| # taz.de -- SPD-Mitgliederentscheid beginnt: Wie halten Sie’s mit der Groko? | |
| > Ab Dienstag stimmen 463.000 Sozialdemokrat*innen ab: Soll die SPD erneut | |
| > in die Groko? Die taz hat vorab nachgefragt – und sechs Stimmen | |
| > gesammelt. | |
| Bild: Auf zum Votum: Ab Dienstag können SPD-Mitglieder über die GroKo abstimm… | |
| ## Johanna Schlingmann: „Eine Groko schadet dem Land“ | |
| Ich bin Johanna, Jurastudentin aus Münster und am 24. Januar 2018 in die | |
| SPD eingetreten. Einige Monate zuvor – als wir alle noch dachten, es würde | |
| eine Jamaika-Koalition zustande kommen – habe ich angefangen, mich in der | |
| Juso-Hochschulgruppe Münster zu engagieren. Damals hatte ich keinerlei | |
| Pläne, in die SPD einzutreten. Als jedoch klar wurde, dass die SPD | |
| Koalitionsverhandlungen aufnehmen würde, war ich entschlossen, die | |
| Entscheidung mitzugestalten. Nun stehe ich aber schon vor einer schwierigen | |
| Entscheidung. | |
| Ich bin nicht direkt überzeugt gewesen, dass eine erneute Groko den Anfang | |
| vom Ende unserer Partei darstellen würde. Doch je intensiver ich mich mit | |
| den Positionen auseinandersetze und den Koalitionsvertrag betrachte, desto | |
| überzeugter bin ich, dass eine Groko unserem Land schaden würde. | |
| Es gibt sicher einige gute Punkte in dem ausgehandelten Vertrag. Auf einer | |
| Veranstaltung der NRW-SPD sagte deren Vorsitzender Mike Groschek kürzlich, | |
| damit wäre viel für die nächsten dreieinhalb Jahre erreicht. Aber genau da | |
| liegt meiner Meinung nach das Problem: Einer Koalition von Union und SPD | |
| gelingt es gerade so, eben auf Biegen und Brechen einen Mindestkonsens für | |
| die nächste Legislaturperiode zu schaffen. Auf die großen, drängenden | |
| Fragen unserer Zeit, Umverteilung, Digitalisierung, ein möglicherweise | |
| notwendiges bedingungsloses Grundeinkommen und – allem voran – den | |
| Klimawandel, kann eine solche Koalition keine Antworten finden. Wir | |
| brauchen aber keine Politik für die nächsten dreieinhalb Jahre, sondern für | |
| die nächsten 50 + x Jahre. Und wir können es uns nicht leisten, wieder vier | |
| Jahre zu warten, bevor wir als Partei klar zu diesen Themen Stellung | |
| beziehen. Daher werde ich gegen eine Neuauflage der Groko stimmen. | |
| Dass die SPD momentan nicht in eine Regierung einsteigen sollte, zeigt sich | |
| auch an den Geschehnissen seit Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Ich | |
| erlebe, wie viele Außenstehende, aber auch Parteimitglieder, mit Blick auf | |
| die Personaldebatten fassungslos sind. Die Jusos haben immer betont, dass | |
| es in der Entscheidung über die Groko um Inhalte gehen sollte; dem stimme | |
| ich voll zu. Ob nun Andrea Nahles die richtige Parteichefin wäre, kann ich | |
| als frisches SPD-Mitglied noch nicht bewerten, aber eines ist sicher: Das | |
| Vertrauen in den Parteivorstand ist unglaublich gering. | |
| Eine aktuell diskutierte Urwahl des Parteivorsitzes könnte zumindest ein | |
| Mittel sein, um wieder Vertrauen zu schaffen. Aber eine solche Veränderung | |
| des Wahlprozesses kann nur im Rahmen der Erneuerung der Partei beschlossen | |
| werden. Raum für diese Erneuerung, einen Aufbruch der Partei, sehe ich nur | |
| in der Opposition. Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir den | |
| Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte begegnen wollen. Wenn wir | |
| glauben, mit einem Horst Seehofer zusammenarbeiten zu können, machen wir | |
| etwas falsch. Natürlich gilt: Sollte die Mehrheit für eine Groko stimmen, | |
| bleibe ich in der Partei und werde versuchen, sie weiter mitzugestalten. | |
