# taz.de -- Die SPD im Konflikt um die Groko: Erneuerung, schon wieder | |
> Über den Koalitionsvertrag stimmt wohl bald die SPD-Basis ab. Es könnte | |
> knapp werden, auch weil die Jusos so stark sind. | |
Bild: Annika Klose beim SPD-Sonderparteitag | |
BERLIN taz | Der Flur zu Lars Klingbeils neuem Büro im fünften Stock der | |
SPD-Parteizentrale ist ziemlich lang. Die Wänden schmückt die ganze | |
Heldengeschichte der Sozialdemokratie, zwei Dutzend Schwarz-Weiß-Porträts | |
aus 155 Jahren. August Bebel und Karl Marx, Kurt Schumacher, Gustav | |
Heinemann, Willy Brandt. Nur Männer. | |
Auch hinter dem Schreibtisch in Klingbeils Büro prangt ein großes, | |
quadratisches, Schwarz-Weiß-Bild von Willy Brandt. „Das hing schon hier“, | |
sagt er mit sonorer Stimme. In der weißen Schrankwand mit | |
Resopalbeschichtung steht ein einsamer Aktenordner, die Zimmerpflanze hat | |
schon bessere Tage erlebt. Klingbeil ist seit ein paar Wochen | |
Generalsekretär der SPD. Zeit, den neuen Arbeitsplatz etwas anheimelnder zu | |
gestalten, gab es nicht. Es ist Donnerstagnachmittag. Der neue | |
Generalsekretär hat bis morgens um halb vier mit der Union in den | |
Koalitionsverhandlungen über Digitalisierung gerungen. War schwierig, sagt | |
er. | |
Klingbeil wirkt ziemlich frisch für den strapaziösen Job, den er derzeit | |
hat. Er ist es, der mal wieder die SPD erneuern muss, mit der Union dealen, | |
und, wenn der Koalitionsvertrag steht, die Abstimmung der Basis über das | |
Bündnis mit der Union organisieren. Und er muss mit den Groko-Gegnern in | |
der eigenen Partei streiten. Klingbeil ist dafür, mit der Union zu | |
regieren. Die Jusos sind dagegen – auch weil sie fürchten, dass die | |
Erneuerung der Partei stillschweigend begraben wird, wenn man wieder mit | |
Merkel regiert. | |
Viel Geschichte, eine schwierige Gegenwart, und vieles, was in der Zukunft | |
ganz anders werden muss. Das ist die SPD 2018. Herr Klingbeil, ist die SPD | |
eine Machopartei? | |
## Keine Macho-Politik | |
„Das ist eine verbreitete Kultur in der SPD, die wir ändern müssen. Wir | |
brauchen offenere Debatten, die nicht breitbeinig und bevormundend geführt | |
werden“, sagt er. Es werde „kein vom Willy-Brandt-Haus organisiertes Podium | |
mehr geben, auf dem nur Männer sitzen“. Und es werde eine | |
Gleichstellungsstelle geben. In Sachen diversity ist die SPD spät dran. | |
„Ich bin eher diskursiv“ sagt Klingbeil, 39, über sich selbst. So wirkt er | |
auch – ausgleichend und besonnen. „Die Zeit der Machogeneralsekretäre ist | |
vorbei. Mich nerven Politiker, die in Talkshows immer nur draufhauen, nur | |
den Konflikt suchen“. | |
Das Mantra der SPD lautet derzeit: Die Partei muss jünger, weiblicher, | |
digitaler werden. Nicht mehr so Old School. Außerdem sei in der letzten | |
Regierung leider „der Eindruck entstanden, dass SPD und Union die besten | |
Freunde sind“, sagt Klingbeil. Man brauche nun einen neuen Stil. Kein | |
„Weiter so“. | |
Alles soll anders werden. Die SPD nach außen selbstbewusst, nach innen | |
modern. Diese Geschichte klingt gut. Sie wurde in der SPD schon oft | |
erzählt. Und wieder vergessen. | |
## Junge Neumitglieder | |
Berlin-Mitte, Dienstagabend. Annika Klose sitzt in einem vietnamesischen | |
Restaurant und sagt: „Es ist nicht mehr erkennbar, wofür wir kämpfen.“ Sie | |
ist 25 Jahre alt, Chefin der Berliner Jusos und misstraut den | |
