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# taz.de -- Kampf gegen Rechts: Auf ungepackten Koffern
> Ist unsere Demokratie wehrhaft genug, um den braunen Ansturm der AfD zu
> stoppen? Unsere Autorin hat Zweifel, aber die Angst darf nicht siegen.
Bild: Ist die Demokratie wehrhaft? Die Autorin möchte keine Koffer packen müs…
[1][Zu Besuch bei meiner Mutter,] fiel kurz vor meiner Abreise ihr Blick
auf meinen überquellenden Koffer. Den hatte sie mir wie üblich zuvor mit
Schokolade, Klamotten, zwei Parfums und Bodyspray vollgestopft, weil ich
selbst ja nicht genug davon besitze, in ihren mütterlichen Augen
jedenfalls.
Ich, genervt: Bitte sei vorsichtig. Das ist nicht mein Koffer, nur
geliehen. Und sie, voller überschwänglicher Fürsorge: Brauchst du einen?
Ich habe mehrere im Keller! Komm, ich schenk' dir einen! Da musste ich doch
schmunzeln. Und fast wäre mir herausgerutscht: Warum nicht? In diesen
politischen Zeiten können wir Juden nicht genug Koffer haben. Aber ich
schwieg lieber.
Michel Friedman hat das Koffermotiv kürzlich in einem Essay über die Gefahr
der AfD im Stern ausgepackt. [2][Seine Koffer seien gepackt,] sollte die
AfD einer deutschen Bundesregierung angehören, schrieb er. „Dann gehe ich.“
In der selben Ausgabe war Alice Weidel auf dem Cover, wurde interviewt und,
oh Überraschung, nicht entzaubert.
Die gepackten Koffer, auf denen Juden in Deutschland lange Zeit saßen (und
vielleicht wieder sitzen), symbolisieren das fehlende Vertrauen in die
deutsche Gesellschaft, in den Staat. Sie sind Ausdruck massiver
Traumatisierung, der Erfahrung, dem Tod entkommen zu sein, während die
eigene Familie, die Freunde, das eigene Volk, vernichtet worden ist. Dass
die Generation Friedman, die Kinder Shoa-Überlebender, keine Sekunde in
diesem Land ausharren werden, sollten menschenverachtende Ideologen
Regierungsverantwortung tragen, ist eine Folge dieses Traumas.
## Latente Angst
Als vor Kurzem eine Kollegin in die Runde fragte, ob wir Angst hätten
angesichts der beiden Ämter, die AfD-Politiker nun innehaben, wusste ich
nicht recht, was ich antworten sollte. Weil da einfach noch kein Gefühl
war. Es war, als wäre ich paralysiert, in Schockstarre oder eben doch nicht
gewillt, in den sorgenvollen Kanon einzustimmen. Wer weiß, wahrscheinlich
war es ein bisschen von allem.
Natürlich ist da ein Unwohlsein. Eine latente Angst ist immer da. Die Frage
nach der eigenen Sicherheit gehört zum Dasein als Jüdin in diesem Land dazu
wie für andere der morgendliche Kaffee. Aber nackte, pure Angst, das ist es
doch, was Rassisten und Antisemiten wollen. Ich weigere mich das zu
empfinden.
Angst lähmt. Und wenn wir, der demokratische, freiheitsliebende Teil dieser
Gesellschaft, eines aus den letzten Wochen gelernt haben, dann doch dies,
dass die Feinde der Demokratie in Bewegung sind. Antidemokratische Kräfte
mobilisieren ihre Anhänger, ständig und überall. Wir aber dürfen nicht vor
Angst verschreckt sitzen bleiben.
Ich möchte stattdessen darüber sprechen, was wir alle, was die
demokratischen Parteien, diese Regierung dagegen tun werden, dass eine
Partei, die rechtsextreme Ziele verfolgt, Dorf für Dorf, Landkreis für
Landkreis mit ihrem braunen Dreck überschüttet.
## Wofür wir kämpfen
Ist unsere Demokratie wehrhaft genug? Ich glaube, aktuell nicht. Sie kommt
mir etwas ratlos, ja fast verzweifelt vor. Dabei liegen die Lösungsansätze,
theoretisch gesprochen, offen vor uns. Die Politik muss sich schützend vor
die Schwächsten, die Marginalisierten der Gesellschaft stellen; vor
diejenigen, die täglich für Freiheit und Demokratie kämpfen, im Großen wie
im Kleinen – und der AfD somit Grenzen setzen. Demokratische Parteien
sollten nicht in einen rechten Kulturkampf einstimmen, um Menschen mit
rechtsextremem Weltbild zurückzugewinnen.
Das klingt zwar pathetisch, aber es muss wieder stärker in den Fokus
gerückt werden, wofür wir hier eigentlich kämpfen: für ein Leben in
Freiheit. Denn ich möchte wirklich keinen neuen Koffer besitzen. Das habe
ich auch meiner Mutter gesagt.
8 Jul 2023
## LINKS
[1] /Juedische-Kontingentfluechtlinge/!5727852
[2] https://www.stern.de/politik/deutschland/michel-friedman-ueber-den-aufstieg…
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
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