| Johanna Schlingmann ist 20 Jahre alt und stammt aus Bielefeld. Sie ist so | |
| frisch in der Partei, dass sie noch kein Parteibuch erhalten hat. | |
| Protokoll: Hanna Voß | |
| ## Fatos Gashi: „Schulz war sein super Typ“ | |
| Ich bin erst seit knapp vierzehn Monaten SPD-Mitglied. Ich habe mir direkt | |
| nach der US-Wahl vorgenommen, aktiv zu werden, und bin dann in die SPD | |
| eingetreten. Bisher habe ich es nicht bereut, aber in der jetzigen | |
| Situation bin ich zwiegespalten. Ich finde, der Schulz war ein super Typ, | |
| ich fand den sympathisch und bin mir sicher, er wäre ein guter Kanzler | |
| geworden. Aber es hat halt nicht geklappt. Vielleicht hat sich die SPD zu | |
| sehr ausgeruht auf dem Schwung vom vergangenen Januar, dem Schulz-Effekt. | |
| Bei Andrea Nahles als neuer Vorsitzenden bin ich mir unsicher, aber mir | |
| fällt auch niemand ein, der oder die besser wäre. | |
| Ich werde über den Koalitionsvertrag abstimmen, aber wie, das habe ich noch | |
| nicht entschieden. Das muss ich mir alles erst noch einmal durch den Kopf | |
| gehen lassen. Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden mit dem | |
| Koalitionsvertrag, ich finde, die SPD hat gut verhandelt. Vielleicht könnte | |
| sie beim Thema Umwelt noch mehr machen, aber man kann ja auch nicht alles | |
| auf einmal reformieren. Andererseits: Aus einer Großen Koalition kommt man | |
| nicht stärker heraus als zuvor. Und in einer Groko den Aufbruch zu wagen, | |
| das stelle ich mir auch schwierig vor. Aber Neuwahlen will ich auf keinen | |
| Fall. Bei Neuwahlen hätte ich die große Sorge, dass die Rechten noch | |
| stärker werden könnten. | |
| Fatos Gashi, 25 Jahre, Masterstudent der Physik an der LMU München. Die | |
| SPD-Mitgliedskarte bewahrt er in der Brieftasche auf. | |
| Protokoll: Anna Lehmann | |
| ## Ulrike Andreas: Auf keinen Fall weiter mit der CDU“ | |
| Die Personaldiskussionen in der SPD nach Ende der Koalitionsverhandlungen | |
| fand ich absolut chaotisch und einer Parteiführung unwürdig. Das war doch | |
| kein menschlicher Umgang untereinander! | |
| Hinter diesem ganzen Postengeschacher stand doch nur der Wunsch, um jeden | |
| Preis an der Macht festzuhalten. Nicht nur mein Eindruck war: Die kleben | |
| mit ihren fetten Hintern an den Stühlen. An die Basis, die das vor Ort | |
| ausbaden muss, hat da in Berlin aber mal wieder niemand gedacht – das sehen | |
| die meisten Genossinnen und Genossen bei uns in Waltrop im nördlichen | |
| Ruhrgebiet auch so. Ganz schlimm waren die Vorwürfe von Sigmar Gabriel, | |
| dass Martin Schulz sein Wort gebrochen habe, weil er selbst Außenminister | |
| werden wollte: So ein Hauen und Stechen, das gehört sich einfach nicht! | |
| Dem Koalitionsvertrag werde ich auf keinen Fall zustimmen. Denn unsere | |
| Handschrift erkenne ich darin nicht – da kann mir Andrea Nahles erzählen, | |
| was sie will. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von | |
| Arbeitsverträgen ist mir sehr wichtig. Unsere beiden Töchter haben zwar | |
| mittlerweile Gott sei Dank unbefristete Verträge, aber: Ich habe bei beiden | |
| gesehen, wie schwer es trotz Studium und bester Qualifikation ist, einen | |
| sicheren Arbeitsplatz zu finden, der auch Platz für eine Familiengründung | |
| lässt. Großmutter bin ich jedenfalls noch nicht. | |
| Unbedingt nötig ist auch die Bürgerversicherung: Es kann doch nicht sein, | |
| dass ein Arzt für mich als Kassenpatientin 10 Euro Behandlungskosten | |
| bekommt und für privat Versicherte 50 Euro. Der Arzt bevorzugt dann immer | |
