| # taz.de -- Prozess zum Konzentrationslager Stutthof: Die Schuld der Sekretärin | |
| > Irmgard F., Beruf: Rentnerin, frühere Tätigkeit: Chefsekretärin im KZ. 75 | |
| > Jahre lang blieb sie unbehelligt. Ende des Monats beginnt der Prozess. | |
| Bild: 1994: KZ-Gedenkstätte Stutthof | |
| Irmgard F. ist 96 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim in der Nähe von | |
| Hamburg. Geboren in einem Dorf südöstlich von Danzig, besuchte sie dort die | |
| Volksschule und absolvierte anschließend eine kaufmännische Ausbildung. | |
| Danach, schon mitten im Krieg, arbeitete sie als Stenotypistin bei der | |
| Dresdner Bank in Marienburg. 1954 heiratete sie in der Bundesrepublik Heinz | |
| F. Bis zu ihrer Verrentung arbeitete Irmgard F. dann als | |
| Verwaltungsangestellte in Schleswig. Strafrechtlich ist sie bisher nicht in | |
| Erscheinung getreten. | |
| Ab dem 30. September aber steht Irmgard F. vor dem Landgericht in Itzehoe, | |
| angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in 11.430 Fällen. | |
| Sztutowo ist der Name eines Dorfes mit etwa 3.000 Einwohnern. Es liegt | |
| östlich von Gdańsk, dem früheren Danzig. Etwas außerhalb befindet sich, ein | |
| wenig von der Straße zurückgesetzt, eine in die Jahre gekommene | |
| herrschaftliche Villa. Folgt man dem Weg am Gebäude entlang, wird eine | |
| Toreinfahrt erreicht. Dahinter erstreckt sich ein lang gestrecktes | |
| zweigeschossiges Verwaltungsgebäude mit rotbrauner Fassade. Die ehemalige | |
| Kommandatur des [1][Konzentrationslagers Stutthof] gehört heute zur | |
| gleichnamigen Gedenkstätte. Hier ist unter anderem das Archiv | |
| untergebracht. | |
| Fast zwei Jahre lang, vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 war dies der | |
| Arbeitsplatz von Irmgard F. Denn zwischen ihrem Leben in der Filiale der | |
| Dresdner Bank in Marienburg und dem einer verheirateten | |
| Verwaltungsangestellten in Schleswig-Holstein gab es da noch eine Station: | |
| als Sekretärin im KZ. Hier lernte sie offenbar auch ihren späteren Mann | |
| kennen, den SS-Oberscharführer Heinz F. | |
| ## Sie schrieb für den KZ-Kommandanten | |
| Irmgard F. fungierte aber nicht als irgendeine Schreibkraft. Den | |
| Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge arbeitete sie direkt dem | |
| Lagerkommandanten [2][Paul-Werner Hoppe] und seinem Adjutanten zu. Über | |
| ihren Schreibtisch ging die ein- und ausgehende Post, darunter auch die | |
| Anordnungen des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamts in Oranienburg, die | |
| Kommandanturbefehle. Sie schrieb auf, was Hoppe ihr diktierte. | |
| Oder, um es entsprechend der neueren bundesdeutschen Rechtsprechung zu | |
| formulieren: Irmgard F. soll wesentlich dazu beigetragen haben, dass im KZ | |
| Stutthof die Mordmaschine reibungslos funktionierte und immer mehr | |
| Menschen gewaltsam aus dem Leben riss. | |
| Irmgard F. ist sich, nach allem was man weiß, keiner Schuld bewusst. Sie | |
| hat eingeräumt, als Sekretärin im KZ Stutthof gearbeitet zu haben, aber | |
| dort habe sie sich keiner Verbrechen schuldig gemacht. Man habe sie | |
| dienstverpflichtet und sie sei bei der Wehrmacht angestellt gewesen. Sie | |
| habe auch nichts von Morden in dem eigentlichen Lagerkomplex gewusst, den | |
| sie niemals betreten habe. | |
| ## Das Lager, die Baracken, die Tötungsmethoden | |
| Dieses Lager beginnt unmittelbar hinter der Kommandatur. Nur ein Teil davon | |
| ist heute noch erhalten. Schon aus der Entfernung erkennt man die Wachtürme | |
| mit ihren Kanzeln, auf denen SS-Männer mit Gewehren jeden Fluchtversuch | |
| verhindern sollten. Hinter einem nach innen gebogenen Stacheldrahtzaun | |
