# taz.de -- Nach dem Amtsverzicht von Martin Schulz: SPD auf Schulz-Entzug | |
> Sigmar Gabriel tritt nach. Martin Schulz verzichtet auf den Posten als | |
> Außenminister. Andrea Nahles fühlt mit. Die SPD-Spitze zerlegt sich. | |
Bild: Dieser Zug endet hier: Martin Schulz im Bahn-Werk Neumünster | |
BERLIN taz | „Für mich ist es von höchster Bedeutung, dass die Mitglieder | |
der SPD beim Mitgliedervotum für diesen Vertrag stimmen, weil sie von | |
dessen Inhalten genauso überzeugt sind, wie ich es bin“, schreibt der | |
SPD-Vorsitzende Martin Schulz in seiner Rückzugserklärung. „Durch die | |
Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreiches Votum allerdings | |
gefährdet. Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in | |
die Bundesregierung.“ | |
Schulz’ Sätze vom Freitagnachmittag klingen zuerst einmal folgerichtig: Da | |
zieht sich ein Politiker zurück, um den Erfolg seiner Partei nicht zu | |
gefährden. Doch tatsächlich sind sie eine Bankrotterklärung für die SPD, | |
erpresst vom eigenen Vorstand. Eine Bankrotterklärung für die Strategen der | |
Partei, für ihre Mandatsträger, für ihr parteiinternes Miteinander, ihren | |
Umgang mit GenossInnen und nicht zuletzt mit der Öffentlichkeit. | |
Bei CDU und CSU dürfte eine im ersten Augenblick aufkeimende Häme umgehend | |
tiefer Besorgnis darüber weichen, ob und wie man mit diesen | |
Sozialdemokraten überhaupt regieren soll. Einen Hoffnungsträger hymnisch | |
aufbauen, um ihn binnen einem Wahljahr systematisch und auf persönlich | |
nahetretende Weise zur Strecke zu bringen – so was kriegen sie in der Union | |
so nicht hin. Angela Merkels Credo „Erst das Land, dann die Partei“ wird | |
von den Spitzengenossen ins glatte Gegenteil verkehrt. | |
Der kommenden SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles dürfte ganz blümerant werden | |
angesichts der Fliehkräfte, die innerhalb ihrer Partei nach wie vor wirken. | |
Ihr ist schon jetzt vorzuwerfen, als wichtigste Verhandlungsführerin für | |
die Große Koalition Martin Schulz nicht rechtzeitig vor der Präsentation | |
des Vertrags zum Rückzug bewegt zu haben. Nun erklärt sie lediglich, sie | |
wisse, wie schwer ihm seine Entscheidung gefallen sei. „Das zeugt von | |
beachtlicher menschlicher Größe.“ Nun gehe sie davon aus, „dass wir uns | |
jetzt voll und ganz auf die inhaltliche Debatte konzentrieren“. | |
Das klingt nach „Weiter, immer weiter!“. Doch gerade das dürfte in den | |
Wochen des Mitgliederentscheids schwer zu vermitteln sein. Denn dass Schulz | |
sich zurückzieht, liegt unter anderem an einem Ultimatum, das ihm der | |
eigene Parteivorstand gestellt hatte – und an Sigmar Gabriel. | |
## Kindergartenkind als Zeuge | |
Nachdem nämlich Martin Schulz am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz im | |
Willy-Brandt-Haus erklärt hatte, er gebe den Parteivorsitz an Andrea Nahles | |
ab und strebe in einer zu bildenden Regierung das Amt des Außenministers | |
an, gab Noch-Amtsinhaber Sigmar Gabriel der Funke-Mediengruppe ein | |
aufschlussreiches Interview. | |
„Für mich beginnt jetzt eine neue Zeit“, umriss Gabriel dem Journalisten | |
Christian Kerl seine Gefühlslage. „Meine kleine Tochter Marie hat mir heute | |
früh gesagt: Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr | |
Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im | |