Erneuerungsbotschaften aus dem Willy-Brandt-Haus. „Wir sind nicht mehr | |
glaubwürdig, wenn wir jetzt wieder vier Jahre eine Politik mittragen, die | |
wir nicht wollen.“ Man könne nicht versprechen, dass es kein „Weiter so“ | |
gebe, wenn wir „genauso weitermachen. Wem sollen wir das verkaufen?“ | |
In dem Restaurant findet ausnahmsweise die Sitzung ihres Ortsvereins Berlin | |
Mitte/Brunnenviertel statt. Sie ist Vizevorsitzende und leitet die Sitzung. | |
Sie reicht dem Mann neben sich die Hand und sagt: „Dich kenne ich ja noch | |
gar nicht.“ Fester Händedruck, helle, kräftige Stimme. Dann streicht sie | |
die schulterlangen rotblonden Haare hinters Ohr, setzt sich eine Spur | |
aufrechter und verkündet als Erstes eine Zahl: 500. So viele Jüngere sind | |
in der letzten Woche allein in Berlin in die SPD eingetreten. Und insgesamt | |
in der Republik schon 6.000. Die – ausschließlich männlichen – Genossen um | |
sie herum nicken anerkennend. | |
Die Jusos, mit ihrem eloquenten Chef Kevin Kühnert an der Spitze, betreiben | |
die Kampagne „Tritt ein, sag Nein“, um den, wie sie es sehen, Todesstoß f�… | |
die SPD in der nächsten Groko zu verhindern. Nicht alle sind davon | |
begeistert. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fürchtet, dass damit | |
„SPD-Hasser kurz eintreten, um der Partei zu schaden“. Eine grundlose | |
Furcht, das meint auch Klingbeil: „Die allermeisten, die derzeit zur SPD | |
kommen, haben ein echtes Interesse, bei uns mitzuarbeiten.“ | |
Entscheiden werden am Ende die gut 440.000 SPD-Mitglieder. „Die sind eine | |
Blackbox“, sagt Klose. Der Faktor X. Denn das Gros der Basis lässt sich nie | |
in einem Ortsverein sehen. Nur 10 Prozent sind in der Partei aktiv. 2013 | |
beteiligten sich fast 400.000 an dem Votum und stimmten deutlich, mit einer | |
Dreiviertelmehrheit, für den Eintritt in die Regierung. Vor allem Ältere | |
sind für das Regieren – weil das SPD-Durchschnittsalter bei 60 Jahren | |
liegt, dürfte die Mehrheit wohl wieder Ja sagen. | |
Aber diesmal wird es knapper. Denn 2013 kam die SPD aus der Opposition, | |
hatte bei der Wahl 3 Prozent gewonnen und mit dem Mindestlohn ein | |
einleuchtendes Projekt. 2018 ist das anders. Und der Schlingerkurs des | |
Martin Schulz – erst Nein, dann Ja – hat viele irritiert. Deshalb kann die | |
Juso-Kampagne, die erfolgreich Neinsager akquiriert, durchaus Einfluss | |
haben. Klose wirbt eifrig dafür, einzutreten und Nein zu sagen – auch bei | |
eigentlich unpolitischen Freunden. | |
## Kampf zwischen jung und alt | |
Beim Parteitag in Bonn hat sie direkt nach SPD-Chef Schulz geredet. Und | |
leidenschaftlich appelliert, nicht in die Große Koalition zu gehen. Einmal | |
hat sie sich in der Rede verhaspelt. Der Chefredakteur der Welt am Sonntag, | |
Peter Huth, schrieb in einem Tweet: „Sehr aufgeregtes Mädchen von den Jusos | |
bekommt mehr Applaus als Schulz“. Klose reagierte sofort: „Mit dem Mädchen | |
bin übrigens ich gemeint. 25 Jahre alt, voll berufstätig und seit 2,5 | |
Jahren Vorsitzende des größten politischen Jugendverbands Berlins.“ Auch | |
deswegen gibt es den Hashtag #diesejungenleute, ein Zeichen des Protests, | |
weil Jüngere im professionellen Politikbetrieb nicht ernst genommen werden. | |
Kevin Kühnert, 28, wurde in einer Talkshow geduzt. Unvorstellbar, dass so | |
etwas älteren Genossen passieren würde. | |
Der Kampf in der SPD um die Große Koalition ist einer zwischen jung und | |
