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# taz.de -- Rechtsextreme Übergriffe in Deutschland: Nazipositive Stimmung
> In den vergangenen Wochen gab es antisemitische und queerfeindliche
> Angriffe. Jedes Schweigen dazu unterstützt die Ideologie.
Bild: Blumen stehen neben der ausgebrannten BücherboXX am Holocaustmahnmal „…
Ein mutmaßlicher Rechtsextremist verübt Brandanschläge auf einen lesbischen
Verein in Berlin-Neukölln und auf das Denkmal für die im
Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen unweit des Regierungsviertels.
Er zerstört auch die BücherboXX am Holocaustmahnmal Gleis 17, verbrennt
dort kritische und antifaschistische Bücher, [1][hinterlässt ein
antisemitisches Bekennerschreiben].
Fast zeitgleich in Sachsen: Nach einem [2][brutalen Angriff auf ein Heim
für Geflüchtete], bei dem ein Jugendlicher verletzt wurde, versammeln sich
mehr als 450 Neonazis zu einer Demo im beschaulichen Sebnitz. Zu einem
solidarischen Friedensgebet im Ort erscheinen gerade mal 50 Personen. Die
hässliche Fratze Ostdeutschlands macht die Runde in sozialen und
klassischen Medien.
Auch der Kurort Burg in Brandenburg kommt seit Wochen nicht zur Ruhe:
Nachdem zwei Lehrer*innen dort rechtsextreme Gewalt an ihrer Schule
angeprangert haben, werden sie bedroht, müssen um ihr Leben fürchten
[3][und schließlich aus dem Ort fliehen]. Viele Menschen in der Region
zeigen sich solidarisch – mit den Rechtsextremisten, die sich gegen
jegliche Zivilcourage mit martialischen Einschüchterungsversuchen wehren.
In Berichten ist die Rede davon, dass es für viele Bürger*innen in Burg
immerhin um das eigene Image gehe.
Ist es ein Zufall, dass sich in den vergangenen wenigen Tagen und Wochen
rechtsextrem motivierte Straftaten in Deutschland häufen, oder steckt
dahinter doch ein Muster?
## Normalisierte politische Einstellungen
Bei all diesen Fällen ist zumindest ein Zusammenhang zu beobachten: Die
rechtsextremen Täter*innen scheinen die weitverbreitete nazipositive
Stimmung in der Bevölkerung als Aufforderung zum „Handeln“ zu nehmen, sie
greifen sie selbstbewusst auf bei ihren Attacken, Drohungen und
Aufmärschen. Dieser Zusammenhang zwischen längst normalisierten politischen
Einstellungen und rechtsextremen Taten spiegelt sich in den Kontexten
dieser Fälle selbst und in Umfragen wider, die zum Beispiel die AfD bei
über 20 Prozent, in einigen Bundesländern sogar über 30 Prozent sehen.
An dieser Stelle gibt es auch kein Henne-Ei-Problem: Gewaltbereite Neonazis
ziehen ihre rechtsextreme Energie aus einer breiten, normalisierten
Unterstützung für ihre Ideologie. Zuerst waren die weitverbreiteten
Einstellungen da, dann folgte die Gewalt. Jede Verharmlosung von trans- und
queerfeindlichen Parolen, die Akzeptanz der Entmenschlichung von
Geflüchteten, der Applaus für antisemitische und islamfeindliche Ansichten
potenzieren diese rechtsextreme Energie um ein Vielfaches.
Desinteressiertes oder unterstützendes Schweigen aber auch. Die Folge:
Überall nutzen gewaltbereite Rechtsextremisten die Gunst der Stunde und
schlagen zu.
Oder sind das doch alles nur Zufälle? Eine Phase, die wieder vorbeigeht?
Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im
Bundestag hat sich 2023 die Zahl der rechtsextremen Aufmärsche wie jenes in
Sebnitz deutschlandweit verdreifacht. Wurden im ersten Halbjahr 2022 „nur“
35 rechtsextreme Aufmärsche gezählt, waren es im ersten Halbjahr 2023 schon
110. Tendenz steigend. Und das Jahr ist bekanntermaßen noch nicht rum.
## Sie trauen sich aus ihren Höhlen heraus
Die Neonazis sind natürlich nicht vom Himmel gefallen, sie trauen sich nur
immer öfter aus ihren Höhlen heraus. Sie haben mitbekommen, dass ihre
Kamerad*innen in anderen europäischen Ländern mittlerweile in
Regierungsverantwortung sind und es in Deutschland immer normaler wird,
rechtspatriotische Gedanken auszusprechen. Die hier zitierte Statistik
bildet auch nur jene Fälle ab, die als Aufmärsche gezählt werden können,
also die mit Fahnen und Fackeln. [4][Das Verteilen von AfD-Luftballons] von
aktenkundigen Neonazis an Kindergartenkinder (wie neulich im thüringischen
Sonneberg geschehen) fehlt in dieser Statistik zum Beispiel.
Eigentlich könnte dieser Text nur aus aktuellen Angriffen und Drohungen aus
rechtsextremen Motiven heraus bestehen. Denn aus den vielen „Einzelfällen“
geht durchaus ein deutliches Muster hervor: Überall im Bundesgebiet
erhielten [5][Moscheegemeinden zum Beispiel Drohbriefe mit dem Absender
„NSU 2.0“].
In einem mutmaßlich aus Niedersachsen verschickten Brief stand der Satz
„wir kommen wieder“, auf eine Moschee in Hannover wurde erst vor Kurzem ein
Brandanschlag verübt. Aus Lieberose musste eine bosnische Familie nach
ihrem Umzug in die brandenburgische Provinz schon nach drei Tagen flüchten.
Sie wurde massiv angefeindet und von Neonazis bedroht. Und [6][in
Weißenfels warfen Neonazis am Rande des Christopher Street Day]s Flaschen,
zeigten Hitlergrüße und riefen „Sieg Heil“. Zuvor wurde eine
Regenbogentreppe einer Naumburger Schule von Unbekannten übermalt: in den
Farben der Reichsflagge. Eindeutiger geht es nicht.
All diese rassistischen, antisemitischen und queerfeindlichen
Einschüchterungsversuche und Angriffe eint zweierlei: Sie sind in den
letzten Wochen passiert, und sie stoßen auf wenig Gegenrede, ja sogar
manchmal auf viel Sympathie aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft.
Kein Wunder also, dass die rechtsextremen Täter immer dreister, mutiger,
gewalttätiger werden.
18 Aug 2023
## LINKS
[1] /Rechtsextremer-Taeter-in-Berlin-gefasst/!5954283
[2] /Ueberfall-auf-Migranten-in-Sachsen/!5946384
[3] /Rechte-Drohung-in-Burg/!5943810
[4] /Sonneberg-und-die-AfD/!5941459
[5] /Drohbriefe-vom-NSU-20/!5949467
[6] /CSD-in-Weissenfels/!5949834
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
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