| den Privatpatienten – und ich als Kassenpatientin verschleppe meine | |
| Krankheit. | |
| Wichtig ist auch das Thema Mieten: In den Großstädten sind die doch nicht | |
| mehr zu bezahlen. Gut finde ich dagegen, dass die SPD das Finanzministerium | |
| bekommen soll – aber für ein Ja zum Koalitionsvertrag reicht mir das | |
| einfach nicht. | |
| Ich glaube nicht, dass Andrea Nahles die richtige Vorsitzende für die SPD | |
| ist. Klar, manchmal bringt sie Sprüche, die bei den Leuten ziehen. Gestört | |
| hat mich aber, dass sie als halbe Königsmörderin selbst schon zum Sturz von | |
| Franz Müntefering als Parteichef beigetragen hat. Ich könnte aber ad hoc | |
| auch nicht sagen, wer den Vorsitz übernehmen soll. Olaf Scholz nicht, den | |
| sehe ich nicht einmal als Finanzminister – Stichwort „Kostenexplosion bei | |
| der Elbphilharmonie“. Stephan Weil aus Niedersachsen könnte es schon eher. | |
| Wichtig ist mir, dass sich neben Nahles weitere bekannte GenossInnen als | |
| Parteivorsitzende zur Wahl stellen – und nicht nur die dritte Reihe wie | |
| etwa Flensburgs Bürgermeisterin Simone Lange. Eine direkte Wahl fände ich | |
| super: Denn dann wäre endlich mal die Basis wichtig. Gerade läuft doch | |
| schon wieder ein großes Postengeschacher, eine große Mauschelei nach dem | |
| Motto „Gibst du mir das, geb ich dir das“. 460.000 Leute an der Basis | |
| dagegen kann man nicht bestechen. | |
| Damit es mit der SPD wieder aufwärtsgeht, sollten wir auf keinen Fall | |
| weiter mit der CDU regieren. Neuwahlen fänd ich aber auch ganz furchtbar – | |
| das wäre unser Todesurteil. Wir können nur eine Minderheitsregierung | |
| tolerieren. Gleichzeitig muss die SPD zu ihrer Kernaufgabe zurückkehren: | |
| wirklich für die kleinen Leute da zu sein. Nach über 40 Jahren in der | |
| Partei habe ich als 61-Jährige den Eindruck, dass viele unserer | |
| Spitzenpolitiker den Bezug zur Realität verloren haben. Als Tochter eines | |
| Elektrikers frage ich mich schon, ob die überhaupt noch wissen, wie das | |
| ist, in einer kleinen Mietwohnung zu sitzen und mit 500 Euro im Monat | |
| auskommen zu müssen. | |
| Die SPD würde ich trotzdem nie verlassen. Denn mit der SPD ist es wie mit | |
| einem Fußballverein: Man wird als Fan Mitglied, und man bleibt es ein Leben | |
| lang – egal ob der Verein absteigt oder nicht. | |
| Ulrike Andreas, 61, Betriebswirtin aus NRW, ist seit 40 Jahren | |
| SPD-Mitglied. Das Parteibuch bewahrt sie ordentlich in einer Schublade im | |
| Wohnzimmer auf. | |
| Protokoll: Andreas Wyputta | |
| ## Frank Böhringer: „Für ie GroKo, Verstand über Gefühl“ | |
| Regieren ist Mist! Opposition auch! Das beschreibt wohl die innere | |
| Zerrissenheit der SPD. Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen lösen | |
| auch bei mir keine Jubelstürme aus, denn prinzipiell wird sich nichts an | |
| den Unwuchten und den sozialen Ungerechtigkeiten in Deutschland ändern. | |
| Viele strukturelle Probleme werden zwar mit Milliarden aus den sprudelnden | |
| Steuereinnahmen zugeschüttet, aber nicht nachhaltig gelöst. Andererseits | |
| frage ich mich, ob die Gesellschaft überhaupt für große Veränderungen | |
| bereit ist. Ich habe den Eindruck, wir alle haben uns in unseren Lagern | |
| ganz schön eingerichtet. Die Groko wird keine Aufbruchstimmung auslösen, | |
| sondern am bestehenden System Deutschland weiteroperieren. Und doch liefert | |
| der Koalitionsvertrag Aussicht auf einzelne Fortschritte: Verbesserungen | |
| für befristet Beschäftigte oder eine bessere Krankenhausfinanzierung | |
| zugunsten der Pflegekräfte, um nur zwei Beispiele zu nennen. Mit dem klaren | |
