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# taz.de -- Ukraineflüchtlinge in Not: Zwei Jahre im Ungewissen
> Viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine mit anderer Staatsbürgerschaft
> haben bis heute keinen sicheren Aufenthalt. Das macht ihnen zu schaffen.
Bild: Am Hauptbahnhof in Berlin ankommende Ukraine-Flüchtlinge im März 2022
Collin B.* hat Angst. Zwei Jahre nach seiner Flucht aus der Ukraine hat der
Nigerianer kürzlich Asyl beantragt, damit er nicht abgeschoben wird. Bis
Kriegsausbruch hat er in Charkiw Software-Engineering studiert – das hätte
er in Berlin gerne beendet. Doch das Landesamt für Einwanderung (LEA) hat
seinen Antrag auf Schutzstatus abgelehnt, das Verwaltungsgericht die Klage
dagegen abgewiesen. B. sagt, er kann nicht zurück. „Sie sind in Nigeria
hinter mir her, weil ich homosexuell bin. Mein Vater wurde deshalb
ermordet.“ Der Asylantrag ist seine letzte Chance – aber nur 12 Prozent der
Anträge aus Nigeria werden anerkannt. „Ich hatte einen Job bei Tesla, habe
niemandem auf der Tasche gelegen. Warum soll ich gehen“, fragt er.
Über 1.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine leben in Berlin nach zwei
Jahren Krieg mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Sie sind sogenannte
nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige, die als ausländische Studierende
oder Arbeitnehmer in der Ukraine lebten und wie die Ukrainer fliehen
mussten. Stand Ende Januar haben 1.124 immer noch eine
„Fiktionsbescheinigung“ (FB), das heißt, das LEA hat über ihren Antrag auf
Bleiberecht noch nicht entschieden.
Noch schlechter steht es um die 111 Menschen, deren Antrag wie bei Collin
B. abgelehnt wurde; eine Person wurde bereits abgeschoben, wohl wegen einer
Straftat. Die Zahlen stammen aus Antworten der Innenverwaltung auf Anfrage
der Linken-Abgeordneten Elif Eralp. Bei einer Anhörung im Innenauschuss zum
Thema LEA fragte sie am Montag in Richtung von dessen Direktor Eberhard
Mazanke, was nun mit den 111 passieren soll: „Wollen Sie die jetzt
ernsthaft abschieben, die vor demselben Krieg (wie die Ukrainer) geflohen
sind?“ Eine Antwort blieb Mazanke schuldig.
## Weniger Rechte als Ukrainer
[1][Seit Kriegsbeginn gibt es eine rechtliche Ungleichbehandlung von
Ukrainern und Drittstaatsangehörigen]: Erstere bekommen automatisch einen
Schutzstatus als Kriegsflüchtlinge nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz und
damit verbunden Arbeitserlaubnis beziehungsweise Anspruch auf Bürgergeld,
die Erlaubnis zur Wiedereinreise nach Deutschland und ein Schengenvisum.
Drittstaatsangehörige haben dieses Privileg nur unter bestimmten
Bedingungen, etwa als Ehepartner oder Elternteil eines ukrainischen
Staatsbürgers oder wenn sie in dem Land eine unbefristetete
Aufenthaltserlaubnis hatten. Für Berlin waren dies laut der Anfrage bis
Ende Januar 1.767 Personen.
Alle anderen müssen individuell darlegen, warum eine „sichere und/oder
dauerhafte“ Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist. Bis das
entschieden ist, bekommen sie die FB. Eine weitere Möglichkeit für sie ist,
ein Studierenden- oder Arbeitsvisum zu beantragen. Wie viele das geschafft
haben, weiß niemand, diese Zahl wird vom LEA nicht erfasst.
Fest steht: Der prekäre Aufenthaltsstatus nur mit einer
Fiktionsbescheinigung macht den Menschen das Leben schwer. Ronel D.,
Mitbegründerin von BIPOC-Ukraine & Friends in Germany, einer Gruppe, die
Drittstaatsangehörige berät und und mit ihnen zusammen politische
Lobbyarbeit für sie macht, erklärt: Jedes Mal, wenn die FB ausläuft, sei es
ungewiss, ob und wann sie verlängert wird. „Dadurch haben einige auch schon
Jobs verloren.“ Manche Jobcenter stellten auch die Zahlung von Bürgergeld
ein, wenn die FB ausläuft, berichtet sie – obwohl die Ämter eigentlich
wüssten, dass die Terminvergabe beim LEA Monate braucht. „Eine Frau wartet
seit über einem Jahr auf ihren Termin, die Fiktionsbescheinigung ist lange
ausgelaufen.“ Auch die Wohnungssuche gestalte sich unter diesen Bedingungen
noch schwieriger als ohnehin in Berlin. „Dazu kommt die häufige
Diskriminierung von nicht-weißen Personen“.
