# taz.de -- AfD in Thüringen: Radikale Realitäten | |
> Im kommunalpolitischen Alltag ist die Brandmauer gegen rechts bröckelig. | |
> In thüringischen Sonneberg hat der AfD-Kandidat Chancen bei der | |
> Landratswahl. | |
Bild: Die AfD ist schon längst da: Ein Wahlkampfbus der Partei vor dem Gesells… | |
Fast 500 Menschen sind an diesem Sommerabend Anfang Juni ins | |
Gesellschaftshaus in Sonneberg gekommen, damit ist der Saal der Kreisstadt | |
im Thüringischen an der Grenze zu Bayern fast voll belegt, es ist warm und | |
stickig. Noch wenige Tage sind es bis zur Wahl eines neuen Landrats am | |
kommenden Sonntag, Wahlkampf liegt in der Luft, und die | |
Sonneberger:innen haben sich schick gemacht: Die Männer tragen Sakkos, | |
die Frauen Sommerkleider, Pumps und Lippenstift. Es riecht nach Parfum und | |
Schweiß. Und nach viel Konfliktpotenzial – was auch daran liegt, dass der | |
AfD-Kandidat durchaus Chancen hat, in eine mögliche Stichwahl ums Amt zu | |
kommen. | |
Noch bevor der Moderator die erste Frage stellt, zeigt sich, wie gespalten | |
das Publikum ist. Auf einer Leinwand läuft ein Video, in dem sich die vier | |
Landratskandidat:innen kurz vorstellen. Als der AfD-Kandidat für das | |
Landratsamt, Robert Sesselmann, dran ist, jubelt die Hälfte der | |
Zuschauer:innen. Besonders laut applaudieren sie, als er sagt, dass | |
Geflüchtete den Sonneberger:innen die Wohnungen wegnähmen und | |
Deutschland „kein Weltsozialamt“ sei. Die andere Hälfte im Saal buht ihn | |
lautstark aus. | |
Mehrmals muss der Moderator die AfD-Anhänger:innen ermahnen, sich | |
„anständig“ zu verhalten. Als die Kandidatin Anja Schönheit (parteilos) | |
erklärt, was eine gute Integration ausmache, dringt sie mit ihrem | |
Wortbeitrag kaum noch durch und muss beinahe abbrechen. „Das ist wirklich | |
nicht sonderlich respektvoll“, sagt der Moderator zu den AfDlern. „Wir | |
hören Ihrem Kandidaten genauso zu, wie Sie bitte auch den anderen zuhören.“ | |
Die [1][AfD erlebt derzeit ein Allzeithoch]. Wäre in Thüringen am Sonntag | |
Landtagswahl, käme sie laut Insa-Umfrage auf 28 Prozent und wäre damit | |
stärkste Kraft. Bundesweit liegt die rechtspopulistische Partei aktuell bei | |
19 Prozent, was der höchste Wert ist, den ein Meinungsforschungsinstitut | |
bisher für die AfD gemessen hat. Der Thüringer Verfassungsschutz hat den | |
dortigen Landesverband – Fraktionschef ist der einflussreiche, radikal | |
Rechte Björn Höcke – im Mai 2021 als gesichert rechtsextremistisch | |
eingestuft. | |
## Wer ist der AfD-Mann in Sonneberg? | |
Die AfD verfolgt schon lange das Ziel, erstmals einen Landrat in | |
Deutschland zu stellen. Während sie bei den Landratswahlen in der | |
AfD-Hochburg Sachsen vor einem Jahr noch klar gescheitert ist, hat sie den | |
[2][Landratsposten im brandenburgischen Oder-Spree] Mitte Mai nur um | |
Haaresbreite verpasst. 47,6 Prozent der Stimmen bekam der AfD-Kandidat. Als | |
Nächstes nun also die Landratswahl im südthüringischen Sonneberg am 11. | |
Juni: „Stellt euch vor, die AfD gewinnt ihren ersten Landkreis, was wäre | |
das für eine Schlagzeile. Die Bundesrepublik Deutschland würde beben“, | |
sagte der Rechtsextremist Höcke Anfang Mai. | |
Wer ist der Mann, den die AfD in Sonneberg ins Rennen schickt, und hat er | |
eine Chance, die Landratswahl zu gewinnen? Und wie viel Einfluss hat die | |
AfD in Sonneberg ohnehin schon? | |
Der Landkreis Sonneberg liegt ganz im Süden von Thüringen an der Grenze zu | |
Bayern, nur 20 Bahnminuten vom bayrischen Coburg entfernt. Es ist der | |
