# taz.de -- Landrat aus Sachsen über Brandmauer zur AfD: „Wir alle entscheid… | |
> Dirk Neubauer ist seit 2022 Landrat in Mittelsachsen, vorher war er | |
> Bürgermeister in einer Kleinstadt. Er schafft es, die AfD klein zu | |
> halten. Was ist sein Erfolgsrezept? | |
Bild: Dirk Neubauer, Landrat des Landkreises Mittelsachsen | |
wochentaz: Herr Neubauer, Sie sind seit einem Jahr Landrat in Mittelsachsen | |
und haben es davor neun Jahre lang als Bürgermeister im sächsischen | |
Augustusburg hinbekommen, dass die AfD kaum eine Rolle spielt. Wie haben | |
Sie das gemacht? | |
Dirk Neubauer: Ich gehe klar und offensiv in Gegenrede in öffentlichen | |
Auseinandersetzungen. Menschen richten sich an Debatten aus. Man muss sich | |
in der Sache klar distanzieren und gute Argumente bringen. Im offenen | |
Streit zeigt sich, wo Lösungen sind und wo Spaltung das Geschäftsmodell | |
ist. | |
Jemand sagte mal: Mit Rassisten diskutieren ist wie mit einer Taube Schach | |
spielen. Egal, wie schlau man zieht – am Ende kackt die Taube aufs Brett | |
und stolziert herum, als hätte sie gewonnen. | |
Ich rede ja nicht verständnisvoll mit der AfD, sondern suche die | |
öffentliche Debatte. Natürlich ist eine Brandmauer wichtig, aber sie | |
funktioniert nicht da, wo die AfD schon zweitstärkste Kraft im Kreistag ist | |
[1][oder den Landrat stellt.] Wir haben schon viel Land verloren, | |
Ausgrenzung untermauert die Underdog-Position. Wir müssen inhaltlich | |
dagegenhalten: Wenn jemand von der AfD im Kreistag am Mikro vom Leder | |
zieht, bin ich der Nächste, der da steht und dagegenhält. Wir haben die | |
besseren Argumente und tun uns keinen Gefallen, wenn wir dieses | |
gesellschaftliche Problem nicht angehen. Ich glaube auch nicht, dass die | |
AfD unser Problem ist. | |
Sondern? | |
Die sind austauschbar, morgen könnten das die DVU, die NPD oder die Freien | |
Sachsen sein. Die AfD ist der Schaum auf der Welle. Die Welle ist die | |
Frage: Wie entsteht sie und warum? Und vor allem: Wie bricht man sie? Die | |
AfD ist ein Symptom für den Zustand unserer Gesellschaft. In unserem | |
Kreistag kam von der AfD noch keine einzige konstruktive Idee. Das sage ich | |
den Wählern: Leute, guckt, wo ihr euer Kreuz macht. Die sollen eure | |
Interessen vertreten und Probleme lösen. Stattdessen stellen die jede Woche | |
sinnlose Nachfragen zur Zusammensetzung von Asylsuchenden. Dabei brauchen | |
wir dringend Zuwanderung. | |
Wie erklären Sie das denen, die das anders sehen? | |
Ich sage: fragt in den Unternehmen, fragt in der Handwerkerschaft, überall | |
fehlen Leute. Es wandern immer noch Menschen im erwerbsfähigen Alter ab. | |
Wir müssen daran arbeiten, dass Menschen, die zu uns kommen und sich | |
integrieren wollen, auch wirklich Hilfe dabei bekommen. Deswegen haben | |
wir zusammen mit Betrieben ein neues Integrationskonzept aufgelegt, das | |
übrigens nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund begrenzt ist, sondern | |
sich an alle richtet – auch an Schulabbrecher etwa. | |
Wie häufig wiederholen Sie diese Sätze? | |
Ich gehe bei jeder Einladung zu Bürgerinitiativen und versuche da zu sein, | |
auch wenn es nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Beim | |
Anti-Windkraft-Stammtisch werde ich als jemand, der für Erneuerbare | |
spricht, danach sicher nicht zum Auto getragen, aber am Ende gebe ich eben | |
doch dem ein oder anderen einen Denkanstoß. Dafür mache ich das. | |
Und wie oft machen Sie das? | |
