# taz.de -- Rechte von Geflüchteten: Es darf keine Klassen geben | |
> In Zeiten, in denen viele Geflüchtete kommen, werden Menschenrechte gerne | |
> ignoriert. Das zeigt sich etwa am Umgang mit Moldawiern und Jugendlichen. | |
Bild: Wer kümmert sich um sie? Geflüchtete in Deutschland | |
Gibt es Flüchtlinge erster und zweiter Klasse? Seit Beginn des | |
Ukraine-Kriegs im Februar wird diese Frage immer wieder gestellt. Vom | |
Standpunkt der Menschenrechte aus kann es als Antwort nur ein vehementes | |
„Nein“ geben. Doch die Realität sieht oft anders aus. | |
Schon an der Grenze Ukraine-Polen wurden Menschen sortiert: nicht-weiße | |
Kriegsflüchtlinge, häufig Drittstaatler aus Nicht-EU-Ländern, mussten in | |
Extra-Schlangen extra lange warten, bis sie ausreisen durften. Viele wurden | |
aus Bussen und Zügen geholt, um Ukrainer*innen Platz zu machen, und | |
mussten selbst sehen, wie sie weiterkamen. | |
In Deutschland und Berlin angekommen ging es weiter: anders als die | |
Ukrainer*innen bekamen Drittstaatler*innen nicht sofort für zwei | |
Jahre eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Auch wenn sie inzwischen | |
zumeist ein Jahr Aufschub bekommen haben: Ihre Situation ist weiterhin | |
ungleich unsicherer als die von Ukrainer*innen. | |
Anfang dieser Woche bekam die Frage nach den „Klassen“ erneut Aktualität: | |
Berlins Innensenatorin [1][Iris Spranger (SPD) möchte noch vor Weihnachten | |
600 Moldawier nach Moldau abschieben]. Begründung: Man brauche die Plätze | |
in Flüchtlingsunterkünften für Ukrainer*innen. Sprich: Wenn wir | |
Ukrainer*innen helfen wollen, und das wollen wir, können wir | |
Moldawier*innen nicht helfen. Im Subtext schwingt da natürlich mit: | |
Ist aber auch nicht so schlimm, denn das sind keine „richtigen“ | |
Flüchtlinge, ihre Asylanträge werden so gut wie immer abgelehnt. | |
Grüne und Linke waren empört, steht doch [2][im Koalitionsvertrag]: „Im | |
Winter soll auf Abschiebungen verzichtet werden, wenn | |
Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten.“ Am Freitag schließlich | |
ruderte Spranger zurück: Es werde keine Abschiebungen im Winter geben. | |
Allerdings war auch die Empörung von Linken und Grünen ein bisschen | |
heuchlerisch. Denn der Umgang mit Geflüchteten aus Moldau in Berlin kann | |
nicht wirklich humanitär genannt werden. Als Flüchtlinge zweiter Klasse | |
werden sie hier schon länger behandelt. | |
Das liegt zum einen am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das | |
die Asylanträge nicht wirklich prüft, sondern grundsätzlich von | |
Armutsmigration (kein Asylgrund) und nicht etwa von systematischer | |
Diskriminierung (womöglich doch Asylgrund) ausgeht. Dies zeigte zuletzt ein | |
[3][Bericht von Pro Asyl und Berliner Flüchtlingsrat von Februar] dieses | |
Jahres. | |
## In schlechte Unterkünfte gesteckt | |
Dafür kann Rot-Grün-Rot zwar nichts, da das Bamf eine Bundesbehörde ist – | |
aber wie Moldawier hier während ihres Verfahrens und danach behandelt | |
werden, schon. Und der erwähnte Bericht stellte auch fest: | |
Asylantragsteller*innen aus Moldau werden zumeist in besonders | |
schlechten Unterkünften untergebracht, bekommen widerrechtlich keine | |
Dokumente, um sich etwa beim Arzt oder gegenüber der Polizei auszuweisen, | |
und werden schlechter versorgt, etwa mit diskriminierenden | |
Bekleidungsgutscheinen. All dies liegt in der Zuständigkeit der Linken, die | |
seit 2016 für Integration und die Aufsicht über das Landesamt für | |
Flüchtlingsangelegenheiten zuständig ist. | |
Unabhängig davon: Auch sonst ist derzeit wieder zu beobachten, dass Politik | |
und Verwaltung mit steigenden Flüchtlingszahlen Tabubrüche begründen, die | |
sie in „guten Zeiten“ weit von sich weisen würden. So hat jeder junge | |
Mensch – also auch ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (UMF) – ein | |
Recht „auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer | |
selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen | |
Persönlichkeit“ ([4][Paragraf 1, Sozialgesetzbuch VII]) – und darauf, dass | |
man sich staatlicherseits um seine Versorgung, Erziehung und Bildung | |
kümmert. | |
De facto müssen diese jungen Menschen in Berlin jedoch monatelang warten, | |
dass sich jemand um ihre Belange kümmert, etwa um einen Schulplatz (obwohl | |
auch für Flüchtlingskinder die Schulpflicht gilt). Die Situation in manchen | |
„Erstaufnahmen“ ist so schlecht, dass [5][Expert*innen diese Woche | |
gegenüber der taz von „Verwahrlosung“ sprachen]. | |
Dennoch redet die SPD-geführte Bildungsverwaltung das Problem klein und | |
verweist fast schon stolz darauf, dass man „trotz der hohen Zugangszahlen“ | |
die Jugendlichen nicht in Turnhallen oder Zelten unterbringe, wie es in | |
anderen Kommunen bereits der Fall sei. Dies zeigt, wie hier fast unmerklich | |
der Fokus verrückt wird und Menschenrechte – in diesem Fall Kinderrechte – | |
mit Verweis auf einen Sachzwang (kein Platz wegen zu vieler Geflüchteter) | |
hinten runterfallen. | |
Allerdings ist der „Sachzwang“ selbst verschuldet: Schon bei der letzten | |
„Flüchtlingskrise“ 2015/16 gab es das Problem. Damals wurden viele neue | |
Plätze für UMF geschaffen. Als die Krise vorbei war, wurden sie wieder | |
abgebaut. Kurzfristig ließ sich so eine Menge Geld sparen. | |
Nun zeigt sich erneut: Politik, die an Menschenrechten orientiert ist, darf | |
eigentlich nicht kurzfristig denken und handeln. Aber da Politik de facto | |
immer kurzfristig agiert, spielen Menschenrechte nur auf dem Papier und in | |
Sonntagsreden eine Rolle. | |
2 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Rot-Gruen-Rot-streitet-ueber-Abschiebungen/!5895218 | |
[2] https://www.berlin.de/rbmskzl/regierende-buergermeisterin/senat/koalitionsv… | |
[3] https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/ | |
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/__1.html | |
[5] /Unbegleitete-minderjaehrige-Fluechtlinge/!5895219 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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