# taz.de -- NoGroko-Tour durch Deutschland: Hunderte kommen zu Kühnert | |
> Juso-Chef Kevin Kühnert macht während seiner Tour auch Station in Berlin. | |
> In Kreuzberg argumentiert er energisch, bleibt aber sachlich. | |
Bild: Will aus den Fehlern der vergangenen Jahre die richtigen Schlüsse für d… | |
BERLIN taz | Im ersten Moment weicht er ein Stück zurück, nicht mit dem | |
Körper, aber mit dem Kopf, der sich auf dem dicken Schal einige Millimeter | |
nach hinten schiebt. Zahlreiche Journalist*innen haben sich mit ihren | |
Kameras vor der Tür postiert, um Juso-Chef Kevin Kühnert just in dem Moment | |
einzufangen, wenn er den Veranstaltungsraum in Berlin-Kreuzberg betritt. | |
Kühnert seufzt erleichtert, als er das erste bekannte Gesicht sieht. | |
„Sevim, hallo“, sagt er herzlich und umarmt die Moderatorin der | |
Veranstaltung. Sie gibt ihm Sicherheit in einer noch immer neuen Situation. | |
Kühnert ist auf NoGroko-Tour, wirbt insgesamt 24-mal in ganz Deutschland | |
gegen den Eintritt der SPD in eine Große Koalition. | |
Mit dem Rucksack über der Schulter, in Jeans und Turnschuhen marschiert er | |
zügig in den länglichen Raum hinein, in dem Dutzende schon keinen Sitzplatz | |
mehr bekommen haben und sich an den Wänden zusammendrängen. „In den 13 | |
Jahren, die ich jetzt bei der SPD bin, habe ich so einen Andrang noch nicht | |
erlebt“, sagt Aydin amüsiert. Schnell färben sich Kühnerts Wangen rot, im | |
Raum ist es extrem warm und fürchterlich stickig. Doch ein bisschen | |
verlegen scheint er auch zu sein. | |
Die Nervosität fällt von ihm ab, als er zu reden beginnt; das ist, was er | |
kann und was er liebt. Kühnert stellt rasch klar, was die Basis seiner | |
Argumentation ist: „Der Koalitionsvertrag ist nur so viel wert wie das | |
Papier, auf dem er steht. Ein solides, vertrauenswürdiges Arbeiten mit der | |
Union ist nicht mehr möglich.“ | |
## „Die Denkwelt der Großen Koalition ist sehr klein“ | |
Er nennt die Beispiele aus dem vorherigen Koalitionsvertrag, die nie | |
umgesetzt wurden, wie das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit oder die | |
Solidarrente, die jetzt als Grundrente erneut auftauche. „Zudem fehlen die | |
großen Überschriften. Die Denkwelt der Großen Koalition ist sehr klein“. | |
Sie gebe keine ausreichenden Antworten auf die drängenden Fragen der | |
Zukunft, auf die Sicherung der Rente („Ich weiß nicht, ob ich mir so eine | |
scheiß private Vorsorge zulegen muss“), auf die Verteilung von Reichtum, | |
den Schutz von Umwelt und Nachhaltigkeit, auf die Veränderungen in der | |
Arbeitswelt. | |
Und er warnt, wenn Genoss*innen positive Beispiele aus dem Papier ins Feld | |
führen: „Vorsicht. Im Koalitionsvertrag ist zu oft von ‚wollen‘ anstatt | |
‚werden‘ die Rede, und es gibt mehr als 100 Prüfaufträge ohne jegliche | |
konkrete Vorschläge zur Umsetzung.“ | |
Unter den rund 300 Gästen gibt es diejenigen, die seit mehr als 30 Jahren | |
in der SPD sind, und jene, die erst jetzt eingetreten sind, um gegen die | |
Groko zu stimmen. Die Groko-Befürworter*innen warnen vor den Alternativen: | |
„Was käme danach?“ „Neuwahlen wären Selbstmord“, „Dann sind wir gle… | |
mit der AfD“. Die Gegner*innen argumentieren indes, Merkel habe im ZDF | |
zugesagt, auch in eine Minderheitenregierung einzutreten. Zu Neuwahlen | |
würde es also nicht kommen. | |
## Dynamik von 25.000 Neumitgliedern nutzen | |
Und Kühnert ist überzeugt: „Es gibt nichts Schlimmeres, als von Angst | |
getrieben Politik zu machen. Wir müssen wieder eine Richtung vorgeben, für | |
die uns die Menschen wählen können. Die haben wir ihnen zu lange verwehrt. | |
Ein ‚Nein‘ wäre ein Anfang.“ An dieser Stelle legt er eine kurze Pause ab | |
und fügt dann noch appellierend hinzu: „Bitte stimmt nicht angstgeleitet | |
ab“. | |
Die Dynamik von 25.000 Neumitgliedern müsse genutzt werden, um endlich das | |
Versprechen einzulösen, die SPD zu erneuern. Inhaltlich, strukturell und | |
personell. | |
14 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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