| Bekenntnis zu Europa heben wir uns von Regierungen unserer östlichen | |
| Nachbarn wohltuend ab. | |
| Ich glaube nicht, dass die positiven Punkte, die jetzt im Koalitionsvertrag | |
| stehen, seien sie noch so neblig formuliert, in parlamentarischen | |
| Verhandlungsprozessen einer Minderheitsregierung so kommen würden. Zur | |
| Erinnerung: Im Bundestag sitzt eine konservativ-nationalliberale Mehrheit, | |
| die AfD würde also faktisch mitregieren. Die wirre Begleitmusik der | |
| Parteispitze hätten wir uns in der SPD allerdings sparen können. Die Frage, | |
| wer Vorsitzende wird und wer Außenminister, hat der Debatte über die | |
| Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen im Vorfeld des | |
| SPD-Mitgliederentscheids geschadet. Ich weiß nicht, ob es eine Mehrheit der | |
| SPD-Mitglieder für eine neue Groko geben wird. Ich glaube, es wird verdammt | |
| knapp. Ob sich die SPD erholt, ist für mich auch noch völlig offen. Dennoch | |
| werde ich für die Groko stimmen. Verstand siegt über Gefühl. | |
| Frank Böhringer, 43, lebt in Esslingen und arbeitet bei der AOK. Sein | |
| Parteibuch liegt in der Schreibtischschublade zwischen Führerschein und | |
| Papierkram. | |
| Protokoll: Barbara Oertel | |
| ## Martin Scheffel: „Das wird eine einsame Entscheidung“ | |
| Ich habe die Chaostage der SPD als Theater erlebt. Ich empfand es als | |
| beschämend, weil wir damit uns und unsere Inhalte boykottiert haben. Dass | |
| Martin Schulz als Kanzlerkandidat gescheitert ist, finde ich schade. Ich | |
| habe großen Respekt vor dem Europäer Schulz, jetzt steht er da, als hätte | |
| er nur einen Posten haben wollen. | |
| Andrea Nahles zur neuen Parteivorsitzenden zu wählen halte ich nicht für | |
| eine gute Idee. Sie hat zwar eine riesengroße fachliche Kompetenz, doch es | |
| gelingt ihr nicht wirklich, die Menschen zu erreichen; viele verbinden sie | |
| nur mit „Bätschi“ und Pippi Langstrumpf. Ich wünsche mir eher Katarina | |
| Barley in einer führenden Position, zum Beispiel als Außenministerin der | |
| nächsten Bundesregierung. Ich setze große Hoffnungen in sie. | |
| Ich bin nach der Bundestagswahl 2013 in die SPD eingetreten. Vorher war ich | |
| bei den Jusos. Ich war schockiert, dass es die AfD damals fast in den | |
| Bundestag geschafft hatte und die FDP rausgeflogen war. Das war für mich | |
| ein Alarmsignal, was alles passieren kann. Mir wurde klar, jetzt muss ich | |
| noch politischer werden. Meine Mitgliedschaft in der SPD ist für mich das | |
| Bekenntnis zu einer größeren Idee, ähnlich wie mein Beitritt zur | |
| Gewerkschaft Verdi vor wenigen Tagen. | |
| Ich bin ein überzeugter Sozialdemokrat, obwohl es in den letzten Tagen | |
| nicht ganz leicht war, das meinen Freunden und Kollegen zu erklären. Ich | |
| bin zuversichtlich, dass die SPD bald wieder bessere Zeiten erlebt. Die | |
| Partei hat schließlich gute sozialdemokratische Inhalte formuliert, und die | |
| aktuellen Probleme der Gesellschaft, zum Beispiel die schwierige Lage auf | |
| dem Wohnungsmarkt, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, sind nur mit | |
| diesen Inhalten zu lösen. | |
| Ich stamme aus Villingen-Schwenningen, einer CDU-Hochburg. Dort hat es die | |
| SPD schwer. Nach meinem Arbeitsmarktmanagement-Studium in Mannheim bin ich | |
| nach Villingen, Nürnberg und schließlich Frankfurt gegangen. Hier in | |
| Frankfurt geht es der SPD besser als im Bund. Sie kämpft geschlossen und | |
| motiviert für den Genossen Peter Feldmann, der für eine zweite Amtszeit als | |
| Oberbürgermeister antritt. Am kommenden Sonntag ist der erste Wahlgang. Ich | |