| erstrecken sich auf flachem Gelände primitive eingeschossige Baracken. In | |
| einigen der ungeheizten Gebäude kann man die hölzernen dreistöckigen Betten | |
| erkennen, in denen die Häftlinge nächtigen mussten – aber nicht ein Mensch | |
| in einer Schlafstatt, sondern zwei, drei und mehr. Bettwäsche gab es nicht. | |
| Das KZ Stutthof war, je näher die Rote Armee 1944 an Nazideutschland | |
| heranrückte, immer stärker überbelegt. Zehntausende drängten sich in dem | |
| Komplex und seinen vielen Außenlagern, Juden, Polen, Kriegsgefangene, | |
| Widerstandskämpfer, Frauen, Männer, Zehntausende, die minderwertigste | |
| Nahrung erhielten, kaum Wasser, das Brot mit Spänen, Kleie und Abfällen | |
| gestreckt, für die es keine Bäder gab, keine medizinische Versorgung, die | |
| diesen Namen verdient hätte, dafür aber, nur etwas abseits gelegen, ein | |
| Krematorium mit einem hohen Schornstein. | |
| Juristen haben dafür eine Formulierung gefunden: Tötungen durch | |
| lebensfeindliche Bedingungen. | |
| Die Möglichkeiten, in Stutthof eines unnatürlichen Todes zu sterben, waren | |
| mannigfaltig und der Tod höchstwahrscheinlich. Da gab es eine | |
| Genickschussanlage genannte Einrichtung, in die Häftlinge von als Ärzte | |
| verkleideten SS-Männern geführt wurden und in denen vorgeblich die Größe | |
| der Gefangenen festgestellt werden sollte. Tatsächlich warteten, hinter | |
| einer Wand mit der Messeinrichtung verborgen, andere SS-Angehörige, die die | |
| Menschen heimtückisch erschossen. | |
| Da existierte eine Schmalspurbahn, bei der die KZ-Schergen einige | |
| Personenwaggons luftdicht verschlossen hatten und durch deren Dachluken sie | |
| Zykon B warfen, wenn der Wagen berstend voll mit Jüdinnen und Juden war. Es | |
| gab die endlosen Arbeitseinsätze draußen in den Außenlagern, wo die | |
| Gefangenen härteste Arbeit bis zum Zusammenbruch leisten mussten. Und es | |
| kam zu mehreren Transporten, hinaus aus Stutthof – nach Auschwitz, wo die | |
| Mordkapazitäten höher waren. | |
| ## Keine Seltenheit: Frauen als Bedienstete im KZ | |
| Irmgard F. zählte zum sogenannten SS-Gefolge. So nannte man die weiblichen | |
| Zivilangestellten der SS, die in Frontlazaretten, bei der Polizei oder eben | |
| in Konzentrationslagern tätig waren. Ihre genaue Zahl ist bis heute | |
| unbekannt, aber in dem für weibliche Häftlinge errichteten [3][KZ | |
| Ravensbrück] sind etwa 3.500 Aufseherinnen in Kurzlehrgängen ausgebildet | |
| worden, oft junge Fabrikarbeiterinnen, für die der Job einem sozialen | |
| Aufstieg gleichkam. Allein dort taten mehr als 3.000 Aufseherinnen ihren | |
| Dienst. Anfangs suchte man sie per Zeitungsannonce. Nur die wenigsten unter | |
| ihnen waren Mitglieder der NSDAP. Schätzungen gehen davon aus, dass im | |
| deutsch besetzten Polen etwa 4.000 Frauen in Konzentrationslagern Dienst | |
| taten, insgesamt wird vermutet, dass sie etwa zehn Prozent des KZ-Personals | |
| ausmachten. | |
| Auch wenn viele von ihnen dienstverpflichtet waren, wirklich gezwungen | |
| wurde niemand von ihnen dazu, andere Menschen zu bewachen, sie zu schlagen, | |
| zu quälen und zu verhöhnen. Frieda M. gab nach dem Krieg zu Protokoll: „Als | |
| ich in das KZ-Lager kam und das himmelschreiende Elend sah, besprach ich | |
| mich mit meiner Freundin. Wir kamen beide überein, dass wir hier auf keinen | |
| Fall bleiben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten wir auf eigene | |
| Kosten nach Hause fahren.“ | |
| Eine Aufseherin mit dem Namen Margarete T. dagegen erklärte, die Zeit in | |
| Ravensbrück sei die schönste ihres Lebens gewesen. | |
| Wer sich für eine Arbeit im SS-Gefolge entschied, konnte deutlich mehr | |