Vicky Germain von der Initiative „Communities Support for BiPoC Refugees
Ukraine“ (CUSBU), die Drittstaatsangehörige berät, weiß von denselben
Problemen mit dem LEA zu berichten. [2][Dabei habe sich das Amt anfangs
eher großzügig verhalten]. Doch inzwischen habe sie den Eindruck, das LEA
würde es Angehörigen dieser Gruppe gezielt schwer machen. So würde – anders
als bei Ukrainern – bei Drittstaatlern, die zwischenzeitlich in einem
anderen Land waren, die Schutzwürdigkeit grundsätzlich verneint. „Und das
sogar, wenn sie in einem anderen EU-Land den Schutzstatus erhalten haben“,
empört sich die Beraterin.
## Keine Wiedereinreise
Noch unverständlicher scheint, dass Drittstaatsangehörige mit einem in der
Ukraine geborenen Kind keine Chance bekommen Identitätsunterlagen der
Kinder, die das LEA selbst verlangt, zu besorgen. Diese Kinder haben ein
Anrecht auf die ukrainische Staatsangehörigkeit, welche wiederum den
Schutzstatus der Eltern festigen würde. „Aber die Papiere dafür bekommt man
nur in der Ukraine, das hat uns die Botschaft bestätigt“, sagt Germain.
Dennoch gebe das LEA den Eltern keine Schengen-Visa um die Papiere zu
holen. Das Amt erklärt in der erwähnten Anfrage zu diesem Thema: „Eine
Rückkehr in die Ukraine ist dafür nicht unbedingt oder zwingend
erforderlich.“
Doch auch Rechtsanwalt Karsten Reibold kennt solche Fälle. Er hat mehrere
Klienten, die bereits Ablehnungsbescheide vom LEA bekommen haben. Wenn
jemand in seinem Heimatland war oder in der Ukraine, um ein Dokument zu
besorgen, dass das LEA selbst verlange, verneine das Amt hinterher die
Schutzbedürftigkeit – der oder die Betreffende sei ja schließlich woanders
gewesen. „Man will sie auf Teufel komm raus loswerden, das passt ja auch in
den politischen Zeitgeist“, so Reibold.
Auch Elif Eralp hat den Eindruck, dass die Zeiten, in denen Berlin
versuchte, die Drittstaatler rechtlich mit Ukrainern möglichst
gleichzustellen, vorbei sind. „Der Schutz von Drittstaatsangehörigen hat
für Schwarz-Rot keine Bedeutung mehr“, sagt sie. Das zeige auch die
Tatsache, dass statistisch gar nicht mehr erfasst werde, wie viele
Drittstaatsangehörige welche Titel erhalten.
Zudem sei die Senatsarbeitsgruppe, die die aufenthaltsrechtliche Situation
der Drittstaatler beobachten und notfalls nach Lösungen im Sinne der
Kriegsflüchtlinge suchen sollte, inzwischen aufgelöst. Eralp: „Der Senat
hat die Verantwortung dafür ans LEA abgegeben! Dass alle Geflüchteten aus
der Ukraine unabhängig vom Pass gleich behandelt werden sollten, scheint
keine Prämisse mehr zu sein.“
## Viele Jobs bei Tesla
Dabei müsste Berlin angesichts des Arbeitskräfte- und Facharbeitermangels
eigentlich ein Interesse daran haben, dass diese Menschen bleiben, von
denen viele ein (fast) abgeschlossenes Studium in naturwissenschaftlichen
und technischen Bereichen haben. Tatsächlich haben viele trotz ihrer
prekären Lage Arbeit gefunden, berichten die Beraterinnen – vor allem bei
Tesla oder auch in der IT-Branche.
Auch Anwalt Reibold weist auf diesen Punkt hin. „Diese Menschen haben schon
einmal bewiesen, in der Ukraine, dass sie sich integrieren können. Warum
also gibt man ihnen nicht die Sicherheit, damit sie hier Fuß fassen
können?“
*Name geändert
4 Mar 2024
## LINKS
[1] /BIPoCs-aus-der-Ukraine/!5922142
[2] /!5942226/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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