Gesicht.“ Weiter bedauert Gabriel, „wie respektlos bei uns in der SPD der | |
Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch | |
zählt“. Damit offenbarte der Spitzenpolitiker Gabriel nicht nur seine | |
Gefühlslage. Er räumte zugleich unverhohlen ein, was Kritiker innerhalb und | |
außerhalb der SPD gemutmaßt hatten: dass es in der SPD-Führung | |
Postenkungeleien gegeben hat. Und, dies dürfte einmalig sein, er lässt als | |
Zeuge ein Kindergartenkind zu Wort kommen. Genauer gesagt: seine Tochter. | |
Für Gabriel stellt sich die Sache offenbar so dar, dass er, selbstlos wie | |
er nun einmal ist, dem Genossen Schulz vor Jahresfrist den Parteivorsitz | |
und damit die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl überlassen hat. Im | |
Gegenzug scheint Schulz ihm damals versprochen zu haben, im Fall einer | |
SPD-Regierungsbeteiligung Außenminister bleiben zu können. Gabriels | |
Äußerung vom „gegebenen Wort“ verhehlt freilich, dass er selbst zu dieser | |
Zeit als Spitzenkandidat nicht vermittelbar gewesen wäre. | |
Wenn der Fall des Martin Schulz etwas bewirkt, dann, dass sich Sigmar | |
Gabriel auch keine Hoffnungen mehr machen muss, unter einer Parteichefin | |
Nahles ein Ministerium zu ergattern. Insofern hat die kleine Marie recht: | |
Auch für ihren Vater beginnt jetzt eine neue Zeit. | |
## Drei Wochen Zeit | |
Den SozialdemokratInnen bleiben ab jetzt genau drei Wochen, um sich über | |
die Zukunft ihrer Partei klarzuwerden. Anfang März werden die Stimmen des | |
Mitgliederentscheids zum Koalitionsvertrag ausgezählt. Das Votum bezieht | |
sich nun auf das Versprechen eines Mannes, den seine eigene Führung aus | |
seinen Ämtern gedrängt hat. Der Slogan der GroKo-GegnerInnen – #SPDerneuern | |
– könnte eine ganz neue Bedeutung erlangen. Halten die Mitglieder ihre | |
Führung tatsächlich für geeignet, die Politik der Bundesrepublik zu | |
gestalten? | |
Der SPD-Rechte Johannes Kahrs hielt den Freitagnachmittag für den | |
geeigneten Moment für weitere öffentliche Postendebatten. „Sigmar Gabriel | |
sollte Außenminister bleiben. Alles andere würde ich jetzt nicht mehr | |
verstehen“, [1][twitterte der Sprecher des Seeheimer Kreises]. Woraufhin | |
[2][Fraktionsvize Sören Bartol] Kahrs rüffelte: „Lieber Johannes. Wir | |
haben klar gesagt, dass wir NACH dem Mitgliedervotum über Personen reden.“ | |
[3][Johanna Uekermann], einst Juso-Vorsitzende und heute | |
SPD-Vorstandsmitglied, schrieb: „Sagt Bescheid, wenn dieser Männerzirkus | |
vorbei ist. Ich hab’s satt.“ Ihr [4][Juso-Nachfolger Kevin Kühnert], | |
Anführer der Groko-GegnerInnen, twitterte nach Bekanntwerden von Schulz’ | |
Rückzug lakonisch: „Habe meine #NoGroko-Tour soeben in #Pirna begonnen. | |
Drei Stunden Gespräche mit Initiativen und (Nicht-)Mitgliedern über Arbeit, | |
Rente, Infrastruktur, Integration, Rechtsruck und #spderneuern. Jetzt | |
weiter nach Leipzig. Politischer Karneval in Berlin ist weit weg.“ Zu mögen | |
scheint sich in der SPD tatsächlich niemand. | |
9 Feb 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/kahrs/status/961959236354887680 | |
[2] https://twitter.com/soerenbartol/status/961965903888945152 | |
[3] https://twitter.com/j_uekermann/status/961933984438669313 | |
[4] https://twitter.com/KuehniKev/status/961961801247272961 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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