| verdienen als in der Privatwirtschaft. Die Bezahlung erfolgte nach der | |
| Tarifordnung der Angestellten im öffentlichen Dienst und war damit um etwa | |
| 50 Prozent höher. Eine ehemalige KZ-Aufseherin aus Ravensbrück sagte: „Es | |
| war eine finanzielle Sache. Ich weiß nicht mehr, wie viel Geld ich verdient | |
| habe bei der Post und ich kann auch nicht mehr sagen, wie viel ich da | |
| bekommen habe, aber es war doch mindestens 100 Mark mehr. Also habe ich gar | |
| nicht lange überlegt und gesagt, gut, wenn ich da mehr verdienen kann, gehe | |
| ich da hin.“ | |
| Irmgard F., die Chefsekretärin von Stutthof, ist nach dem Krieg | |
| davongekommen. Dabei war ihre Anwesenheit im KZ bekannt. Immer mal wieder | |
| wurde sie vernommen, zuerst 1954, wo sie angab, der gesamte Schriftverkehr | |
| sei über ihren Schreibtisch gegangen. Aber sie blieb eine Zeugin und wurde | |
| keine Angeklagte. Jahrzehntelang sah die bundesdeutsche Strafrechtspraxis | |
| eine Anklage wegen Mordes oder der Beihilfe zum Mord nur bei Nachweis einer | |
| direkten Tatbeteiligung vor. | |
| Andere hatten weniger Glück. Im ersten polnischen Stutthof-Prozess wurden | |
| im Jahr 1946 in Danzig unter anderem fünf KZ-Aufseherinnen zum Tode | |
| verurteilt und hingerichtet. Über eine von ihnen mit dem Namen Ewa Paradies | |
| hatte eine Zeugin ausgesagt: „Sie befahl einer Gruppe von weiblichen | |
| Gefangenen, sich in der Eiseskälte des Winters zu entkleiden und übergoss | |
| diese dann mit eiskaltem Wasser. Wenn die Frauen sich bewegten, dann schlug | |
| sie, Paradies, diese.“ | |
| F.s Chef, der KZ-Kommandant Paul-Werner Hoppe, der Mann, der die | |
| herrschaftliche Villa in Stutthof bewohnt hatte, genoss dagegen die | |
| Nachsicht bundesdeutscher Justiz. Im Dezember 1955 verurteilte ihn das | |
| Landgericht Bochum wegen Beihilfe zum Mord zu lediglich fünf Jahren und | |
| drei Monaten Zuchthaus. Die Richter attestierten Hoppe, ein | |
| „Irregeleiteter“ und „Verführter“ gewesen zu sein. Zwar kassierte der | |
| Bundesgerichtshof diesen Schuldspruch und Hoppe wurde 1957 zu neun Jahren | |
| Haft verurteilt, aber schon 1960 kam der frühere KZ-Kommandant wieder auf | |
| freien Fuß. | |
| ## Der Weg der Ermittler | |
| Michael Otte arbeitet in der [4][Zentralen Stelle zur Verfolgung von | |
| NS-Verbrechen] im baden-württembergischen Ludwigsburg. Im Juni 2015 begann | |
| der Staatsanwalt mit neuen Ermittlungen gegen das Personal des KZ Stutthof. | |
| Die juristische Sicht der Dinge hatte sich verändert, nun gerieten auch die | |
| Personen in den Blick, denen man keine direkte Mordtat nachweisen konnte. | |
| Anders als beim Vernichtungslager Auschwitz existiert für Stutthof keine | |
| umfassende Liste des dortigen Personals aus der Nazizeit. Aber es gibt in | |
| Ludwigsburg eine Kartei. Auf ihr sind die Namen aller jemals im | |
| Zusammenhang mit mutmaßlichen NS-Verbrechen verdächtigen Personen | |
| verzeichnet, darunter auch solche, die vor Jahrzehnten nur als Zeugen | |
| vernommen worden sind. Diese Kartei umfasst mehr als 1,7 Millionen Namen. | |
| Dort fand Otte den Namen von Irmgard F. Auch der ihres Ehegatten, des | |
| SS-Oberscharführers Heinz F., ist dort verzeichnet, zusammen mit der | |
| Information, dass Ermittlungen gegen ihn Anfang der 1980er Jahre begannen | |
| und gleich wieder eingestellt wurden. Denn da war Heinz F. schon lange | |
| verstorben. | |
| Die Ermittler der Zentralen Stelle Ludwigsburg reisten zu weiteren | |
| Recherchen in die Gedenkstätte Stutthof und konsultierten Experten. Man | |
| fand weitere Namen. „Am Ende hatten wir die Namen von mehreren Hundert | |
| Personen generiert“, sagt Otte am Telefon. | |