alt. Hier die Jusos, ein paar Parteilinke, dort die Parteispitze, der | |
mächtige Seeheimer Kreis und die meisten Bundestagsabgeordneten, die keine | |
Neuwahlen wollen. | |
Wenn Klose über die SPD redet, klingt sie bedächtig, sachlich. Ohne | |
persönlich anzugreifen. Doch es ärgert sie, dass die Parteispitze fast | |
unisono für die Große Koalition wirbt, obwohl doch auch weite Teile der | |
Basis die Zusammenarbeit mit der Union kritisch sehen. „Warum“, fragt sie, | |
„bildet der Vorstand nicht auch diese Meinung ab? Wieso gibt es da nur die | |
eisernen BefürworterInnen?“ | |
## Als Juso links | |
Lars Klingbeil schaut aus dem Panoramafenster seines Büros auf den Himmel | |
über Kreuzberg. Er wirkt ziemlich entspannt, was angesichts seines | |
stressigen Jobs nicht selbstverständlich ist. Er hat, das sagen viele über | |
ihn, überhaupt meist gute Laune. Das ist in einer Partei, die oft | |
miesepetrig wirkt, nicht das Schlechteste. | |
Vor zehn Jahren war er Vizevorsitzender der Jusos. Klingbeil hatte schon | |
immer Antennen für verschiedene Richtungen. Er war bei Attac – und | |
arbeitete im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder. Er war mal im Vorstand der | |
Zentralstelle der Kriegsdienstverweigerer – im Bundestag ist er im | |
Verteidigungsausschuss. Als Juso links, als Erwachsener Seeheimer: Das ist | |
noch immer das role model für SPD-Karrieren. | |
Beim Parteitag im Dezember versprach Klingbeil in seiner Bewerbungsrede die | |
Öffnung der Partei. Jünger, weiblicher, digitaler. Doch nur 70 Prozent | |
haben ihn gewählt. Weil es ein Widerspruch ist, dass die SPD anders werden | |
soll – aber das einzig neue Gesicht an der SPD-Spitze das des freundlich | |
lächelnden Lars Klingbeil ist. | |
Wäre er als Juso genauso resolut aufgetreten wie Kühnert und Klose? | |
Klingbeil lobt etwas onkelhaft, dass es „toll ist, dass wir so eine | |
lebendige Jugendorganisation haben“. Und sagt: „Ich hätte mich darauf | |
konzentriert, sozialdemokratische Forderungen im Koalitionsvertrag | |
durchzusetzen.“ | |
## Nicht unbedingt harmonisch | |
Falls es den Koalitionsvertrag gibt, beginnt in der SPD ab nächster Woche | |
noch mal der Kampf um die Basis. Vor vier Jahren schaltete die SPD-Spitze | |
in der Bild-Zeitung eine ganzseitige Anzeige für die Große Koalition, um | |
die GenossInnen günstig zu stimmen. Kosten: ein paar Hunderttausend Euro, | |
Geld aus Mitgliedsbeiträgen. Die Jusos waren sauer. „Das ging gar nicht. | |
Wir brauchen Waffengleichheit für eine faire Debatte“. fordert Klose. | |
Generalsekretär Klingbeil verspricht, dass sich dies 2018 nicht wiederholt. | |
So eine Anzeige „passe nicht zu dem neuen Diskussionsstil der SPD“. | |
Also alles harmonisch? Nicht ganz. Die Jusos fürchten, dass die SPD-Führung | |
den gesamten Apparat einsetzt, um die passive Basis zu bearbeiten. Wie 2013 | |
wird den Wahlunterlagen Werbung der Parteispitze für den | |
Koalitionsvertrag beiliegen. Und keine Argumente der Gegner. Klingbeil | |
hält das für selbstverständlich. „Die SPD-Führung muss Orientierung geben. | |
Dafür ist sie gewählt“, sagt er. | |
Die Jusos sind von diesem Verfahren nicht angetan. „Das ist“, sagt Klose, | |
„ein grobes Foulspiel des Parteivorstands.“ | |
2 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
Stefan Reinecke | |
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