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# taz.de -- Politologe über AfD-WählerInnen: „Sie sehen sich als Teil einer…
> Philipp Rhein hat die Endzeit-Vorstellungen von AfD-WählerInnen
> untersucht. Abstiegsängste und nostalgische Sehnsüchte spielen bei ihnen
> keine Rolle.
Bild: Beim Landesparteitag der AfD in Celle, 19. August 2023
Wochentaz: Sie haben detailliert die Zukunftsvorstellungen von
AfD-WählerInnen analysiert. Warum haben Sie diesen Ansatz gewählt?
Philipp Rhein: Wissenschaft und Öffentlichkeit haben sich in den letzten
Jahren stark auf [1][die Ideologie der AfD] und ihre Politiker fokussiert.
Die handlungsleitenden Orientierungen und Selbstbilder, Biografien und
kollektiven Erfahrungen ihrer WählerInnen gerieten aber kaum in den Blick.
Für meine Studie habe ich daher 17 mehrstündige, narrative Interviews mit
sozio-demografisch sehr verschiedenen Personen geführt: mit Frauen,
Männern, mit Wohlsituierten sowie Prekarisierten, die meisten aus
Baden-Württemberg.
Was treibt Menschen an, die AfD zu wählen – wo die Partei kaum durch
inhaltliche Konzepte auffällt, sondern vor allem durch interne
Zerstrittenheit und destruktives Auftreten?
[2][Zunächst hatte ich als Motive Ängste vor Abstieg oder Deklassierung
erwartet.] Doch letztlich hat das keine Rolle gespielt. Genauso wenig wie
die nostalgischen Sehnsüchte nach einer verklärten Vergangenheit. Mit
Zuordnungen wie „Ewiggestrige“ würde man die AfD-WählerInnen nur
verharmlosen. Das zentrale Charakteristikum meiner InterviewpartnerInnen
ist eine nihilistische Wut. Sie entzündet sich an einem Unvermögen, sich
eine Zukunft vorzustellen.
Können Sie das genauer ausführen?
Die Zukunftsvorstellungen meiner InterviewpartnerInnen umfassen keine
konkreten politischen Visionen oder Utopien, sondern sind äußerst
bilderarm. Sie sind eigentlich nur definiert durch eine sehr abstrakte
Negation des Status quo. Die Jetzt-Zeit wird durchweg als Katastrophe
wahrgenommen. Für meine InterviewpartnerInnen ist die „Normalität“, die
meist auf die Lebensform einer heterosexuellen Kleinfamilie bezogen ist und
auf weißen, deutschen Identitätsprivilegien beruht, abhandengekommen; Krise
ist zum Dauerzustand und Zukunft zu einem Bedrohungsszenario geworden. Sie
blicken auf die Welt mit [3][apokalyptischen Bildern und vertreten
Endzeitdystopien].
Zukunftsvorstellungen dieser und ähnlicher Art finden sich aktuell
allerdings nicht nur unter Rechten. Zudem sind gegenwärtige Gesellschaften
insgesamt kaum durch lebhafte, vorwärtsgerichtete Visionen geprägt. Was
genau versprechen sich Ihre InterviewpartnerInnen von ihrer Entscheidung
für die AfD?
Auf narzisstisch hohle Weise begreifen sie sich als Teil einer Elite, die
als vermeintlich auserwählte Gruppe den Untergang der Gesellschaft
durchschaut. Das lesen sie vor allem daran ab, dass sie glauben, beständig
Opfer von Ausgrenzungen und Anfeindungen zu werden, nur weil sie
nonkonformistisch unterwegs seien. Gerade dieses Erleben aber ist es, das
sie als eine Art Vorherbestimmung dafür deuten, nach dem erwarteten
Untergang als auserwählte Elite das Ruder an sich reißen zu können. Streng
genommen passt deshalb der Begriff des Populismus nicht mehr. Denn meine
InterviewpartnerInnen verstehen sich nicht als „schweigende Mehrheit“,
sondern als Elite inmitten einer Endzeit.
Welche Rolle spielen dabei die Idee eines Ausnahmezustands sowie Gewalt-
und Reinheitsfantasien?
Gerade wegen ihrer zukunftsverschlossenen Endzeitvorstellungen und
Untergangserwartungen könne aus ihrer Sicht auf „Befindlichkeiten“ wie
Demokratie sowie Pluralismus keine Rücksicht mehr genommen werden. Notfalls
müsse mit Gewalt „durchregiert“ werden. Einer meiner Interviewpartner
bemühte ein Bild, wonach unsere Gesellschaft mit Booten auf einen
Wasserfall hinzurudere. Ein Boot aber fange an, gegen den Strom
zurückzurudern. Darauf, dass „ausgerechnet“ in diesem Boot Rechtsextreme
und Gewaltbereite sitzen, könne keine Rücksicht genommen werden – wo das
Boot doch das einzige ist, das das Unheil vorhersieht und Rettung
verspricht. Wozu sind Menschen bereit, die in solchen Zukunftsbildern
denken?
An dieser Stelle drängen sich Parallelen zu Vorformen des Faschismus des
20. Jahrhunderts auf. Gibt es bei ihren InterviewpartnerInnen auch die
Sehnsucht nach einer starken, charismatischen Führungsfigur, die für den
Eintritt in die ersehnte neue Welt sorgt?
In der Tat hat etwa bei Autoren der Konservativen Revolution die Sehnsucht
nach einem chiliastischen Ausbruch aus der Gegenwart eine wichtige Rolle
gespielt. Politische Eschatologie ist anschlussfähig an grundlegende
Dynamiken des Autoritarismus. Doch die AfD zeichnet sich aktuell nicht
durch charismatische Führungsfiguren aus. Womöglich liegt die Bedrohung
woanders. Besonders besorgt mich, dass mit der AfD eine Partei in der
politischen Institutionenordnung vertreten ist, die destruktive und
elitär-abgesonderte Geisteshaltungen versammelt und damit den Verlust
geteilter Welterfahrungen und Realitäten salonfähig macht. Damit laufen
nicht nur Routinen des sozialen Ausgleichs und der politischen
Konfliktbewältigung beständig ins Leere, sondern auch die
politisch-demokratische Gestaltung von Zukunft. Das ist eine große Gefahr
für die deliberative Demokratie, in der wir eine gemeinsame Zukunft
politisch aushandeln müssen.
11 Sep 2023
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## AUTOREN
Till Schmidt
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