# taz.de -- Debatte SPD-Abstimmung zur Groko: Auf dem Weg zum Kollaps | |
> Die Groko-Gegner Kühnert & Co wollen nicht zu viel, sie wollen zu wenig. | |
> Warum die SPD trotz aller Skepsis Ja zur Großen Koalition sagen sollte. | |
Bild: Soll sie's wirklich machen oder lässt sie's lieber sein? | |
In der SPD ist derzeit viel von Erneuerung die Rede. Man sollte darauf | |
nicht viel geben. Der Schwur, es werde kein „Weiter so“ geben, ist nur ein | |
Rhetorik-Placebo, das verabreicht wird, um zweifelnde Neinsager | |
umzustimmen. Die SPD ist, aller Basisdemokratie zum Trotz, eine auf Macht | |
und Staat fixierte Organisation. Wenn regiert wird, spielt die Partei keine | |
Rolle mehr. Da tickt die SPD nicht anders als die Union. | |
Die Sozialdemokratie steckt in fast ganz Europa in einer Identitätskrise. | |
Sie ist zerrissen zwischen dem unter Schröder und Blair schon aufgegebenen | |
(und bis heute nur halbwegs reparierten) Anspruch, Partei der kleinen Leute | |
zu sein, und jenem, die Interessen aufstrebender, individualisierter | |
Bildungsaufsteiger zu vertreten. Milieuparteien wie Grüne oder FDP tun | |
sich in sozial und in Sachen Lebensstil zerklüfteten Gesellschaften | |
leichter – Volksparteien, vor allem die der linken Mitte, scheint dieser | |
Spagat zu ruinieren. Die Unterschicht neigt zu Rechtspopulisten, die | |
hedonistischen Städter zu liberalen Milieuparteien. Wo ist der Ort der | |
Sozialdemokratie? | |
Die Aussicht, nun schon wieder mit der Union zu regieren, ist trübe. Die | |
nötige Besinnung auf das, was die SPD sein will, wird schnell von der | |
Regierungslogik verdrängt werden. Der SPD wird es in der nächsten Regierung | |
mit der Union kaum besser ergehen wird als in den letzten beiden | |
Koalitionen. Da haben Juso-Chef Kühnert und die Groko-Gegner recht. Union | |
und SPD verschmelzen im Kabinett zu einem Komplex, bei dem das Publikum | |
kaum noch Differenzen wahrnimmt. Das verschärft die Identitätskrise der | |
SPD, und es verschleppt die Krise der Demokratie. Wenn Merkel und Nahles | |
regieren, scheint wieder alles im Normalmodus. Aber das ist eine Täuschung. | |
Die auf Dauer gestellte Große Koalition ist das Symptom eines Systems auf | |
dem Weg zum Kollaps. | |
Bei der nächsten Wahl wird die SPD wieder vor einem kaum lösbaren Problem | |
stehen und einen verlegenen Wahlkampf inszenieren wie 2017. Denn sie ist | |
eingeklemmt in einem unschlüssigen „Ja, aber“. Sie ist, anders als die | |
Union, unfähig, eigene Erfolge in der Regierung zu feiern – und erst recht | |
unfähig, eine markige Kampagne für soziale Gerechtigkeit anzuzetteln. Denn | |
das ist auch eine Kampagne gegen sich selbst – die Partei, die in den | |
letzten 20 Jahren fast immer mitregiert hat. | |
## Endlich mal aus der Rolle springen? | |
Also Nein sagen? Endlich aus der Rolle der ewig staatstragenden Partei | |
ausbrechen, die elende Logik des Sachzwangs sprengen? Wenn die Basis am | |
Sonntag Nein sagt, wird ziemliche Konfusion ausbrechen. Die Parteispitze | |
hat keinen Plan B, wie Andrea Nahles freimütig kundtat. Vielleicht wird sie | |
zurücktreten, vielleicht in der rauchenden Ruine weiter Schlossherrin | |
spielen. | |
Nun entsteht das Neue ja oft aus dem unkontrollierten Zusammenbruch, aus | |
dem Chaos, der wilden Mixtur von Zufällen und Zuspitzungen. Vielleicht | |
