# taz.de -- Ministerpräsidenten über Migration: Weitere Asyl-Verschärfung ab… | |
> Die Länderchef*innen treffen sich mit Kanzler Scholz, es geht um die | |
> Migrationspolitik. NGOs befürchten Schlimmes. | |
Bild: Zwei Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Berlin: Menschenrechtsgruppen kri… | |
BERLIN taz/epd/dpa | Vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf | |
Scholz (SPD) zeichnen sich weitere Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik | |
ab. Neben dem geplanten Bezahlkartenmodell soll es am Mittwochnachmittag um | |
eine mögliche Arbeitspflicht auch für sozialversicherungspflichtige Jobs | |
gehen. Im Vorfeld der Konferenz betonten SPD-Politik*innen, was bisher | |
schon erreicht wurde, Unions-Politiker*innen forderten dagegen [1][weitere | |
Verschärfungen]. Menschenrechtsgruppen kritisierten den Kurs von Bund und | |
Ländern in der Flüchtlingspolitik als grundlegend falsch. | |
Dass die Länder ein Bezahlkarten-Modell für Geflüchtete einführen wollen, | |
steht schon seit Januar fest. Streit gab es zuletzt noch um die Frage, ob | |
dies auch von Bundesregierung und Bundestag im Asylbewerberleistungsgesetz | |
festgehalten werden soll, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die Grünen | |
hatten sich lange dagegen gewehrt, am vergangenen Freitag im Kabinett aber | |
doch zugestimmt. Die Karte soll Geldleistungen an Asylbewerber*innen | |
ersetzen und Überweisungen an die Familie im Herkunftsland verhindern. | |
Implizit soll sie wohl auch abschreckend wirken und Menschen davon | |
abhalten, nach Deutschland zu kommen. | |
Zweites wichtiges Thema dürfte eine [2][Arbeitspflicht für Flüchtlinge] | |
sein. Für gemeinnützige Tätigkeiten können die Kommunen eine solche Pflicht | |
bereits jetzt verhängen. Der CDU-Landrat des Saale-Orla-Kreises, Christian | |
Herrgott, hatte im Februar für Aufsehen gesorgt, [3][als er diesen Schritt | |
ging]. Eine Arbeitspflicht für sozialversicherungspflichtige Jobs ist nach | |
aktueller Gesetzeslage aber nicht möglich. Genau die fordern seit einigen | |
Tagen nun verschiedene Unions-Politiker*innen, so etwa der Präsident des | |
Landkreistages Reinhard Sager (CDU). | |
Schon bei der letzten Konferenz im November hatte der Bund den Ländern | |
außerdem zugesagt, Asylverfahren außerhalb Deutschlands in Drittstaaten zu | |
prüfen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bestätigte am Dienstag | |
gegenüber dem Spiegel, die Prüfung, „ob Asylverfahren auch | |
rechtsstaatkonform in Drittstaaten möglich sind, werden wir gemeinsam mit | |
Migrationsexperten und Juristen intensiv fortsetzen“. Vorstellbar seien | |
„engere Kooperationen vor allem mit den Staaten, die an den Fluchtrouten | |
liegen und Menschenrechte wahren“. | |
## Menschenrechtsorganisationen fordern Wende | |
Politik*innen von SPD und Grünen betonten am Mittwochmorgen vor allem, | |
was bisher schon erreicht worden sei. Die rheinland-pfälzische | |
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte den Zeitungen der Funke | |
Mediengruppe (Mittwoch), die Ministerpräsidentenkonferenz im November habe | |
„weitgehende Regelungen getroffen, um irreguläre Migration zu begrenzen, | |
eine gerechtere Verteilung in Europa zu erreichen und Deutschland damit zu | |
entlasten“. Sehr vieles sei bereits umgesetzt. Dreyer nannte unter anderem | |
die Gesetzgebung für schnellere Abschiebungen und Kontrollen an den | |
EU-Binnengrenzen, aber auch die noch andauernden Beratungen zur Einführung | |
der Bezahlkarte. | |
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) | |
sieht es nach Angaben eines Sprechers grundsätzlich skeptisch, immer neue | |
Forderungen in den Raum zu stellen. „Die Ministerpräsidentenkonferenz hat | |
Ende letzten Jahres bereits weitreichende Beschlüsse gefasst“, sagte der | |
Sprecher dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Nun geht es erst mal | |
darum, dass das Beschlossene vollständig umgesetzt wird, und zu schauen, ob | |
wir gegebenenfalls an manchen Stellen nachsteuern müssen.“ | |
Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte in der Rheinischen Post | |
vor einem „Überbietungswettbewerb um die krassesten Formulierungen“ in der | |
Asylpolitik. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, | |
Clara Bünger, sagte: „Als wäre die Hetze der Union nicht schon schlimm | |
genug, denkt Innenministerin Nancy Faeser laut über die Auslagerung von | |
