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# taz.de -- NS-Morde in Konzentrationslagern: Auch Frauen unter den Tätern
> Sie waren WegbereiterInnen des Massenmords. Trotzdem wurden
> SchreibtischtäterInnen der NS-Zeit lange nicht strafrechtlich verfolgt.
Bild: Hildegard Lächert (4.v.l) auf der Anklagebank vor einem Gericht in Kraka…
Hermine Braunsteiner, so beschrieben es Zeugen, warf die aus dem Warschauer
Getto deportierten Kleinkinder unter den Augen ihrer Mütter wie Müll auf
Lastwagen, damit diese so schnell wie möglich in die Gaskammer des KZ
Majdanek gebracht werden konnten.
In Düsseldorf erhielt die frühere Aufseherin im Juni 1981 als einzige der
Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe. Hildegard Lächert, von den
Häftlingen die „blutige Brygida“ genannt, die bei Gelegenheit eine
schwangere Gefangene von ihrem Hund zerfleischen ließ, kam günstiger davon:
12 Jahre Haft.
Der Massenmord an Juden, Sinti und Roma war keineswegs nur eine
Angelegenheit von männlichem Personal. [1][Die Historikerin Andrea Rudorff
schätzt], dass allein in den Konzentrationslagern im besetzten Polen etwa
3.500 Frauen beschäftigt waren. In Auschwitz etwa arbeiteten neben etwa
6.000 SS-Männern auch rund 170 SS-Aufseherinnen. Manche von ihnen waren
nicht weniger grausam als ihre männlichen Mittäter.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs ergingen gegen Nazi-Frauen harte
Schuldsprüche. Die polnische Justiz verurteilte im zweiten Majdanek-Prozess
1948 eine Aufseherin zum Tod. Schon im Mai 1946 waren fünf Aufseherinnen
des KZ Stutthof bei Danzig zum Tod verurteilt worden.
Im ersten Prozess gegen TäterInnen des KZ Ravensbrück, in dem vorwiegend
weibliche Häftlinge inhaftiert waren, erging von einem britisches
Militärgericht gegen fünf Aufseherinnen ein Todesurteil. Und 1966 erhielten
die Aufseherin Ulla Jürß und zwei Mitangeklagte durch ein DDR-Gericht eine
lebenslange Freiheitsstrafe. Erst im Mai 1991 kam sie frei.
Die allermeisten KZ-Täterinnen allerdings entgingen einer Bestrafung. Gar
nicht erst ermittelt wurde in der Bundesrepublik gegen weibliches (und
männliches) Lagerpersonal, das in der Telefonzentrale, in der Küche oder
der Verwaltung dafür sorgte, dass die KZ-Mordmaschine arbeiten konnte.
Damals vertrat die Justiz die Auffassung, dass auch zu einer Verurteilung
wegen Beihilfe zum Mord der Nachweis einer individuellen Tötung nötig sei.
Das hat sich vor wenigen Jahren durch [2][ein Urteil des
Bundesgerichtshof] geändert. Seitdem bemüht sich die Justiz meist
vergeblich darum, die letzten noch lebenden KZ-WächterInnen dingfest zu
machen. Doch die meisten mutmaßlichen TäterInnen sind verhandlungsunfähig.
[3][2016 lehnte das Landgericht Kiel] die Eröffnung eines Hauptverfahrens
gegen Christel M. ab. Sie hatte als Funkerin in Auschwitz gearbeitet. Doch
die 93-jährige erblindete und fast taube Angeklagte, so befand das Gericht,
sei nicht mehr verhandlungsfähig. Die Münchner Staatsanwaltschaft
ermittelte 2017 gegen die 92-jährige Christel R., die als Telefonistin im
KZ Stutthof eingesetzt war. Doch noch vor einer Anklageerhebung verstarb
diese.
## Mittlerweile vernehmungunfähig
Derzeit laufen Ermittlungen gegen vier ehemalige Nazi-Aufseherinnen. Eine
von ihnen war in Ravensbrück eingesetzt, doch eine Verfahrenseinstellung
gilt als wahrscheinlich. Gleiches gilt für eine 97-Jährige, die in den
letzten Kriegstagen einen Todesmarsch nach Bergen-Belsen begleitete.
Zwei Beschuldigte arbeiteten als Schreibkräfte im KZ Stutthof, darunter
eine heute 97-Jährige. Gegen sie wird in Lübeck ermittelt. Der zweite, in
Itzehoe anhängige Fall soll nach Auskunft der Staatsanwaltschaft
„demnächst abgeschlossen“ werden.
18 Jan 2020
## LINKS
[1] http://metropol-verlag.de/produkt/frauen-in-den-aussenlagern-des-konzentrat…
[2] /Kommentar-Auschwitz-Urteil-des-BGH/!5357628
[3] /NS-Prozess-gegen-92-Jaehrige-abgesagt/!5334892/
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
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