| # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Brücke über das Bacherl | |
| > Haben die Volksmusiksängerin Stefanie Hertel und der Grünen-Chef Robert | |
| > Habeck etwas gemeinsam? Und wenn ja, wozu sollte das gut sein? | |
| Bild: Als Vegetarierin und Patchwork-Mutter in einer Gruppe mit Stefanie Hertel | |
| Was willst Du denn mit Stefanie Hertel, hieß es, als ich die beliebte | |
| Volksmusikerin („Über jedes Bacherl geht a Brückerl“) bei der Buchmesse in | |
| Leipzig im taz.studio zum Gespräch bat. Naja, ich wollte mit ihr reden. Das | |
| fanden manche schon sehr seltsam. Man kann bei Twitter und bei jeder Party | |
| erleben, dass auch unsereins glaubt, sich ständig der eigenen Identität | |
| versichern zu müssen – und das wird ja auch bei weltoffenen Linksliberalen | |
| traditionell über Abgrenzung von den „anderen“ versucht. | |
| Was dahintersteckt, hat die Wiener Philosophin und taz-Kolumnistin Isolde | |
| Charim in ihrem neuen Buch „Ich und die anderen“ (Zsolnay) beschrieben, das | |
| ich zusammen mit Joschka Fischers „Ende des Westens“ als Grundlage für die | |
| weiteren Diskussionen des Jahres vorschlage. Die Kernthese: Man kann mit | |
| der Veränderung der Welt nicht umgehen, wenn man nicht die eigene | |
| Veränderung akzeptiert. | |
| Kurz zusammengefasst ist es so: In Folge von Aufklärung und französischer | |
| Revolution kommt es ab 1800 zu einer postfeudalen Welt jenseits der festen | |
| und durch Geburt erfolgenden Platzzuweisung. Die ersten Phase der | |
| Individualisierung, die den Menschen gleich macht. Bis in die 1960er | |
| bestimmen Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Vereine, wer man ist und wo | |
| man dazugehört. Dann kommt die Befreiungs- und Invidualisierungsbewegung | |
| von 1968, die Großverbände werden ab da geschwächt. Motto: Ungebunden statt | |
| eingebunden. Identität wird zum persönlichen Projekt. | |
| Geht es vorher um Gleichheit, geht es nun um Differenz. Um Erweiterung der | |
| Normalgesellschaft durch Frauen, Schwule, Vegetarier, Einwanderer. Dies | |
| alles passiert aber immer noch im nationalen Rahmen. Jetzt aber sind wir in | |
| der dritten Phase der Individualisierung. Jetzt ist die Pluralisierung | |
| keine der Lebensformen mehr. Das Nationale erodiert. Das Nebeneinander | |
| findet nicht nur in der „Gesellschaft“ statt, sondern auch in einem selbst. | |
| Ob man das will oder nicht. | |
| ## „Heimat“ als Raum begreifen | |
| Alles auf den globalen Unternehmenskapitalismus zu schieben, greift zu | |
| kurz. Einerseits ist man auch gruppenzwanglos, weil man das mehrheitlich | |
| sein wollte. Andererseits ist man eben nicht vereinzelt, sondern | |
| pluralisiert, also wechselnder Teil verschiedener Gruppen. Als | |
| Linksnationale ist man in einer Gruppe mit Sahra Wagenknecht, als | |
| Vegetarierin und Patchwork-Mutter dagegen mit Stefanie Hertel. Man hat | |
| keine sichere „Vollidentität“ mehr, sondern vieles ist prekär. Das kann m… | |
| als Befreiung nutzen, aber die meisten spüren es als nagende Unsicherheit | |
| und suchen (vergebens) ihr „wahres Ich“ beim Joga, auf der Alm oder was | |
| weiß ich wo. | |
| Es könnte sein, dass speziell manche Grüne noch in der zweiten Phase der | |
| Individualisierung feststecken. Aber so wenig wie eine AfD-Welt der | |
| unemanzipierten Autoritäten vor 1968 wiederherstellbar ist, ist es die | |
| Post-68er-Welt der heroisch-bequemen Minderheiten-Differenz, also die von | |
| Trittin, Roth oder der EU-Fraktionsvorsitzenden Franziska Keller. Macron | |
| und Kretschmann haben diese dritte Phase verstanden und ein „ensemble“ | |
| entworfen, ein Zusammen der Verschiedenen. Das ist die Brücke über das | |
| Bacherl, um mit Stefanie Hertel zu sprechen. | |
| Wie finden Sie die Definition von Grünen-Chef Robert Habeck, fragte ich | |
| sie, „Heimat“ als Raum zu begreifen, in dem wir leben und den wir zusammen | |
| gestalten, gleich wo wir herkommen?„Ein unheimlich schöner Satz“, sagte | |
| Hertel, „das sehe ich ganz genauso.“ | |
| Also, ich höre Stefanie Hertels Musik nicht in Heavy Rotation. Und auch | |
| nicht gechillten HipHop wie Habeck. Aber das haben wir gemeinsam. | |
| 24 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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