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# taz.de -- Vizechef über seine Partei: „Sonst stirbt die SPD“
> Die SPD muss sich erneuern, um zu überleben, sagt Thorsten
> Schäfer-Gümbel. Ein Gespräch über sozialdemokratische Chaostage.
Bild: „Die Erneuerung muss kommen“: Die SPD erlebt schwierige Tage
taz: Herr Schäfer-Gümbel, die SPD liegt in Umfragen bei 16 Prozent. Rast
Ihre Partei gerade in den Abgrund – und keiner an der SPD-Spitze merkt es?
Thorsten Schäfer-Gümbel: Alle in der SPD wissen, wie ernst die Lage ist.
Wir haben in der letzten Zeit kein gutes Bild abgegeben. Statt über unsere
erfolgreich verhandelten Inhalte zu sprechen, ist der Eindruck entstanden,
es gehe um Posten und Selbstfindung. Das findet niemand attraktiv. Wir
bekommen aber gerade die Kurve.
[1][Erst ein Aufstand in der Partei brachte Martin Schulz davon ab,
Außenminister werden zu wollen.] Wie konnte es zu diesem Chaos kommen?
Martin Schulz hat eine schwere Entscheidung getroffen. Er hat seine
persönlichen Ambitionen zurückgestellt, um den Blick wieder auf die Inhalte
zu lenken. Dabei hatte er das Wohl der SPD im Blick. Das halte ich für sehr
respektabel.
Warum hat niemand in der SPD-Spitze Schulz gestoppt? Eine sensible Führung
hätte ahnen müssen, wie schlecht ein solcher Deal ankommt.
Auch wenn es im SPD-Vorstand unterschiedliche Sichtweisen dazu gab, stand
am Ende die gemeinsame Einschätzung, das so zu machen. Schulz als
Außenminister, der die politische Zeitenwende, die er im Europakapitel
durchgesetzt hatte, selbst hätte umsetzen können, Nahles als
Parteivorsitzende – für diese Trennung hätte man auch mit Blick auf die
Erneuerung der SPD gut argumentieren können. Allerdings haben wir die
Außenwirkung komplett unterschätzt.
War das ein kollektives Führungsversagen?
Es war eine kollektive Fehleinschätzung.
Drückt sich [2][in den Umfragen] auch der Frust über eine weitere Große
Koalition aus?
Die Mehrheit der SPD-Wählerinnen und -Wähler will, dass wir in diese
Regierung eintreten. Ich glaube, viele Menschen haben die Nase voll von dem
Hin und Her. Sie möchten, dass diese Sache endlich entschieden wird. Nach
dem Mitgliedervotum beginnt dann die eigentliche Arbeit. Wir müssen
Vertrauen wiederherstellen und die SPD konsequent erneuern.
Sie denken, dass die Groko [3][beim Mitgliedervotum] durchgeht. Was macht
Sie sicher, dass Sie nicht schon wieder auf dem falschen Dampfer sind?
Ich glaube, dass eine Mehrheit der Mitglieder für die Große Koalition
stimmt. Ich bin im Moment ständig an der Basis unterwegs, führe viele
Gespräche, rufe zum Beispiel oft skeptische Leute zurück, die mir
schreiben. Deshalb behaupte ich, ein Gefühl für die Stimmung zu haben.
Viele Kritiker finden die Koalition aus grundsätzlichen Erwägungen falsch.
Sie sagen aber auch, dass wir im Koalitionsvertrag viel erreicht haben. Was
ich immer wieder höre, ist: Wir wollen keine Personaldebatten. Die
Interessen Einzelner dürfen keine Rolle spielen. Es ist nicht klug, als
Primaballerina alleine auf der Bühne zu tanzen.
Sie meinen [4][Sigmar Gabriel], der gerne Außenminister bleiben will.
Ich meine, dass Politik ein Mannschaftsspiel ist. An der Basis gibt es die
klare Erwartung, dass das in der SPD wieder erkennbarer wird.
Sigmar Gabriel ist einer der erfahrensten Politiker in der SPD – und bei
den Deutschen sehr beliebt. Können Sie es sich leisten, [5][auf einen
solchen Mann zu verzichten?]
Ich verstehe Ihre Frage. Aber Martin Schulz hat mit seiner Entscheidung zu
Recht Personalfragen hintangestellt. Ich werde keinen Beitrag dazu leisten,
das zu ändern. Jetzt geht es um die Inhalte.
Ist es fair, den Mitgliedern die Namen der künftigen Minister
vorzuenthalten? Es sind immer Personen, die Inhalte durchsetzen.
Natürlich interessieren sich Menschen für Personen. Aber die SPD ist eine
Programmpartei. Für uns galt immer, dass erst die Inhalte kommen, dann das
Personal.
Sickert vielleicht bei vielen Mitgliedern die Erkenntnis ein, wie desaströs
Neuwahlen für die SPD wären?
Politik bedeutet immer, die Realität zu sehen und Alternativen abzuwägen.
Man darf als Partei keine Angst vor irgendwas haben. Aber: Durch eine
Neuwahl würden Monate vergehen, ohne dass eine deutsche Regierung Reformen
in Europa beschließen könnte. Da schließt sich ein wichtiges Zeitfenster.