kleinste und einwohnerschwächste Landkreis in ganz Ostdeutschland. Knapp | |
57.000 Menschen leben dort, die Hälfte davon in der gleichnamigen | |
Kreisstadt, die auch Spielzeugstadt genannt wird. Anfang des 20. | |
Jahrhunderts wurden dort 20 Prozent der weltweiten Spielwaren hergestellt. | |
Die Region hat etwas Märchenhaftes: bergige Landschaften, grüne Täler, | |
dichte Tannenwälder, kleine Dörfer. | |
Der ganze Landkreis ist, man kann es nicht anders sagen, mit Wahlplakaten | |
der AfD zuplakatiert. Seit Wochen fährt der AfD-Kandidat Sesselmann von | |
Dorf zu Dorf, baut Wahlkampfstände auf und ab, verteilt Flyer und | |
Bratwurstgutscheine. Auf Facebook teilt er zahlreiche Videos von | |
AfD-Bundestagsabgeordneten, die dazu aufrufen, Sesselmann zu wählen. | |
Berührungsängste mit den Radikalen seiner Partei hat er keine. Er postet | |
Fotos mit Höcke und Videos, in denen er mit Mitgliedern der Jungen | |
Alternative, die vom Bundesverfassungsschutz ebenfalls als rechtsextrem | |
eingestuft wird, auf einem Marktplatz steht. | |
Mit Sesselmann schickt die AfD einen Kandidaten ins Rennen, der schon | |
einmal gescheitert ist – ebenfalls bei der Landratswahl, im Jahr 2018. Der | |
50 Jahre alte Rechtsanwalt schied damals mit knapp 30 Prozent im ersten | |
Wahlgang aus. Gewonnen hatte der von der Linken und SPD unterstützte | |
Hans-Peter Schmitz (parteilos). Schmitz allerdings erkrankte schwer und war | |
zwei Jahre krankgeschrieben, ehe er im März 2023 in den Ruhestand versetzt | |
wurde – regulär wäre seine Amtszeit erst am 30. Juni 2024 zu Ende gegangen. | |
Daher findet vorzeitig eine Neuwahl statt. | |
## Ein Gespräch mit der taz lehnt Sesselmann ab | |
Genauso wie 2018 setzt Sesselmann, der im Thüringer Landtag sowie im | |
Sonneberger Kreistag und Stadtrat sitzt, auch bei dieser Landratswahl fast | |
nur auf bundespolitische Themen. Er will den Rundfunkbeitrag abschaffen, | |
aus dem Euro austreten, die Russlandsanktionen aufheben, die Abschiebung | |
„krimineller“ Geflüchteter beschleunigen, überhaupt „sichere Grenzen“… | |
ein Ende der „linksgrünversifften Verbotspolitik“. Kaum ein Thema, mit dem | |
er Wahlkampf macht, wird im Kreistag entschieden. | |
In seinem Wahlprogramm macht Sesselmann lieber systematisch Stimmung gegen | |
Geflüchtete: Deutsche, insbesondere Rentner, würden als „Bürger zweiter | |
Klasse“ behandelt. Während Geflüchtete Geld vom Staat erhielten, blieben | |
„Krankenhäuser auf der Strecke“. Ginge es nach ihm, würden Geflüchtete | |
Sachleistungen statt Geld bekommen. Ein Gespräch mit der taz lehnt | |
Sesselmann ab, auch auf Fragen per Mail antwortet er nicht. | |
„Sesselmann ist ein rechtsradikaler Populist“, sagt Nancy Schwalbach, 52, | |
gemeinsame Kandidatin der Linken und Grünen. In der Fußgängerzone von | |
Sonneberg – einer gepflegten Stadt mit prächtigen Gründerzeithäusern – h… | |
die Grünen-Politikerin an einem Vormittag Anfang Juni einen Wahlkampfstand | |
aufgebaut, mit rotem Sonnenschirm und kleinen Geschenken: Buntstifte, | |
Einkaufswagenchips, Brillenputztücher, Flaschenöffner. Abends wird sie beim | |
Wahlkampfduell im Gesellschaftshaus auf Sesselmann treffen. | |
Die aufgeheizte Stimmung, die man am Abend noch spüren wird, spiegelt sich | |
vormittags in der Fußgängerzone nicht wider. Der Zulauf von Passant:innen, | |
die etwas von Schwalbach wissen wollen, ist mau. Genug Zeit also, um sich | |
auf eine Bank zu setzen und zu quatschen. Schwalbach – kurzes, grau-braunes | |
Haar, schwarzes T-Shirt, Sneaker – ist im Brandenburger Dorf Schwerin | |
