# taz.de -- Hamburg digitalisiert das Recht: „Das Recht ist nicht mehr effekt… | |
> Die Papierakte verschwindet 2022 aus dem Rechtswesen. Was die | |
> Kommunikation erleichtert, öffnet aber auch Hackern Tür und Tor. | |
Bild: Digitaler Vorreiter: Hamburgs Justizsenator Till Steffen. | |
HAMBURG taz | Hamburgs grüner Justizsenator Till Steffen hat eine | |
Überzeugung: „Die digitale Justiz der Zukunft arbeitet online und | |
papierlos.“ Und diese Zukunft skizzierte er gestern Abend in seiner | |
Antrittsrede vor der Prominenz des Hamburger Rechtswesens. Die Gesellschaft | |
Hamburger Juristen, der Hamburgische Richterverein und der | |
Kommunikationsverein Hamburger Juristen hatten den seit Mai amtierenden | |
Senator zu einer Standortbestimmung geladen – und die bekamen sie. | |
„Das Recht hält mit dem digitalen Wandel nicht mehr Schritt“, stellte der | |
42-jährige Jurist Steffen klar: „Das Recht ist nicht mehr effektiv.“ | |
Deshalb laute die Herausforderung, wieder die „Spielregeln“ zu bestimmen. | |
„Wir müssen die Gestaltungshoheit zurückgewinnen“, forderte er vor den et… | |
100 hochrangigen VertreterInnen des Rechtswesens in der Grundbuchhalle des | |
Ziviljustizgebäudes. Und diese Gestaltungshoheit verbirgt sich für Steffen | |
unter dem Stichwort „elektronische Akte“. | |
## Als Vorkämpfer profilieren | |
Denn ab 2022 besteht für Behörden und Rechtsanwälte die Pflicht zum | |
elektronischen Rechtsverkehr, das hat der Bundestag vor zwei Jahren mit dem | |
eJustice-Gesetz beschlossen. Damit stehen auch die norddeutschen | |
Bundesländer vor tiefgreifenden Änderungen ihres Rechtswesens, und Steffen | |
ist offensichtlich gewillt, sich auch bundesweit als Vorkämpfer der | |
Reformer zu profilieren. Die elektronische Akte müsse „effizienter, | |
flexibler und einfach besser als die Papierakte sein“, forderte er. | |
Das aber stellt ganz neue Herausforderungen an die Datensicherheit und auch | |
an die Bewahrung der anwaltlichen Schweigepflicht, denn simples Mailen | |
scheidet als viel zu unsicher aus. Wenn aber die Gerichte, | |
Staatsanwaltschaften, Rechtsanwaltskanzleien und auch Gutachterbüros in | |
einem eigenem System vernetzt sein werden, „muss dieser elektronische | |
Rechtsverkehr selbstverständlich höchste Anforderungen an den Datenschutz | |
und die Informationssicherheit erfüllen“, sagte Steffen. So | |
selbstverständlich aber, siehe NSA-Abhörskandal, ist das keineswegs. | |
Es sind problemlos Verfahren zum Beispiel in den Bereichen | |
Wirtschaftskriminalität oder organisierter Kriminalität vorstellbar, in | |
denen Beschuldigte nicht nur Interesse an staatsanwaltschaftlichen | |
Ermittlungsergebnissen haben dürften, sondern auch die Mittel und Kontakte, | |
sich diese zu besorgen. In einer Unterwelt, die Passfälschungen oder | |
Auftragsmorde als Dienstleistungen anbietet, werden auch Hacker zu mieten | |
sein. Und die Suche mit Schlagworten in diesen E-Akten verheißt höhere | |
Treffsicherheit und besseres Verwischen von Spuren als altmodische | |
Einbrüche samt Wühlen in staubigen Aktenbergen. | |
Das weiß Steffen natürlich auch. „Die Kommunikationskanäle mit der Justiz | |
gewährleisten einen sehr hohen Sicherheitsstandard“, behauptete er, dafür | |
sorge schon das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. | |
## Technik kann versagen | |
Nun wissen aber gerade die Grünen auch nicht erst seit der Atomkatastrophe | |
von Fukushima, dass Technik versagen kann. Gottvertrauen in die Sicherheit | |
und Unangreifbarkeit dieser Netze wäre deshalb fehl am Platz. „Das | |
Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und das Beratungsgeheimnis | |
im gerichtlichen Verfahren sind in einem Rechtsstaat nicht verhandelbar“, | |
beteuerte Steffen dennoch durchaus glaubhaft und fügte hinzu: „Wir müssen | |
sie auch in der digitalen Welt schützen.“ | |
Aber wie? Sicher hake die Umsetzung noch „an der einen oder anderen | |
Stelle“, räumte er ein. Die Justiz stehe ja erst am Anfang eines | |
langfristig geplanten Prozesses, alle technischen Details und Anforderungen | |
müssten im Einvernehmen mit den Beschäftigten und deren | |
Interessenvertretungen geklärt werden. „Nur wenn wir in der Lage sind, eine | |
zuverlässige und sichere elektronische Aktenführung zu etablieren, werden | |
wir die Vorteile nutzen können“, sagte Steffen. | |
Doch zu dem Umsetzungsprozess, der jetzt beginne und bis 2022 abgeschlossen | |
sein soll, gebe es keine Alternative. „Recht und Justiz“, so seine | |
Überzeugung, „dürfen der Digitalisierung nicht hinterherlaufen.“ | |
10 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## TAGS | |
Till Steffen | |
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Schwerpunkt Überwachung | |
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