| Es genügt bei dieser Puzzlearbeit nicht, einfach nur einen Beleg für eine | |
| Tätigkeit in Stutthof zu finden. Um eine Person wegen Beihilfe zum Mord | |
| belangen zu können, muss diese nach der bundesdeutschen Rechtsprechung zu | |
| einer Zeit im KZ gearbeitet haben, während der dort die Gefangenen nicht | |
| nur hungerten, gequält und zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Es müssen | |
| systematische Tötungen stattgefunden haben. | |
| Für Stutthof gilt dieser Zustand ab dem Sommer 1944 als gegeben. | |
| „Wir kriegen heute nur noch die, die in der zweiten oder dritten Reihe | |
| gestanden haben, also zum Beispiel Wachmänner auf den Türmen“, sagt Michael | |
| Otte. Höhere Ränge sind aufgrund ihres Alters längst verstorben, und auch | |
| die jetzt noch Lebenden befinden sich in so hohem Alter, dass über allen | |
| Ermittlungen ständig das Damoklesschwert der Verhandlungsunfähigkeit oder | |
| des Todes schwebt. Otte und seine Kollegen gingen im nächsten Schritt | |
| daran, zu überprüfen, wer von den Personen auf seiner vorläufigen Liste von | |
| im KZ Beschäftigten noch am Leben war. „Das geschieht in der Regel über die | |
| Daten der Deutschen Rentenversicherung und der Geburtsstandesämter, soweit | |
| sich diese auf heutigem deutschem Gebiet befinden“, erklärt der | |
| Staatsanwalt. Im Fall von Irmgard F. war die Recherche recht einfach, denn | |
| in den alten Vernehmungen aus den 1960er und 1980er Jahren fand sich der | |
| Hinweis auf ihren damaligen Wohnsitz in Schleswig-Holstein. „Dort haben wir | |
| nachgefragt und erhielten die entsprechende Antwort“, sagt Otte. | |
| Im Juni 2016, ein Jahr nach Beginn der Vorermittlungen, war klar: Irmgard | |
| F. lebt. Die Zentrale Stelle darf in NS-Verfahren nur die Vorermittlungen | |
| vornehmen. Danach ist die zuständige Staatsanwaltschaft dran. Noch im | |
| selben Monat bekam die Behörde in Itzehoe deshalb Post aus Ludwigsburg – | |
| ein umfangreicher Schriftsatz von 120 Seiten über die frühere Sekretärin | |
| und das Konzentrationslager Stutthof. Es eilte, denn Frau F. war da schon | |
| 91 Jahre alt. | |
| ## Die biologische Uhr trickt | |
| Sie blieb nicht die einzige Beschuldigte. Da fand sich ein in Wuppertal | |
| lebender SS-Wachmann, der 1944/45 in dem KZ Dienst getan hatte. Ein | |
| weiterer Wachmann, der zwischen 1942 und Herbst 1944 mit seinem Gewehr | |
| dafür gesorgt hatte, dass kein Häftling entfliehen konnte, lebte in der | |
| Nähe von Münster. Und in Hamburg wohnte Bruno D., der 1944 in einem der | |
| Wachtürme saß. | |
| D. ist im vergangenen Jahr wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen zu zwei | |
| Jahren [5][Jugendstrafe auf Bewährung] verurteilt worden. Der [6][Prozess | |
| in Münster] musste abgebrochen werden, weil der greise Angeklagte | |
| verhandlungsunfähig wurde. Im Wuppertaler Fall lehnte das Landgericht die | |
| Eröffnung einer Hauptverhandlung im März 2021 aufgrund des angegriffenen | |
| Gesundheitszustands des Beschuldigten ab. | |
| Nun also Irmgard F. Sie ist nicht die erste weibliche KZ-Beschäftigte, | |
| gegen die in jüngster Zeit ermittelt worden ist. Doch ein Verfahren in Kiel | |
| platzte 2016, weil die Angeschuldigte, eine frühere Funkerin im KZ | |
| Auschwitz, verhandlungsunfähig wurde. In München endeten Ermittlungen gegen | |
| die beschuldigte Telefonistin von Stutthof, [7][Christel R.], mit ihrem Tod | |
| im Jahr 2017. Und auch Verfahren gehen ehemalige KZ-Aufseherinnen in | |
| Ravensbrück scheiterten. | |
| Irmgard F. lebt in einem Pflegeheim einer Kleinstadt. Der Klinkerflachbau, | |
| ausgestattet mit einem Walmdach, macht einen freundlichen Eindruck. Die | |