aufgewachsen und saß dort elf Jahre in der Gemeindevertretung. Sie war 27 | |
Jahre bei der Bundespolizei tätig, unter anderem in der öffentlichen | |
Verwaltung. „Die Hauptaufgabe eines Landrats ist es, den Kreis zu | |
verwalten. Ich bringe viel Verwaltungserfahrung mit“, sagt Schwalbach. Seit | |
März ist sie Sprecherin des Grünen-Regionalverbands | |
Sonneberg-Hildburghausen. | |
Im Vergleich zu den anderen Kandidat:innen ist Schwalbach im Landkreis | |
eine Unbekannte. Sie ist erst 2020 mit ihrer Patchworkfamilie aus dem | |
Südosten Brandenburgs in die Spielzeugstadt gezogen. „Sonneberg war viele | |
Jahre unser Urlaubsort“, sagt Schwalbach. Mit Mann und Kindern war sie oft | |
beim Tag der offenen Tür des Modelleisenbahnherstellers Piko, der seinen | |
Sitz in Sonneberg hat. Die Kinder, erzählt Schwalbach, wollten immer wieder | |
Urlaub in Sonneberg machen. Irgendwann habe die Familie entschieden, | |
dorthin zu ziehen. | |
Schwalbach sagt, sie wolle gerne Rufbusse einführen und außerdem dafür | |
sorgen, dass Geflüchtete, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, an | |
der Volkshochschule einen Haupt- oder Realschulabschluss machen können. | |
## Nicht unwahrscheinlich, dass AfD-Kandidat gewinnt | |
Seit 2015 engagiert sich die Landratskandidatin für Geflüchtete. Sie und | |
ihr Mann kaufen alte Häuser, sanieren und vermieten sie günstig an | |
Schutzsuchende und Migrant:innen. Damit allein sei es aber nicht getan, | |
sagt Schwalbach. „Ich helfe ihnen, wenn sie Post vom Jobcenter oder dem | |
Migrationsamt bekommen, gehe mit ihnen zum Elternabend der Kita und | |
unterstütze sie bei der Jobsuche.“ | |
Als ein Ukrainer und sein elfjähriger Sohn, die in einem von Schwalbachs | |
Häusern wohnen, an ihrem Wahlkampfstand vorbeispazieren, geht Schwalbach | |
sofort zu den beiden hin. Mithilfe einer Übersetzungs-App fragt sie den | |
Vater, ob er schon einen Unterhaltsvorschuss beantragt habe. Als er | |
verneint, begleitet sie die beiden zum wenige Meter entfernten Sozialamt. | |
Später erklärt sie, dass die Frau des Ukrainers wieder in die Ukraine | |
gegangen sei, samt Kindergeld. Der Vater habe keinen Cent mehr. | |
Gegen Nancy Schwalbach tritt Jürgen Köpper von der CDU an. Er vertritt seit | |
knapp zwei Jahren den erkrankten Landrat und hat also den Amtsinhaberbonus. | |
Seine Vorhaben: Schwimmbäder erhalten, die Digitalisierung in der | |
Kreisverwaltung voranbringen, den ÖPNV ausbauen. | |
Laut Köpper ist es nicht unwahrscheinlich, dass der AfD-Kandidat die Wahl | |
gewinne. „Die Menschen hier fühlen sich in Berlin nicht mehr gehört“, sagt | |
der 57-Jährige am Telefon. Er fränkelt so sehr, dass man ihn kaum versteht. | |
Vor allem das geplante Heizungsgesetz sorge bei den Sonneberger:innen | |
für Frustration – was der AfD in die Karten spiele. „Die AfD muss nichts | |
weiter tun, als auf den nächsten Blödsinn aus Berlin zu warten“, sagt | |
Köpper. Er selbst spricht beim Heizungsgesetz vom „Durchsetzen grüner | |
Ideologie mit brutalster Gewalt“ – womit er sich rhetorisch und inhaltlich | |
kaum von der AfD unterscheidet. | |
Die vierte Kandidatin ist die 43 Jahre alte Anja Schönheit, eine zierliche | |
Frau mit blonden, schulterlangen Haaren. Sie ist Pflegedirektorin der | |
Helios-Klinik im fränkischen Kronach und möchte vor allem Schulden im | |
kommunalen Haushalt abbauen. Erfahrungen in der Kommunalpolitik hat sie | |
keine. | |
Schönheit wird auch von der Wählergruppe Pro Landkreis Sonneberg (Pro LK | |
