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# taz.de -- Prozess zum KZ Stutthof: KZ-Schreibtischtäterin vor Gericht
> Ab Donnerstag beginnt in Itzehoe der Prozess gegen Irmgard F. Angeklagt
> ist sie wegen Beihilfe zum Mord in 11.430 Fällen.
Bild: Irmgard F. will das Lager nie betreten haben: Tor zum KZ Stutthof
Hannover taz | Fast zwei Jahre lang – vom Juni 1943 bis zum April 1945 –
hat Irmgard F. als Erste Stenotypistin und Sekretärin für den Kommandanten
Paul Werner Hoppe des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig gearbeitet.
Das bestreitet sie auch nicht, den Rest schon: Keinen Fuß will sie je in
das Lager selbst gesetzt haben.
Alles sei damals über ihren Schreibtisch gelaufen, auch Exekutionsbefehle
und Deportationslisten, glaubt dagegen die Anklage. Unmöglich, dass sie von
dem täglichen Morden und Foltern im Lager direkt hinter ihrem Bürofenster
nichts mitbekommen habe. Im Gegenteil: Als wichtiges Rädchen im Getriebe
soll ihre fleißige Mitarbeit die Maschinerie am Laufen gehalten haben.
Rund 65.000 Häftlinge sind in Stutthof ermordet worden. Sie wurden mit
Zyklon B vergast, in eine getarnte Genickschussanlage geschickt,
medizinischen Versuchen unterzogen oder starben an Seuchen, Unterernährung,
den Folgen von Zwangsarbeit und Folter.
Deshalb muss sich die mittlerweile 96 Jahre alte Dame nun – mit 75 Jahren
Verspätung – wegen [1][Beihilfe zum Mord in 11.430 Fällen] vor Gericht
verantworten. Nach dem Jugendstrafrecht wohlgemerkt, denn zur Tatzeit war
sie gerade einmal 18, 19 Jahre alt.
Es wäre [2][das erste Mal, dass eine Schreibtischtäterin] der zweiten Reihe
doch noch zur Rechenschaft gezogen wird. Bei früheren Prozessen in den
Jahren 1954, 1964 und 1982 ist F. lediglich als Zeugin gehört worden. Das
Medieninteresse ist entsprechend groß. Das Gericht hat die Verhandlung
deshalb in das China Logistic Center in Itzehoe verlegt.
Dass in den letzten Jahren häufiger gegen Mittäter und Helfer Anklage
erhoben wird, ist eine Auswirkung des Urteils gegen John Demjanjuk aus dem
Jahr 2011. Demjanjuk war Wachmann im Vernichtungslager Sobibor. Vorher galt
die juristische Auffassung, man müsse jedem Täter eine unmittelbare
Tötungshandlung oder die Beihilfe dazu nachweisen. Nun gilt auch das
Mitwirken im Tötungsapparat als ausreichend.
## Kaum noch verhandlungsfähig
Die Haupttäter sind ohnehin zum größten Teil bereits verstorben: Wer damals
einen hohen Rang bekleidete, war in der Regel schon älter. Übrig bleiben
nun KZ-Wächter, Verwaltungskräfte und sonstige Helfer, die damals jung
waren. Und auch da scheitern viele Prozesse an der Verhandlungsfähigkeit
der Angeklagten.
Irmgard F., die in einem Seniorenheim in der Nähe von Hamburg lebt, soll
[3][einem medizinischem Gutachten zufolge in der Lage sein], der
Verhandlung für zwei Stunden am Tag zu folgen. Nadine Conti
26 Sep 2021
## LINKS
[1] /Aufarbeitung-des-Nationalsozialismus/!5749663
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[3] /Anklage-wegen-Beihilfe-zum-Mord/!5785940
## AUTOREN
Nadine Conti
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
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KZ Stutthof
Lesestück Recherche und Reportage
NS-Verbrechen
KZ Stutthof
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