| Staatsanwaltschaft Itzehoe erwirkte bei ihr 2017 eine Hausdurchsuchung, bei | |
| der sie erstmals davon erfuhr, dass gegen sie wegen Beihilfe zum Mord | |
| ermittelt wird. Es wurde nichts Relevantes gefunden. Sie wurde vernommen | |
| und gab an, sich keiner Schuld bewusst zu sein. Sie habe in Stutthof keine | |
| Morde wahrnehmen können und könne sich nur erinnern, dass KZ-Kommandant | |
| Hoppe ihr Bestellungen für Gartenbedarf diktiert habe. Eine ärztliche | |
| Untersuchung ergab, dass F. eingeschränkt verhandlungsfähig ist. | |
| ## Wie schuldig ist eine Sekretärin? | |
| Aber kann man ihren Dienst am Schreibtisch mit dem auf einem der Wachtürme | |
| des KZ gleichsetzen? Die heute 96-Jährige hat sich, soweit bekannt, an | |
| keinen Grausamkeiten beteiligt. Möglicherweise wird man ihre Aussage, dass | |
| sie niemals das Lager selbst betreten habe, nicht widerlegen können. | |
| Dass sie allerdings tatsächlich nicht mitbekommen haben will, dass in | |
| Stutthof Menschen planmäßig ermordet worden sind, muss man ihr nicht | |
| abnehmen. Schon ein Blick aus einem der Fenster des Kommandanturgebäudes | |
| ermöglichte die Sicht auf die Häftlingsbaracken. Ihre Position, ihre | |
| Kontrolle der laufenden Postein- und -ausgänge, ihr enges Verhältnis zum | |
| Kommandanten, die Gespräche unter den Kameradinnen und Kameraden, all das | |
| spricht für das Gegenteil. | |
| Michael Otte von der Zentralen Stelle in Ludwigsburg sagt dazu: „Beihilfe | |
| ist die ‚Förderung der Haupttat‘, das gilt also nicht nur für diejenigen | |
| SS-Männer, die Menschen in die Gaskammern trieben, sondern auch für den | |
| Wachmann, der eine Flucht verhinderte. Auch dadurch ermöglichte und | |
| förderte er die Mordtaten, die im Lager verübt wurden.“ | |
| Irmgard F. habe als Sekretärin Transportlisten entgegengenommen und | |
| weitergegeben. Der Umfang ihrer Tatbeteiligung sei wohl kleiner als bei | |
| einem SS-Mann, der die Gaskammern verriegelte, meint der Staatsanwalt; das | |
| ändere aber nichts an ihrer generellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit | |
| als Tatgehilfin. | |
| Tatsächlich wird der Prozess in Itzehoe das erste bundesdeutsche Verfahren | |
| gegen eine weibliche Beschuldigte sein, die nicht unmittelbar an Mordtaten | |
| mitgewirkt hat, sondern mutmaßlich als Schreibtischtäterin in einem warmen | |
| Dienstzimmer das Massenmorden förderte. | |
| Der Prozess gegen die 96-Jährige wird vor einer Jugendstrafkammer | |
| stattfinden, denn zum Tatzeitpunkt war sie noch eine Heranwachsende, 18 und | |
| 19 Jahre alt. Mehr als zehn Nebenkläger, Überlebende des | |
| Konzentrationslagers oder deren Nachkommen, wollen vor Gericht Zeugnis | |
| ablegen. Der Richter hat Verhandlungen im wöchentlichen Turnus angesetzt. | |
| Die Termine reichen bis zum Juni 2022. | |
| Bis dahin wird Irmgard F. 97 Jahre alt geworden sein. Aber nicht ihr hohes | |
| Alter ist das eigentliche Problem. Sondern dass sich 75 Jahre lang niemand | |
| in der bundesdeutschen Justiz für ihre mutmaßliche Tatbeteiligung | |
| interessierte. | |
| 26 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.polish-online.com/polen/staedte/danzig-kz-stutthof.php | |
| [2] http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1556&… | |
| [3] https://www.ravensbrueck-sbg.de/geschichte/1939-1945/ | |
| [4] https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite | |
| [5] /Urteil-gegen-Waechter-von-KZ-Stutthof/!5695384 | |
| [6] /Prozesse-gegen-mutmassliche-KZ-Aufseher/!5556099 | |
| [7] /!5468307/ | |
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| Klaus Hillenbrand | |
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