Asylverfahren in außereuropäische Drittstaaten nach.“ Die sei ein | |
„unerhörter Tabubruch, der massiv gegen Menschenrechte verstößt.“ | |
CDU-Politiker*innen machen dagegen weiter Druck und kritisieren die | |
bisherigen Verschärfungen als nicht weitgehend genug. Der | |
nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erklärte, viele | |
Verabredungen vom November seien noch nicht umgesetzt worden. „Deswegen | |
wäre für mich heute wichtig zu erfahren, wie die Bundesregierung an den | |
Themen arbeitet“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Allein im Januar seien | |
28.000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen, obwohl in den Wintermonaten | |
für gewöhnlich weniger Menschen einträfen. „Der Druck bleibt unglaublich | |
groß.“ | |
Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Andrea Lindholz, | |
sagte am Mittwoch, die Bundesregierung setze die bisherigen Beschlüsse „nur | |
schleppend und inkonsequent um.“ Sie forderte: „Alle Spielräume zur Senkung | |
von Asylbewerberleistungen, gerade auch für Ausreisepflichtige, müssen | |
genutzt werden.“ Es brauche mehr sichere Herkunftsstaaten und das Ende | |
aller freiwilligen Aufnahmeprogramme. | |
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte dem RND: „Ich erwarte | |
von der Ministerpräsidentenkonferenz vor allem, dass sie unmissverständlich | |
formuliert, dass wir die Zuwanderung begrenzen.“ Er wiederholte die | |
bayerische Forderung einer „Integrationsgrenze“, also einer Obergrenze für | |
Geflüchtete, Ministerpräsident Markus Söder hatte dafür eine Zahl von | |
60.000 Personen pro Jahr ins Gespräch gebracht. | |
## Grundlegende juristische Bedenken | |
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte, nur noch diejenigen | |
Asylbewerber auf die Kommunen zu verteilen, die eine gesicherte | |
Bleibeperspektive haben. Städte und Gemeinden seien bei der Versorgung der | |
Geflüchteten an der Belastungsgrenze, sagte Hauptgeschäftsführer André | |
Berghegger der Augsburger Allgemeinen (Mittwoch). Außerdem brauche es eine | |
soziale Infrastruktur, damit Kinder sich schnell integrieren und Eltern | |
Integrationskurse besuchen oder einer Arbeit nachgehen könnten, fügte | |
Berghegger hinzu: „Asylbewerber mit Bleibeperspektive sollen möglichst | |
schnell nach ihrer Ankunft in den Arbeitsmarkt vermittelt werden.“ | |
Der Sachverständigenrat Integration und Migration machte bei den | |
Überlegungen zur Arbeitspflicht juristische Bedenken geltend. Der | |
Vorsitzende des SVR, Hans Vorländer, sagte zudem, dass Arbeit zwar einen | |
wichtigen Beitrag zur Integration von Geflüchteten leisten könne. „Doch ob | |
dies im Zuge einer Arbeitspflicht für Asylsuchende geschehen kann, ist sehr | |
zweifelhaft.“ Es müssten bestehende Hürden gesenkt werden, die Flüchtlinge | |
vom Arbeitsmarkt ausschließen, etwa das Arbeitsverbot, das die ersten drei | |
Monate nach Ankunft in Deutschland gilt. | |
Die Diakonie forderte einen grundlegenden Richtungswechsel in der | |
Asylpolitik. Angesichts weltweit steigender Flüchtlingszahlen sei es | |
„völlig realitätsfern anzunehmen, dass sich die Zahl der nach Deutschland | |
flüchtenden Menschen durch Leistungskürzungen oder eine Bezahlkarte | |
signifikant reduzieren lässt“, sagte die Sozialvorständin des evangelischen | |
Wohlfahrtsverbandes, Maria Loheide. Stattdessen müssten Instrumente | |
gestärkt werden, die die Integration voranbringen. Dazu gehöre die | |
vollständige Abschaffung von Arbeitsverboten für Asylbewerber. Auch | |
Arbeiterwohlfahrt und Paritätischer Gesamtverband kritisierten die Pläne | |
für Bezahlkarte und ausgelagerte Asylverfahren in einem offenen Brief. Es | |
brauche Investitionen in die Sozialsysteme für Geflüchtete statt weiterer | |
Verschärfungen. | |
Der Rat für Migration kritisierte Bezahlkarte und Arbeitspflicht am | |
Mittwoch ebenfalls in einem Statement. Die Behauptung, Flüchtlinge | |
überwiesen ohne Bezahlkarte ihr Geld an Schlepper oder ins Ausland, sei | |
„spekulativ, wissenschaftlich unhaltbar und integrationspolitisch | |
kontraproduktiv“. Auch an der von der Bundesregierung geprüften Auslagerung | |
von Asylverfahren an Drittstaaten übte der Rat Kritik. Es gebe „enge | |
rechtliche und praktische Grenzen“ für solche Vorhaben. | |
Aktualisiert und ergänzt am 06.03.2024 um 12:00 Uhr. d. R. | |
6 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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