| bin zuversichtlich, auch wenn es aus Berlin keinen Rückenwind gibt. Peter | |
| Feldmann hat eine gute Bilanz vorzuweisen. Er kämpft für bezahlbaren | |
| Wohnraum und hat dafür gesorgt, dass jetzt die Fahrpreise im öffentlichen | |
| Nahverkehr zum ersten Mal gesenkt worden sind. Überhaupt ist Frankfurt eine | |
| tolle Stadt, die für Offenheit und Vielfalt steht. | |
| Wie ich beim Mitgliederentscheid über die Groko abstimme, habe ich noch | |
| nicht entschieden. Ich bin gerade dabei, den Koalitionsvertrag gründlich zu | |
| studieren. Am Ende wird es eine einsame Entscheidung werden. Über einen | |
| Parteiaustritt habe ich noch nie nachgedacht. Sollte allerdings die SPD | |
| nicht mehr sie selbst sein, sondern nur noch eine Hülle, dann wäre ich | |
| nicht mehr dabei. | |
| Martin Scheffel, 25, ist Angestellter im öffentlichen Dienst aus Hessen und | |
| SPD-Mitglied seit 2013. Sein SPD-Parteibuch verwahrt er zusammen mit dem | |
| Zeugnis der Bachelorprüfung auf. | |
| Protokoll: Christoph Schmidt-Lunau | |
| ## Christine Ruby: „Wir sind hin- und hergerissen“ | |
| Die Tage nach dem Ringen um eine Koalitionsvereinbarung waren ziemlich | |
| aufregend. Ich habe immer gesucht, womit die SPD jetzt jünger und | |
| weiblicher werden will und wie eine Erneuerung aussehen soll. Es gibt doch | |
| in unseren Reihen bedeutende Frauen, die es nach wie vor schwer haben in | |
| der Männerriege. Warum musste Thomas Oppermann unbedingt Vizepräsident des | |
| Bundestages werden? Auch ein Generalsekretär, der auf mich wie ein | |
| Apparatschik wirkt, war mir nicht so willkommen. | |
| Das Schlimmste ist, dass ich den Verhandlungspartnern bei CDU/CSU nicht | |
| trauen kann. So wertvoll die Verhandlungen auch gewesen sein mögen, die | |
| Vereinbarung ist nur ein Papier. Wer die Inhalte nicht realisieren will, | |
| wird dies nicht tun. Erfahrungen dazu gibt es ja. | |
| Es ist erst einmal gut, dass jetzt alle SPD-Mitglieder befragt werden. Im | |
| Radebeuler Ortsverein sind wir nach meiner Beobachtung hin- und | |
| hergerissen. Einige klammern sich an die Hoffnung, dass eine erneute | |
| Koalition im Sinne sozialdemokratischer Ziele etwas bringen kann. Andere | |
| haben diese Hoffnung nicht. Ich hätte tatsächlich eine Minderheitsregierung | |
| bevorzugt. Soweit reicht mein Vertrauen in die parlamentarische Arbeit. Ich | |
| hoffe sehr, dass die AfD weiterhin so viele Absurditäten anbietet, dass | |
| sich daraus ein Dagegenhalten der anderen Fraktionen entwickelt. | |
| Andrea Nahles kann eine gute Parteivorsitzende werden. Mir ist jemand mit | |
| einer sehr persönlichen Ausdrucksweise lieber als die personifizierte | |
| Vorsicht. | |
| Wenn eine Parteimehrheit eine Urwahl für den Bundesvorsitz möchte, kann ich | |
| mich dafür erwärmen. Aber nicht auf Biegen und Brechen. Für solche | |
| Statutenänderungen gibt es Kairos, also den günstigen Zeitpunkt, und | |
| Chronos, die lange Zeit. Kairos haben wir wohl gerade nicht. | |
| Aufwärtsgehen kann es mit der SPD beispielsweise mit Menschen, die ihre | |
| Ämter gern, kompetent und charmant ausfüllen. Sie sollten das Ganze im | |
| Blick haben, und damit meine ich auch langfristige Perspektiven. Nicht in | |
| Legislaturperioden denken, sondern darüber hinaus. Genossen „da oben“ | |
| sollten nicht kaputtmachen, was wir „an der Basis“ mühevoll aufbauen. | |
| Christine Ruby, 70, ist studierte Ökonomin aus Sachsen und SPD-Mitglied | |
| seit 1997. Ihr Parteibuch bewahrt sie im Bücherregal auf. | |
| Protokoll: Michael Bartsch | |
| 19 Feb 2018 | |
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