# taz.de -- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Kinderrechte für alle | |
> Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge warten in Berlin monatelang auf | |
> einen Schulplatz. Auf einer Demo fordern sie die Einhaltung ihrer Rechte. | |
Bild: Geflüchtete Jugendliche demonstrieren für ihre Rechte, etwa das Recht z… | |
BERLIN taz | Selbstbewusst posen die Jugendlichen für die Fotografen, | |
halten ihre Schilder hoch. „Jeder junge Menschen hat ein Recht auf | |
Förderung seiner Entwicklung“, steht auf einem. „Wir fordern gleiche Rechte | |
auf Schule für ALLE Kinder“, besagt ein anderes. Etwas am Rande steht | |
Django, schüchtern beobachtet er seine Altersgenossen, die sichtlich Spaß | |
an dem Rummel haben. Der 16-Jährige kommt aus Mali, Familie hat er keine | |
mehr, „dort ist ja Krieg“. Seit sechs Monaten ist er in Berlin, zur Schule | |
geht er nicht – und er weiß auch nicht, wie es weitergeht. „Ich kann nicht | |
schlafen, mache mir so viele Sorgen“, sagt er. | |
Der Berliner Flüchtlingsrat und das Beratungs- und Betreuungszentrum für | |
junge Flüchtlinge und Migrant*innen (BBZ) haben am Montagmittag eine | |
Demo organisiert. Es geht um die Rechte von geflüchteten Kindern, vor allem | |
von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, im Amtsdeutsch UMF genannt. | |
Etwa 30 bis 40 von ihnen sind zur Müllerstraße 74 im Wedding gekommen, dazu | |
noch rund 100 erwachsene Unterstützer*innen. Drinnen, im Centre Français, | |
tagt die Bildungsverwaltung mit Akteur*innen der Jugendhilfe zum Thema | |
Versorgung der UMF. | |
[1][Um die ist es zunehmend schlecht bestellt]. So müssen die Jugendlichen, | |
laut Flüchtlingsrat sind 40 Prozent der UMF 17 Jahre alt, immer länger auf | |
ihr Erstgespräch warten. Dieses aber ist essenziell für sie, um ihr neues | |
Leben beginnen zu können. [2][In diesem „Clearing“ wird ihr Hilfebedarf | |
ermittelt], ihr schulischer Background und die Familiensituation geklärt. | |
Vorher werden sie auch nicht in einer Schule angemeldet und haben keinen | |
rechtlichen Vormund, der sich etwa um ihren Asylantrag kümmert, ohne den | |
sie wiederum nicht ihre Familie nachholen können. | |
## Zu wenig Essen, kalte Duschen | |
Aktuell gibt es laut Flüchtlingsrat Wartezeiten von 8 bis 10 Monaten für | |
das Erstgespräch, die Sprecherin der Bildungsverwaltung gibt auf | |
taz-Anfrage „durchschnittlich 6 bis 8 Monate“ zu. Im Jahr 2022 kamen laut | |
Verwaltung 3.195 neue UMF nach Berlin (2021: 699), es gab in 2022 | |
allerdings nur 1.879 Erstgespräche. Derzeit warten laut Flüchtlingsrat 800 | |
UMF auf ihr Gespräch – und täglich kommen 10 bis 15 neue Unbegleitete dazu. | |
Ein weiterer Kritikpunkt von BBZ und Flüchtlingsrat: Die Unterbringung, | |
Versorgung und Betreuung der Jugendlichen werde immer schlechter. Auch auf | |
der Demo beklagen sich mehrere Jugendliche über zu wenig und schlechtes | |
Essen. „Jugendliche werden hier im Heim teils sogar dünner! Es gibt Heime, | |
die haben nur kalte Duschen“, berichtet Daniel Jasch vom BBZ. „Die | |
Aufnahmebedingungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Berlin | |
stellen einen eklatanten Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention dar,“ | |
sagt Walid Chahrour vom Flüchtlingsrat. | |
Die Sprecherin der Verwaltung widerspricht: „Priorität hat die | |
Gewährleistung des Kinderschutzes“, sagt sie. Die verlängerten Wartezeiten | |
erklärt sie mit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen auch bei UMF. Die | |
Jugendlichen würden aber auch in der Zwischenzeit „pädagogisch und fachlich | |
betreut, die Unterkünfte werden von anerkannten Trägern der Kinder- und | |
Jugendhilfe rund um die Uhr, also 24/7, betreut.“ Wenn es Beschwerden gibt, | |
werde dem nachgegangen. | |
Bei Flüchtlingsrat und BBZ klingt das völlig anders. Sie sagen, die | |
gesetzlichen Standards, etwa beim Betreuungsschlüssel, würden schon lange | |
nicht mehr eingehalten. Und wenn sich Jugendliche beschweren, „müssen sie | |
mit Restriktionen rechnen“, so Jasch. Dabei sei der hiesige Umgang mit den | |
UMF nicht nur ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Auch das | |
Sozialgesetzbuch VIII gelte für alle Kinder und Jugendlichen – ungeachtet | |
ihrer Herkunft. „Überforderung ist also kein Argument“, so Jasch, der Staat | |
sei in der Pflicht. Zudem schaffe man sich neue Probleme, [3][wenn die | |
Jugendlichen ein Jahr ohne Schule hier leben]. „Dann wird ihre Betreuung | |
und Integration immer schwieriger“. | |
Auf der Kundgebung schildert Abu, ein Aktivist aus Afghanistan, warum er | |
eine bessere Behandlung und mehr Schutz der Rechte geflüchteter Kinder | |
fordert: „Sie haben teilweise ihre Eltern verloren, mussten ihr Land, ihre | |
Familie verlassen. Das ist ein eklatantes Gefühl. Wie sie damit | |
zurechtkommen, hängt auch davon ab, wie es ihnen hier ergeht.“ | |
25 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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