| # taz.de -- Was tun gegen Rechtspopulismus?: Alle Macht den Kommunen | |
| > Nach jüngsten Erfolgen der AfD ist das Land in Aufruhr. Rechtspopulismus | |
| > hat dort den größten Erfolg, wo demokratische Parteien auf dem Rückzug | |
| > sind. | |
| Bild: Katrin Ebner-Steine (AfD) volkstümlich beim Gillamos in Bayern | |
| Populisten sind Reaktionäre, die sich nach der intakten Welt eines | |
| eingebildeten goldenen Zeitalters zurücksehnen – so beschreibt es der in | |
| den USA lehrende Ideenhistoriker Mark Lilla. Sie seien keine | |
| Revolutionäre, die ihre politischen Wünsche auf die Zukunft ausrichten, | |
| sondern Verteidiger eines nostalgisch verklärten Zeitalters, in dem sich | |
| Mensch, Welt und Gott in Harmonie befanden. „Früher war alles besser“ ist | |
| das Lied der Reaktion. Eine Welt, in der es noch ein nahezu überall | |
| geteiltes Rollen-, Geschlechter- und Familienverständnis gab. Eine Welt | |
| ohne Gendersterne, Minderheitenrechte und Zuwanderung. | |
| Der Rechtspopulismus ist also die große kulturelle Gegenbewegung zum | |
| empfundenen linksliberalen Zeitgeist. Er begann bereits 1989 mit dem Ende | |
| des Kommunismus und dem Siegeszug des Kapitalismus und sieht sich als | |
| Gegenbewegung zu 1968, einer seitdem „linksgrünversifften Republik“, zu der | |
| er auch anständige Konservative zählt. | |
| Der Rechtspopulismus ist der „Schaum auf der Welle“, erklärte der | |
| parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer, [1][jüngst in einem | |
| Interview mit der taz]. Doch wie bricht man die Welle? Die AfD ist ein | |
| Symptom für den Zustand unserer Gesellschaft. Nur noch ein Drittel der | |
| Bevölkerung traut der Politik in Berlin und in den Landeshauptstädten. | |
| Die AfD ist kein ostdeutsches, sie ist ein gesamtdeutsches Problem. In | |
| Regionen mit ähnlichen Sozialstrukturen entfallen die | |
| Ost-West-Unterschiede. Dort, wo sich Bürger abgehängt und als Verlierer | |
| fühlen, wählen sie eher rechtspopulistisch als in boomenden Regionen und | |
| Ballungsgebieten. Die Stärke der AfD in ländlichen, weniger dicht | |
| besiedelten Regionen ist Folge der anhaltenden Schwäche der ehemaligen | |
| Volksparteien CDU und SPD und (im Osten) der Linkspartei. | |
| ## Der Osten ist Trendsetter | |
| Umfragen zufolge ist die große Mehrheit der AfD-Wähler von den „anderen | |
| Parteien“ enttäuscht. Nur mit konkreter und pragmatischer Politik lassen | |
| sich diese Wähler zurückholen. „All politics is local“: Wahlen werden lok… | |
| auf den Plätzen, in den Straßen und vor den Haustüren gewonnen – oder | |
| verloren. | |
| Hier ist der Osten Trendsetter: [2][Die Kluft zwischen den Parteien und | |
| ihren Wählern], zwischen Führung und Basis, ist hier größer und wächst | |
| schneller als im Westen. Der Westen wird nachziehen, auch weil die Parteien | |
| der Bonner Republik, CDU, SPD, FDP und Grüne, bundesweit zunehmend als | |
| „Medienparteien“, wie Marcel Lewandowsky es nennt, wahrgenommen werden. | |
| Die Kommunen [3][Sonneberg] und Raguhn-Jeßnitz haben eins gemeinsam: Sie | |
| zeigen den politischen Leerraum, der in vielen, vor allem entlegenen | |
| ländlichen Regionen entstanden ist. Ihre Bewohner sehen sich auch innerlich | |
| weit von den Großstädten entfernt. Deren Themen wie autofreie Innenstädte, | |
| Heizen mit Wärmepumpen und fleischlose Ernährung empfinden hier viele als | |