Dann wären da die vielen Verbesserungen für normale, hart arbeitende Leute:
Ein Nein zur Großen Koalition bedeutet ein Nein zu mehr bezahlbaren
Wohnungen, ein Nein zu einem öffentlichen Beschäftigungssektor, der
insbesondere Langzeitarbeitslosen hilft, und ein Nein zur Grundrente gegen
Altersarmut.
Andrea Nahles und Olaf Scholz sind als Funktionäre seit Jahren in hohen
Ämtern. Warum steht dieses Duo eigentlich für Erneuerung?
Mir geht es um inhaltliche Erneuerung. Die SPD muss sich in den kommenden
Jahren vor allem um zwei Fragen kümmern: Wie sieht die Zukunft der Arbeit
aus – unter den Bedingungen von Globalisierung, Digitalisierung und
Klimawandel? Und wie sieht eine neue Sozialstaatlichkeit aus, die Menschen
hilft, mit dem Wandel klarzukommen? Die SPD muss also ihren
programmatischen Kern, die Bedeutung und den Wert von Arbeit,
wiederbeleben. Für diese große Aufgabe sind Andrea Nahles und Olaf Scholz
die Richtigen, weil sie einen klaren Kompass haben und den Willen, auch
lange Linien durchzuhalten.
Mit Verlaub, die SPD erweckt bisher nicht den Eindruck, große
Zukunftsfragen wie die Digitalisierung verstanden zu haben.
An manchen Stellen in unserem Programm glitzert es. Andrea Nahles hat zum
Beispiel das Arbeitslosengeld Q entwickelt. Wer sich weiterbildet, bekommt
länger Arbeitslosengeld. Qualifikation ist auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft
entscheidend. Sie hat auch den Vorschlag eines Chancenkontos für
Arbeitnehmer gemacht. Jeder bekäme mehrere tausend Euro, um sich ein Leben
lang fortzubilden. Solche kreativen Lösungen brauchen wir, um Menschen im
Wandel mitzunehmen.
Warum haben Sie das im Bundestagswahlkampf nicht groß beworben? Das
Chancenkonto ist versunken wie ein Stein.
Ich fand die Idee brillant. Weil sie eine Antwort auf eine Debatte gibt,
die häufig rückwärts geführt wird: Was war an der Agenda 2010 richtig – u…
was falsch? Dass das Chancenkonto im Wahlkampf unterging, war fatal und
sicher auch unser Fehler.
Die Bild-Zeitung hat angebliche Milliardenkosten vorgerechnet. Danach war
das Thema weg. Kann die SPD keinen medialen Druck aushalten?
Doch, klar. Ich glaube, dass nicht alle in der Gesellschaft das
Weitreichende, das Visionäre an dem Vorschlag gesehen haben. Auch in der
SPD nicht. Aber in diese Richtung muss es gehen: Die SPD muss Aufschläge
für eine neue Sozialstaatlichkeit machen. Und sie darf nie wieder die Würde
der Arbeit beschädigen, wie es Olaf Scholz in seinem Thesenpapier nach der
Wahl richtig festgestellt hat.
Als die SPD 2013 in die Große Koalition eintrat, versprachen Spitzenleute
auch eine programmatische Erneuerung. Passiert ist nichts. Warum sollte es
dieses Mal anders sein?
Weil auch dem Letzten in der Partei der Ernst der Lage klar ist. Der
Parteitag hat einen klaren Beschluss gefasst. Die Erneuerung muss kommen.
Sonst stirbt die SPD. Die Erwartungshaltung ist groß – bei unseren
Mitgliedern, den WählerInnen und auch bei Gruppen, die die SPD mit
kritisch-solidarischer Distanz beobachten. Mit Andrea Nahles, die
Fraktions- und hoffentlich bald Parteivorsitzende ist, wird es dafür ein
Steuerungszentrum außerhalb des Kabinetts geben. Auch das ist wichtig.
Als Fraktionschefin muss sie das Ja zu Regierungsbeschlüssen organisieren.
Wie soll sie da die SPD eigenständig profilieren?
Machen Sie sich mal keine Sorgen. Andrea Nahles hat ein klares,
organisationspolitisches Grundverständnis. Sie sieht die Aufgaben der
Zukunft.
Olaf Scholz sagt, die SPD müsse wieder den Kanzler stellen. Manchmal wirkt
Autosuggestion auch weltfremd, oder?
Solche Aussagen mögen im Moment außergewöhnlich mutig wirken. Aber Olaf
Scholz kann so etwas mit großem Selbstvertrauen sagen, weil er die
Hamburger SPD aus einer schwierigen Situation in kurzer Zeit an die Spitze
geführt hat.
Im Moment ist er Übergangschef einer 16-Prozent-Partei.
Wir werden den Führungsanspruch der Sozialdemokratie nicht aufgeben. Vor
zwei Jahren hat ein ehemaliger Ministerpräsident mal bezweifelt, ob die SPD
noch einen Kanzlerkandidaten gegen Merkel aufstellen müsse. Sich so klein
zu machen, halte ich für falsch. Wir sind in der derzeitigen Lage, weil wir
Fehler gemacht haben. Und wir beabsichtigen, Fehler in Zukunft zu
unterlassen.
Was passiert eigentlich, wenn die Mitglieder gegen die Groko stimmen?
Dann ist die SPD, dann ist das ganze Land in einer schwierigen Situation.
20 Feb 2018
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
Stefan Reinecke
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