# taz.de -- Anklage wegen Beihilfe zum Mord: Ehemalige KZ-Sekretärin vor Geric… | |
> Der Prozess gegen die 96-Jährige Irmgard F. kann stattfinden. Die | |
> ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof wurde für verhandlungsfähig befunden. | |
Bild: Erinnerung an das systematische Töten: Der Eingang des Stutthof Museums … | |
HAMBURG taz | Das hohe Alter schützt Irmgard F. nicht vor der | |
strafrechtlichen Verfolgung. Die ehemalige Stenotypistin und Sekretärin des | |
Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe im Konzentrationslager Stutthof muss | |
sich vor dem Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe in 11.387 Fällen zum Mord | |
verantworten. Die letzte Voraussetzung dafür ist nun erfüllt: Ein | |
medizinisches Gutachten attestierte der 96-Jährigen Verhandlungsfähigkeit. | |
Am 30. September soll die Hauptverhandlung vor der 3. Großen Jugendkammer | |
beginnen, da die Beschuldigte zur Tatzeit mit 18 oder 19 Jahren noch als | |
Heranwachsende eingestuft wird. | |
[1][Das Verfahren] dürfte mehr als 76 Jahre nach den Morden in dem KZ nahe | |
Danzig auch wegen der hochbetagten Zeug:innen schwierig werden. Denn die | |
letzten überlebenden Zeug:innen aus den USA und Israel können kaum noch | |
vor Ort im Gerichtssaal aussagen, wenige dürften überhaupt anreisen können. | |
Der Weg der Angeklagten ist kürzer. Sie soll – nach Planung – von ihrer | |
Seniorenresidenz im Kreis Pinneberg zu jedem Verhandlungstag kommen. | |
Der Zivilangestellten in dem KZ Stutthof wird in der Anklage, so | |
Gerichtssprecherin Friederike Milhoffer, vorgehalten, „in ihrer Funktion | |
als Stenotypistin und Schreibkraft in der Lagerkommandantur des ehemaligen | |
Konzentrationslagers Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 den | |
Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort | |
Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben“. | |
Die Angeklagte war bereits mehrfach als Zeugin befragt worden. Bereits 1954 | |
sagte sie, dass der gesamte Schriftverkehr mit dem | |
SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt über ihren Schreibtisch gelaufen sei. | |
Hoppe, den sie als „pflichtbewusst“ bezeichnete, hätte ihr täglich | |
Schreiben diktiert und auch Funksprüche verfügt. Von der Tötungsmaschinerie | |
in unmittelbarer Nähe ihres Arbeitsplatzes will sie dennoch nichts gewusst | |
haben. | |
## Tägliche Kontakte zur Lagerleitung | |
Das ist schon wegen ihrer täglichen Kontakte zur Lagerleitung und Einblicke | |
in die Abläufe kaum vorstellbar. Wie der Kenntnisstand der Internierten | |
aussah, ist dank eines älteren Prozesses aktenkundig: Vor dem Landgericht | |
Hamburg [2][schilderte der Überlebende Marek Dunin-Wasowicz], dass die | |
Inhaftierten im KZ Stutthof wussten, sie seien im dem KZ, um zu sterben. | |
„Der Weg zur Freiheit führt durch den Schornstein“, sagte er 2019 im | |
[3][Verfahren gegen dem SS-Wachmann Bruno D.] Von den etwa 110.000 Menschen | |
im Lager starben rund 65.000. Sie wurden vergast, erschossen oder durch | |
vorsätzlich katastrophale Lebensbedingungen getötet. | |
Dass das Lager als ein Vernichtungslager eingestuft wird, ist auch ein | |
Grund, warum das Gericht den 94-jährigen Wachmann 2020 wegen der Beihilfe | |
zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord | |
schuldig sprach. | |
Dieser Verurteilung war eine Änderung der Rechtspraxis vorausgegangen. Bis | |
2011 musste ein direkter Tatnachweis der Verdächtigen bei konkreten | |
Verbrechen im Nationalsozialismus erbracht werden. Im Verfahren gegen den | |
Wachmann John Demjanjuk wertete das Landgericht München II erstmals allein | |
den Dienst in einem Vernichtungslager als Beihilfe zum Mord. | |
Die zuvor gültige Rechtspraxis schützte viele Täter:innen aus der | |
Wehrmacht- und SS-Einheiten vor einer Strafverfolgung. Die deutsche Justiz | |
trägt somit selbst große Verantwortung für die spät erfolgenden Anklagen. | |
6 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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