sorge haben, dass die Sachen
zeitgenössisch schon auserzählt sind, ist das eine Konkurrenz, die man als
Historiker früher so nicht hatte?
Kann ein Historiker die Regierungszeit Angela Merkels anders erzählen als
ein Journalist im Tagesgeschäft? Ja, auf jeden Fall. Er wird andere Quellen
zur Verfügung haben. Er wird trotz des Wandels in der Datenwelt und des
Geheimhaltungsproblems Einsicht darin erhalten, wie Entscheidungen intern
getroffen wurden. Außerdem können wir die Zeit Merkels aus einem anderen
Abstand bemessen. Ob sie die Finanzkrise so glänzend gemeistert hat, wie
man das heute oft liest, kann sich in zehn Jahren schon ganz anders
darstellen. Der zeitliche Abstand erlaubt eben ein ganz anderes Urteilen
als aus der Gegenwart heraus.
20 Aug 2014
## AUTOREN
Eva Berger
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Big Data
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