Son) unterstützt, die zusammen mit der FDP seit knapp einem Jahr eine | |
Fraktion im Sonneberger Kreistag bildet. Zuvor waren CDU und FDP eine | |
gemeinsame Fraktion. Diese brach auseinander, weil die CDU bei der | |
Sonneberger Bürgermeisterwahl nicht erneut den damals wie heute amtierenden | |
Bürgermeister Heiko Voigt (parteilos) nominiert hatte, sondern die | |
CDU-Politikerin Uta Bätz. Sieben Mitglieder der CDU/FDP-Fraktion waren | |
daraufhin aus der Fraktion ausgetreten und haben Pro LK Son/FDP gegründet. | |
## Keine Windkrafträder mit der AfD | |
Eigentlich wollten Linke, SPD und Grüne eine gemeinsame Kandidatin | |
aufstellen. „Wir Grünen und die Linke waren aber nicht bereit, Schönheit zu | |
unterstützen, weil sie sich nicht klar von der AfD abgrenzt“, erklärt | |
Schwalbach. Spricht man Schönheit auf die AfD an, sagt sie, als Parteilose | |
wolle sie mit allen Fraktionen zusammenarbeiten. Ihr gehe es um eine | |
konstruktive Sachpolitik, nicht um Parteizugehörigkeit. Auf ihrer Webseite | |
schreibt Schönheit, dass sie „großen Wert auf eine unabhängige Arbeit“ | |
lege. | |
Während die im Thüringer Landtag vertretenen Parteien eine Zusammenarbeit | |
mit der AfD strikt ablehnen, ist es im Kreistag von Sonneberg in dieser | |
Legislaturperiode schon mehrmals zu Kooperationen mit der AfD gekommen – | |
das zeigt ein Blick in die Kreistagsbeschlüsse. | |
Die CDU zum Beispiel hat einen Antrag zum Verbot von Gendersprache in | |
Behörden mit Ergänzungen der AfD durchgebracht. Der AfD-Antrag | |
„Verabschiedung einer Resolution: ‚Keine Windkraftanlagen im Sonneberger | |
Land‘“ wurde mit Änderungen der damaligen CDU/FDP-Fraktion beschlossen. Im | |
November 2022 hat der Kreistag einen AfD-Antrag zum Thema Energiepreise | |
verabschiedet, in dem der Landrat dazu angehalten wurde, die Landes- und | |
Bundesregierung aufzufordern, „Energiepreise für Bürgerinnen und Bürger | |
sowie Unternehmen auf ein verträgliches Maß zu reduzieren“. Welche | |
Abgeordneten mit Ja oder Nein gestimmt haben, wurde nicht dokumentiert. | |
Die AfD ist mit 9 Sitzen die drittgrößte Fraktion im Kreistag. Die CDU | |
sowie die Fraktion Linke/Grüne haben jeweils 10 Sitze, die Fraktion Pro LK | |
Son/FPD hat 7, die SPD 3. „Die meisten AfD-Abgeordneten zeigen offen ihre | |
Sympathie für Höcke“, sagt Philipp Müller, Linken-Abgeordneter und | |
stellvertretender Vorsitzende der Fraktion Linke/Grüne. Zu den Mitgliedern | |
der AfD-Fraktion zählt neben Sesselmann auch Holger Winterstein, der im | |
Oktober 2022 mit ausgebreiteten Armen auf einem Holocaust-Denkmal posierte | |
und sich dabei fotografieren ließ. „Danach hat sich die AfD-Fraktion nicht | |
von ihm distanziert.“ | |
Der CDU-Kandidat und stellvertretende Landrat Jürgen Köpper sagt, die | |
Zusammenarbeit mit der AfD sei „bei Sachthemen ganz normal, sonst würden | |
wir keine Kreistagsbeschlüsse fassen können“. Zum größten Teil säßen ja | |
„vernünftige Menschen“ in der AfD-Fraktion, „darunter drei Rechtsanwält… | |
Köpper nehme die AfD-Abgeordneten genauso ernst wie jeden anderen | |
Abgeordneten im Kreistag. „Anders kriege ich auf kommunaler Ebene keine | |
Sachpolitik zustande.“ | |
## Dem Antrag zu Energiepreisen wurde zugestimmt | |
Auf die Frage, ob man die AfD durch eine Zusammenarbeit nicht normalisieren | |
würde, sagt er: „Was soll ich Ihnen jetzt drauf antworten? Die AfD ist eine | |
Partei, die nicht verboten ist, sie ist legitim durch die Bevölkerung ins | |
Parlament gewählt worden. Wie soll ich eine Zusammenarbeit verhindern, wenn | |