| neue Form der politischen Entmündigung. | |
| ## Rückkehr der demokratischen Parteien | |
| Ländliche Kommunen brauchen gute Bürgermeister und keine moralische | |
| Belehrung. Wo die Menschen das Gefühl haben, beteiligt und gehört zu | |
| werden, sind die politischen Verhältnisse stabiler und konstruktiver. CDU, | |
| SPD, Grüne und FDP waren in den genannten, von der AfD gewonnen Kommunen | |
| zuletzt nicht mehr präsent. Doch fast alle ihrer Wähler in Sonneberg und | |
| [4][Raguhn-Jeßnitz] können sich vorstellen, in Zukunft wieder CDU oder SPD | |
| zu wählen, berichten Beobachter vor Ort. | |
| Drei Ideen also zur Rückkehr demokratischer Parteien und zur Stärkung der | |
| Kommunen: mehr Personal- und Bildungspolitik, ein Demokratiedienst und | |
| flexible Finanzen. Erstens müssen die demokratischen Parteien | |
| kommunalpolitisch aufrüsten. Die besten Köpfe müssen (auch) in den | |
| Kreistagen und in den Gemeinderäten und nicht nur im Bundestag und im | |
| Europaparlament sitzen. Politische Bildungsarbeit und die Personalpolitik | |
| der demokratischen Parteien müssen gestärkt, nicht abgebaut werden. | |
| Wenn sich immer mehr Menschen ohnmächtig gegenüber den Krisen unserer Zeit | |
| fühlen und einen „sozialen Klimawandel“ fürchten, braucht es zweitens mehr | |
| demokratische Bürger. Selbstwirksamkeit und das Gefühl der eigenen | |
| Handlungsautonomie entstehen durch eigenes Engagement. | |
| ## Engagement muss sich auch finanziell lohnen | |
| Statt die Freiwilligenprogramme zu kürzen, wie es die Ampelregierung in | |
| Berlin vorhat, müssen sie massiv ausgebaut werden. Es braucht einen | |
| „kommunalen Demokratiedienst“ und keinen „sozialen Pflichtdienst“. Von … | |
| heute rund 100.000 Jungen, die einen Freiwilligendienst ausüben, sollte | |
| sich ein Drittel in strukturschwachen Regionen engagieren, in Ost wie West. | |
| Warum sollte, wer in diesem Land ein öffentliches Amt übernehmen oder im | |
| öffentlichen Dienst tätig werden will, sich für mehrere Monate vor Ort | |
| nicht öffentlich und freiwillig vorher engagiert haben? Demokratisches | |
| Engagement muss sich auch finanziell lohnen. | |
| Das gilt auch für die Kommunen. Etliche Kommunen sind unterfinanziert und | |
| benötigen mehr Eigenmittel und finanziellen Spielraum statt Förderanträge | |
| und Bürokratie von oben. Finanziell handlungsfähige Kommunen sind in Krisen | |
| systemrelevant. Das gilt auch für die Krise der Demokratie. | |
| ## Die liberale Demokratie als Lieferservice | |
| Die zunehmende Entfremdung zwischen Politik und Bürgern ist kein | |
| Automatismus. Aus „Medienparteien“ müssen wieder Parteien werden, die sich | |
| um die Lösung von Problemen kümmern. Aus Protestwählern müssen wieder | |
| Bürger werden, die Zukunft nicht erleiden, sondern mitgestalten. Und aus | |
| Kommunen wieder die Keimzellen der Demokratie. | |
| Die liberale Demokratie sei immer mehr zu einem „Lieferservice geworden“, | |
| kritisierte Winfried Kretschmann und forderte einen „neuen | |
| Republikanismus“. Eine starke Demokratie braucht starke Bürger. Von der | |
| Alternative – einer schwachen Demokratie und Bürgern, die sich ohnmächtig | |
| fühlen – profitieren nur die Feinde der Zukunft. | |
| 5 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Dettling | |
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