Ich den letzten Wochen hatte ich fast jeden Abend eine Veranstaltung. Ich | |
spüre da keinen Schmerz mehr. Die AfD-Kreistagsfraktion hat gerade | |
Unterlagen über Flüchtlingsunterbringung aus einer nichtöffentlichen | |
Sitzung veröffentlicht und mobilisiert zu Demos. Ich habe dazu direkt einen | |
[2][Beitrag für meinen Youtube-Kanal aufgenommen] und die Hetze | |
eingeordnet, weil es mich momentan wirklich wütend macht. | |
Braucht es mehr Wut? Einen Aufstand der Anständigen? | |
Ja, wir alle entscheiden, wie die Geschichte ausgeht! Man darf niemanden | |
aus der Verantwortung lassen. Ich sage den Leuten immer wieder: wenn euch | |
nicht gefällt, was die AfD macht, müsst ihr laut sein, das selbst in die | |
Hand nehmen und überlegen, wie ihr dem begegnet. Ich kann helfen, mich aber | |
auch nicht um alles kümmern. Das größte Problem ist, dass auf kommunaler | |
Ebene ein Leerraum entstanden ist und es überhaupt nur noch wenige gibt, | |
die den Rechten entgegentreten. Diese Aktivierung ist unglaublich schwer – | |
[3][auch weil es Bedrohungen gibt.] | |
Sie sind digitalaffin, betreiben neben einem Videokanal auf Youtube noch | |
den [4][Podcast „Dorffunk Ost“]. Inwiefern hilft das? | |
Man muss mit den Informationen dahin gehen, wo die Leute sind. Ich nutze | |
digitale Kanäle schon länger ganz bewusst, um Transparenz herzustellen und | |
Leute zu erreichen. Ich merke, dass der direkte Draht hilft. Insbesondere | |
freuen sich viele über konkrete Gedanken zu einer Zukunftsperspektive. | |
Wie kann man das Ruder herumreißen? | |
Wir brauchen Ehrlichkeit in der Politik. Gute Politik beginnt da, wo ich | |
Bürgern erklären muss, was sie vielleicht nicht machen wollen. Dass es nach | |
30 Jahren Transformation eine gewisse Müdigkeit gibt, kann ich verstehen. | |
Aber trotzdem muss man dann Wege finden, um zu sagen: kommt, Leute, da ist | |
der Punkt am Horizont. Wenn wir jetzt noch mal die Ärmel hochkrempeln und | |
die Region für die Zukunft aufbauen, können wir unseren Kinder mal sagen: | |
ihr habt auch hier eine Perspektive, ihr müsst nicht weggehen. Das sind | |
Ziele, auf die hin man Menschen vereinen kann. | |
Was kann die große Politik tun, um zu unterstützen? | |
Es hilft nicht, dass wir es landespolitisch nicht auf die Reihe bekommen, | |
Kommunen finanziell so auszustatten, dass sie Dinge gemeinsam mit den | |
Bürgern umsetzen können. Das ist der Krebsschaden schlechthin: Ich kenne | |
viele Leute, die sich einbringen wollten, die aber irgendwann frustriert | |
aufgegeben haben. | |
Was meinen Sie? | |
Als ich Bürgermeister in Augustusburg war, hatten wir ein Budget von 50.000 | |
Euro im Jahr für Bürgerbeteiligung. Wir haben damit einfach einen | |
Wettstreit der Ideen gemacht und die besten Projekte teilten sich die | |
Förderung. Wir hatten immer 10 Projekte pro Jahr vom Spielplatz bis zum | |
Instrumentenmuseum, bei denen Bürger in Eigenleistung gegangen sind und | |
öffentlich Resonanz bekommen haben. Man konnte zuschauen, wie sich Leute | |
kennengelernt haben, wie sich Zusammenhang bildete und auch Heimatstolz in | |
einem positiven Sinne. Aber eine Kommune muss auch in der Lage sein, das | |
machen zu können – und das ist in mindestens 90 Prozent der Fälle nicht | |
möglich. In der Konsequenz muss ich jedem sagen, der sich engagieren will: | |
tut mir leid, kein Geld, können wir nicht machen – und das erzeugt | |
Ohnmachtsgefühle. | |
21 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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