braucht die SPD eine Katharsis – und die folgt selten dem vernünftigen | |
Abwägen der Alternativen und dem Regelwerk des satzungsgemäßen Verfahrens. | |
Doch bei der SPD spricht derzeit wenig für einen erlösenden Crash. Bei der | |
Labour Party revoltierte eine tot geglaubte Parteilinke, verbunden mit | |
jungen, energiegeladenen AktivistInnen, erfolgreich gegen das | |
Parteiestablishment. In Berlin wird das nicht passieren. Denn nicht nur die | |
Parteispitze hat keine blasse Ahnung, was nach einem Nein zu tun wäre – | |
auch die Anti-Groko-Fraktion weiß nicht, was sie mit einem Sieg eigentlich | |
anfangen würde. | |
Kühnert & Co wollen keine Koalition mit der Union – das ist auch schon | |
alles. Sie wollen nicht zu viel, sondern zu wenig. Sie führen keinen | |
schwungvollen Aufstand an und werden auch das Willy-Brandt-Haus nicht | |
stürmen. Sie sammeln nicht etwa Verbündete, um die alte Parteielite in die | |
Wüste zu schicken. Ein Nein wäre weder ein waghalsiger Neubeginn noch ein | |
riskanter strategischer Schwenk nach links. Dieses Nein wird auch den in | |
Routine erstarrten Apparat nicht auf Trab bringen. Die Attraktivität dieses | |
Nein speist sich eher aus Überdruss als aus einer vitalen Vision dessen, | |
was die Sozialdemokratie sein muss. Dieses Nein wäre ein kurzes Zucken | |
rebellischen, trotzigen Geistes. Ein Aufflackern, dem zähe Ratlosigkeit | |
folgen wird. | |
## Über das schöne Scheitern | |
Am Ende des Films „Alexis Sorbas“ kracht eine aufwendig errichtete Seilbahn | |
mit Karacho in sich zusammen. Sorbas, der vitale Held, der die Seilbahn | |
eigenhändig gebaut hat, wischt sich den Staub aus den Augen, tanzt am | |
Strand und feiert den Zusammenbruch, als wäre es Triumph. Es gibt | |
Augenblicke, in denen aus Scheitern Schönheit wird: beautiful loser. Im | |
Kino. Selten in der Politik. | |
Bleiben die bekannten Argumente für die Groko. Der Koalitionsvertrag kann | |
sich für eine 20-Prozent-Partei sehen lassen, auch wenn er aus SPD-Sicht | |
schlechter ist als der von 2013. Zudem verspricht die Groko professionelles | |
Regieren. Das ist in den Zeiten wachsender Nervosität nicht mehr so | |
selbstverständlich, wie es früher war. Das wichtigste Argument ist der | |
Mangel an brauchbaren Alternativen. Eine Minderheitsregierung ist im | |
Prinzip einen Versuch wert – allerdings bekäme damit die AfD derzeit | |
ungewollt eine Schlüsselrolle. Linksliberale würden mit den Beschlüssen | |
dieses Bundestages mit seiner rechten Mehrheit jedenfalls sehr wenig Freude | |
haben. | |
Und noch etwas spricht gegen ein Nein: der Zeitpunkt. Die SPD hat erst | |
donnernd Nein zur Groko gesagt, dann holprig Ja. Und verpasste die Chance, | |
die ungeliebte Groko zu vermeiden. Direkt nach dem Scheitern von Jamaika | |
hätte sie Merkel selbstbewusst eine Duldung für ein Jahr anbieten können. | |
Das wäre ein machbares, verlässliches Modell gewesen, ohne die rechte | |
Mehrheit im Bundestag zu mobilisieren. Damit wäre die SPD aus dem Schneider | |
und womöglich politisch in der Offensive gewesen. Aber dazu war sie zu sehr | |
mit sich selbst befasst, zu wirr, zu orientierungslos. | |
Jetzt nach dem Nein und dem Ja wieder auf Nein zu schwenken – das wirkt | |
vollends konfus. Wer soll diesen Slalom noch verstehen? | |
2 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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