es um Sachthemen geht?“ Anderswo, sagt Köpper, würde auf kommunaler Ebene | |
auch mit der AfD kooperiert. | |
Beate Meißner, Fraktionsvorsitzende der CDU im Kreistag, versichert | |
hingegen, dass es keine Zusammenarbeit ihrer Fraktion mit der der AfD gebe. | |
„Meiner Erinnerung nach hat die CDU-Fraktion im Kreistag keine Anträge | |
gemeinsam mit der AfD beschlossen“, sagt sie. Auf die Frage, ob | |
CDU-Fraktionsmitglieder denn schon mal für einen Antrag der AfD gestimmt | |
hätten, antwortete Meißner nicht. | |
„Wir arbeiten nicht mit der AfD zusammen“, sagt Philipp Müller von der | |
Linken. „Der einzige AfD-Antrag, dem wir als Fraktion je zugestimmt haben, | |
ist der zum Thema Energiepreise. An diesem Antrag war nichts auszusetzen, | |
er war sachlich und wurde fraktionsübergreifend angenommen.“ | |
Holger Scheler, SPD-Kreistagsabgeordneter, teilt mit, er könne „nicht mit | |
Bestimmtheit verneinen“, dass schon mal eines der drei Fraktionsmitglieder | |
für einen AfD-Antrag gestimmt habe. „Ich denke, wir haben je nach Sachfrage | |
entschieden und überdies auch keinen Fraktionszwang.“ Scheler hält es für | |
falsch, die Zusammenarbeit mit der AfD im Kreistag kategorisch | |
auszuschließen. | |
Natürlich müsse man sich von menschenfeindlichen Positionen abgrenzen, das | |
verstehe sich von selbst, sagt er. Aber auf Kreisebene gehe es nicht um | |
Parteipolitik oder Ideologie, sondern hauptsächlich um Sacharbeit, etwa um | |
die Schließung einer Schule oder die Finanzierung des regionalen | |
Krankenhauses. „Bei den Kreistagswahlen 2019 haben 24 Prozent der | |
Wähler:innen für die AfD gestimmt. Man ist kein Demokrat, wenn man das | |
ignoriert.“ | |
Die Fraktion Pro LK Son/FDP hat sich auf Anfrage der taz nicht | |
zurückgemeldet. Laut Kreistagsabgeordneten komme es aber häufiger vor, dass | |
die AfD für Anträge der Fraktionsgemeinschaft stimme. | |
## Landkreis ist ländlich und abgeschieden | |
Hat Robert Sesselmann eine Chance, die Landratswahl zu gewinnen? | |
Bei der Bundestagswahl 2021 wurde die AfD in Sonneberg mit 28 Prozent die | |
stärkste Kraft. Nur in 4 von 17 Landkreisen in Thüringen haben noch mehr | |
Wähler:innen für die Partei gestimmt. Auch bei der EU-Wahl 2019 hat die | |
AfD in Sonneberg gewonnen. | |
„Die AfD hat in Sonneberg ein großes Wähler:innenpotential“, sagt Axel | |
Salheiser vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ). | |
„Dort gibt es ein dezidiert rechtsextremes Publikum. In den letzten Jahren | |
sind deutschlandweit bekannte Neonazis wie Frank Rennicke oder Sebastian | |
Schmidtke in die Region gezogen. Der Landkreis ist sehr ländlich und | |
abgeschieden, die Neonazis können dort ungestört ihr Ding machen.“ Auch | |
Felix Steiner von Mobit, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in | |
Thüringen, sagt: „In und um Sonneberg gibt es eine ganz klar rechtsextreme | |
Szene, die sich von Reichsbürgern hin zu Neonazis streckt und sehr aktiv im | |
Bereich Rechtsrock ist.“ | |
Salheiser zufolge stehen die Chancen für Sesselmann nicht schlecht. „Die | |
AfD ist in Südthüringen relativ mobilisierungsstark.“ Doch am Ende, | |
vermutet der Soziologe, werde es zum „Alle-gegen-die-AfD-Effekt“ kommen – | |
also dazu, dass im zweiten Wahlgang alle demokratischen Parteien den | |
AfD-Konkurrenten unterstützen und so ein AfD-Sieg verhindert werde. „Wir | |
haben ja gesehen, was passierte, als die Südthüringer CDU Hans-Georg Maaßen | |
bei der Bundestagswahl 2021 als Direktkandidaten für den Wahlkreis 196 | |
