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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Das Ende von 1968
> Die Grünen wollen mit Baerbock und Habeck zentrale politische Kraft
> werden. Dafür braucht es den radikalen Bruch mit ihrer 68er-Kultur. Geht
> das?
Bild: Wo geht's zum Zentrum der Gesellschaft? Die neuen Bundesvorsitzenden Anna…
Die Grünen wollen jetzt auch außerhalb Baden-Württembergs zentrale
politische Kraft der Mehrheitsgesellschaft sein. Und damit sind wir schon
beim Problem: Wenn du das werden oder bleiben willst, dann musst du der
Gesellschaft hinterher.
Merkel hat das ein Jahrzehnt gut beherrscht. Das ist der Grund für ihre
lange Amtszeit. Weil sie die CDU durch kulturelle Liberalisierung zum
üblichen Sozialdemokratismus hinzu als führende Partei konserviert hat. Das
entsprach dem Zeitgeist. Aber zumindest derzeit geht der Move in die andere
Richtung, und das ist der Grund, warum es mit ihr seit Herbst 2015 abwärts
ging. Warum in Österreich jetzt Sebastian Kurz Kanzler ist, warum Söder,
Dobrindt und Spahn reden, wie sie reden.
Die Frage ist, wie man der Gesellschaft hinterhergeht, aber die Lösung ist
definitiv nicht, larmoyant zu beklagen, dass sie nach rechts drifte. Anton
Hofreiter hat letztes Wochenende beim Parteitag in Hannover die
Gefühlsbedürfnisse mancher Delegierter wunderbar abgedeckt. „Wir stehen
ganz klar auf Seiten der Humanität“, brüllte der Fraktionsvorsitzende, „u…
wenn wir die Einzigen sind, die auf Seiten der Humanität stehen, dann
stehen wir trotzdem auf Seiten der Humanität.“ Ja, super.
In der Konsequenz bedeutet das, nicht politikfähig zu sein, weil man einem
höheren Wert dient, der nicht mit der Realität verhandelbar ist. Dann kann
man an der Seite der Humanität sauber zusehen, wie Menschen im Mittelmeer
oder im Kosovo verrecken.
## Moralische Anmaßung
Das ist die moralische Anmaßung von 1968, die von Teilen der Grünen und
ihrer Milieus bis heute als Gral gehütet wird. Sie war wichtig, weil sie
das liberale Moment der Selbstermächtigung dynamisierte. Aber jetzt ist
2018 und jetzt geht hier ganz schön viel zu Ende. Die
Industriegesellschaft, die Spätmoderne, die Volksparteien, die schöne Zeit
ohne neonationale, illiberale Dynamik. So gesehen hatten die Grünen den
richtigen Parteitagsslogan: „Das ist erst der Anfang“. Aber sie müssen ihn
auch verstehen.
Es bedeutet: Denken wir neu. Alles auf Anfang. Reset nach 40 Jahren. Man
darf nicht mehr alles schon immer gewusst haben, sondern muss die Fragen
der anderen zulassen. Wir erleben eine historische Zäsur, und die haben in
Hannover die neuen Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck
in Person und Rede abgebildet.
Was ist „linksliberale“ europäische und sozialökologische Politik, die 20…
ein ökonomisches und kulturelles Band so breit spannen kann, dass es eine
mehrheitsfähige Antwort auf Lindner, Spahn, Dobrindt, AfD und das
Potemkinsche Dorf namens SPD ist, ohne das als Gesellschaftsbruch zu
zelebrieren? „Wir müssen die integrative Gesellschaft vom Zentrum aus
denken und niemanden gehen lassen“, sagte Habeck im Congress Centrum. Sein
Ziel sei eine „Gemeinsamkeit der Verschiedenen“. Das aber bedeutet, an der
Seite der Geflüchteten zu stehen und an der Seite derer, die
Sicherheitsbedürfnisse haben und in der 68er-Kultur alle miteinander
amoralische Nazi-Arschlöcher sind.
Dieser Habeck glaubt ja wirklich ernsthaft, dass man das nicht nur in
Ländern, sondern künftig zusammen im Bund hinkriegen kann. Der ist ganz
euphorisch. Ich dagegen könnte stundenlang Gründe nennen, warum das mit den
Grünen nie was werden kann. Aber das wäre genau das selbstgerechte und auf
nichts Gemeinsames hinaus wollende Besserwisser- und Besserseintum, das
over ist. Deshalb ist Robert Habecks ernsthaftes Abenteuer des Sprungs in
die Zentrale der Gesellschaft der moralisch überlegene Ansatz und das
kleinere Risiko. Wenn wir jetzt nicht springen, werden wir alles verlieren.
2 Feb 2018
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt 1968
Robert Habeck
Integration
Kolumne Die eine Frage
Rechtsruck
Schwerpunkt Emmanuel Macron
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Grüne
Kevin Kühnert
Schwerpunkt 1968
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Kretschmann
Cem Özdemir
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