| # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Endlich wieder richtig links? | |
| > Ein Comeback der Beatles inklusive John Lennon ist wahrscheinlicher als | |
| > eine Erneuerung der SPD. Ja, man muss sich Sorgen machen. | |
| Bild: Der Riss, der durch die SPD geht, ist nicht nur sozialpolitisch, sondern … | |
| Nach sorgsamer Prüfung der Sachlage bin ich zu dem Schluss gekommen, dass | |
| ein Comeback-Konzert der Beatles inklusive John Lennon und George Harrison | |
| erheblich wahrscheinlicher ist als eine Erneuerung der SPD. Das meine ich | |
| nicht flapsig, sondern bitter ernst. Denn so ist die Lage. | |
| Letztlich sagt ja der Anti-SPD-Establishment-Kämpfer Kevin Kühnert nichts | |
| anderes als: Wenn wir der Regierungsverantwortung entsagen und in die | |
| Opposition ziehen, werden wir uns erneuern und wieder wahrhaft | |
| sozialdemokratisch, also „links“. Das ist die Sehnsucht nach Klarheit, | |
| okay. | |
| Aber was bedeutet „sozialdemokratisch“ als Antwort auf die politischen | |
| Jahrhundertfragen: Erderhitzung, Klima- und Ressourcenkriege, künstliche | |
| Intelligenz, Digitalisierung und ihre Auswirkung auf Erwerbsarbeit und | |
| Freiheit, Ende der alten Weltordnung, Gefährdung der liberalen europäischen | |
| Gesellschaft durch die Rückkehr des Nationalismus? | |
| Für eine Erneuerung, die nicht nur auf die Gefühlslage zielt, sondern auf | |
| die Weltlage, bräuchte es ein sehr weitreichendes Reset und vor allem die | |
| Kraft zur Offenheit. Zukunftspolitik kann nicht aus fixer Programmatik | |
| gemacht werden, die man nach dem Karnevalsmotto „endlich wieder richtig | |
| links“ im Ortsverein Dortmund-Aplerbeck ausknobelt. Wahrscheinlicher ist, | |
| dass dann die Kohlekraftwerke noch ein bisschen weiterlaufen. | |
| Die Eskalierer dieser Tage kommen aus verschiedensten politischen Parteien, | |
| Ecken und Redaktionsräumen. Rechtspopulisten, Linkspopulisten, linke und | |
| junge Sozialdemokraten, liberalisierungsmüde Unionler und strategische | |
| FDPler. Was alle eint, ist die Sehnsucht nach der alten Schlachtordnung, | |
| von der sie selbst zu profitieren hoffen. Links soll wieder links sein, | |
| rechts wieder rechts. Was es so nie gab. Als ob Willy Brandt links gewesen | |
| wäre – und Helmut Kohl rechts. | |
| ## Die Zornbank dieser Tage | |
| Was größer werdende Teile der Bundeskanzlerin Merkel wirklich übel nehmen, | |
| ist nicht das Ausblenden der Zukunft, auch nicht die | |
| Sozialdemokratisierung, sondern die gesellschaftliche Liberalisierung. Die | |
| Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik (ungeachtet der realen | |
| Regierungspolitik) ist die Zornbank dieser Tage, als Gerechtigkeitsfrage im | |
| rechtsnationalen und Wagenknecht-nationallinken Sinn. Die entscheidende | |
| Dynamik entsteht also nicht im Rechts-links-Verteilungsschema, sondern in | |
| der Identitätsfrage zwischen liberal-europäisch und national, drinnen und | |
| draußen. | |
| Der Riss, der durch die SPD geht, ist nicht nur sozialpolitisch, sondern | |
| auch Anti-Establishment (Kühnert, Lange). Und national gegen global, denn | |
| „Gerechtigkeit“ im industriell tradierten Sinne braucht nationale Grenzen | |
| und die EU als Gegner, wie man an Melenchon und Wagenknecht sieht. Oder man | |
| muss lavieren und den Brexit dadurch mitverschulden, wie Corbyn. | |
| Der langjährige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel steht für diese bipolare | |
| Störung, wenn er mal der größte Unterstützer des Europas von Macron und | |
| Habermas ist und dann wieder über moderne Sozialdemokratie als ein weiteres | |
| antiliberales (und antiökologisches) Projekt jenseits der | |
| ökosozialliberalen neuen Mittelschicht sinniert. | |
| Die Frage ist: Kann die SPD diese „bipolare Störung“ (Daniel Cohn-Bendit), | |
| das Schwanken zwischen Extremen, so in den Griff kriegen, dass sie | |
| zumindest im verwaltenden Sinne bis auf Weiteres „ordentlich“ regieren | |
| kann, oder wird das auch bei positivem Mitgliederentscheid nichts mehr? Und | |
| was, wenn „wieder richtig links“ eine Entscheidung gegen das offene Europa | |
| bedeutete? | |
| Was mich wirklich nachdenklich stimmt: Selbst Jürgen Trittin kommt | |
| deeskalierend daher. Man muss sich Sorgen machen. Aber nicht um ihn. | |
| 17 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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