aufgestellt hat, zu dem auch Sonneberg gehört“, sagt Salheiser. „Die | |
demokratischen Parteien haben gegen ihn mobilisiert, und er hat das Mandat | |
nicht geholt.“ | |
Auch der Linken-Abgeordnete Müller vermutet, dass spätestens in der | |
Stichwahl ein:e Kandidat:in der demokratischen Parteien gewinnen werde. | |
Es kommt dann zu einer Stichwahl zwischen den zwei stärksten | |
Kandidat:innen, wenn im ersten Wahlgang kein:e Kandidat:in mehr als 50 | |
Prozent der Stimmen holt. Thomas Heine dagegen, stellvertretender | |
Kreisvorsitzender der Linken, hält „die Gefahr für real“, dass Sesselmann | |
im ersten Wahlgang gewinnen könnte. | |
Bei der Stichwahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree im Mai hat die | |
AfD nur ganz knapp verloren. Anders als Linke und Grüne hatten CDU und | |
Freie Wähler dort nicht explizit zur Wahl des SPD-Kandidaten aufgerufen – | |
wofür sie scharf kritisiert wurden. Wie wollen sich die demokratischen | |
Parteien in Sonneberg verhalten, falls es zu einer Stichwahl zwischen | |
Sesselmann und einer Kandidat:in kommen sollte, die nicht ihre eigene | |
ist? | |
Linke, Grüne und SPD versicherten der taz, dann „selbstverständlich“ die | |
AfD-Konkurrent:in zu unterstützen. Die Kreisvorsitzende der CDU Beate | |
Meißner hingegen wollte sich nicht klar äußern und antwortete nur: „Diese | |
Annahme ist rein spekulativ und stellt sich nicht.“ | |
## Firmen und Tourismus würden Fern bleiben | |
Würde Sesselmann gewinnen, wäre das ein „sehr beunruhigendes und | |
erschreckendes Signal“, sagt Salheiser vom IDZ Jena. Der Kreisvorsitzende | |
der Linken, Michael Stammberger, fürchtet, dass dann weniger | |
Tourist:innen nach Sonneberg kommen könnten und sich keine Firmen mehr | |
ansiedeln würden: „Das wäre ein großer Nachteil für die weitere Entwicklu… | |
des Landkreises.“ | |
Als Vorsitzender des Kreistags könnte ein AfD-Landrat zwar eine gewisse | |
Richtung vorgeben, am Ende entscheidet er aber nicht alleine, was im | |
Landkreis passieren soll, sondern muss umsetzen, was der Kreistag | |
beschließt. Das heißt: Je mehr Abgeordnete er auf seiner Seite hat, desto | |
größer sein Einfluss. Aktuell sieht es so aus, als würde sich die Zahl der | |
AfD-Abgeordneten im Sonneberger Kreistag künftig eher vergrößern als | |
verkleinern. Neben der Landtagswahl finden nächstes Jahr auch | |
Kommunalwahlen in Thüringen statt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die | |
AfD dann Sitze dazugewinnt. | |
Die Sonneberger:innen, die man auf der Straße treffen kann für eine | |
spontane Blitzumfrage, sind, und das immerhin macht Hoffnung, entschlossene | |
Demokrat:innen: „Ich wähle Herrn Köpper, er hat seinen Job gut gemacht die | |
letzten beiden Jahre“, sagt eine 83-jährige Sonnebergerin, die an einer | |
Bushaltestelle in der Sonneberger Innenstadt wartet. | |
„Die AfD schimpft nur.“ Eine 33 Jahre alte Mutter: „Ich weiß noch nicht, | |
wen ich wähle, aber definitiv nicht die AfD.“ „Die AfD wäre das Letzte, w… | |
ich wählen würde“, versichert eine Rentnerin. Ihre zwei Freundinnen stimmen | |
ihr bei. „Die reden einem nur nach dem Mund, bieten aber keine Lösungen | |
an.“ Ein Rentner mit kurzer beiger Hose und Sandalen sagt: „Falls Robert | |
Sesselmann Landrat werden sollte, gehen wir so lange auf die Straße, bis er | |
freiwillig wieder zurücktritt.“ | |
10 Jun 2023 | |
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[2] /Erstarken-der-AfD/!5931844 | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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