# taz.de -- Ausbeutung von Migrant:innen: Die AfD hetzt, die CDU macht … | |
> …aber eigentlich war’s ne Idee der SPD: Geflüchtete sollen für 80 Cent | |
> pro Stunde malochen. Wie das der Integration nützen soll, bleibt | |
> fraglich. | |
Bild: Geflüchtete 2015 vor dem Lageso in Berlin | |
Die CDU spielt scheinbar mal wieder in der Hoffnung auf Stimmen mit | |
AfD-Narrativen. Immerhin macht sie damit Schlagzeilen. Im thüringischen | |
Saale-Orla-Kreis hat der neue Landrat Christian Herrgott von der CDU | |
verkündet, [1][Geflüchtete zur Arbeit zu verpflichten]. | |
Dafür soll es Arbeitsgelegenheiten in ihren Unterkünften, bei Kommunen oder | |
gemeinnützigen Vereinen geben: Übersetzungstätigkeiten, Hecke schneiden, | |
Festzelt aufbauen. Als Entschädigung bekommen die Geflüchteten 80 Cent pro | |
Stunde und sollen maximal 4 Stunden pro Tag arbeiten. Lehnen sie die | |
Angebote ab, droht ihnen, dass bis zu 180 Euro von ihren Leistungen von | |
höchstens 460 Euro gestrichen werden. Die Geflüchteten müssten der | |
Gesellschaft etwas zurückgeben, statt nur herumzusitzen, [2][findet | |
Herrgott]. | |
In Thüringen stehen im September die Landtagswahlen an und da scheut die | |
CDU keinen direkten Vergleich mit der AfD. So [3][twitterte] die | |
stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Thüringen, Beate Meißner, zur | |
Arbeitspflicht: „Apropos, was macht eigentlich dieser erste AfD-Landrat | |
Deutschlands in Sonneberg?“ Und hängt stolz an: „Die einen hetzen, die | |
anderen machen!“ Also: Typisch CDU, versucht, mit AfD-Themen nach Stimmen | |
zu angeln? | |
So einfach ist das nicht. Denn auch wenn er sich nun medienwirksam | |
profiliert, das Gesetz dahinter stammt nicht vom lieben Herrgott. Es wird | |
in Deutschland seit Jahren angewendet. Auch wenn ihm nun einige | |
unterstellen, er bediene das rechte Narrativ „Geflüchtete wollen nur vom | |
Sozialstaat leben und scheuen Arbeit“, ist diese Behauptung ebenso bei | |
vermeintlich Linken zu finden. | |
## Maximal 64 Euro im Monat | |
Die 80-Cent-Jobs für Geflüchtete beruhen auf dem | |
Asylbewerberleistungsgesetz. Ursprünglich trat das 1993 in Kraft, unter der | |
schwarz-gelben Regierung. Da bekamen die Geflüchteten etwa umgerechnet 1 | |
Euro pro Stunde. In seiner jetzigen Form, mit einer Entschädigung von 80 | |
Cent pro Stunde, wurde das [4][2016 von der damaligen Arbeitsministerin | |
Andrea Nahles eingeführt]. Die ist eben nicht bei der AfD, sondern wurde | |
ein Jahr später Vorsitzende der SPD. Arbeit, das sei „der beste Weg zu | |
einer ordentlichen Integration“, sagte sie damals und kündigte an, 100.000 | |
neue Arbeitsgelegenheiten für Geflüchtete schaffen zu wollen. | |
Christian Herrgott berichtet, bisher habe es im Saale-Orla-Kreis positive | |
Rückmeldungen von den rund 50 Geflüchteten gegeben, die bereits | |
Arbeitsgelegenheiten wahrgenommen haben. „Sie wünschen sich eine reguläre | |
Tätigkeit und fragen, wie sie in den ersten Arbeitsmarkt gelangen können“, | |
sagte er dem Tagesspiegel. | |
Der Witz ist: Viele der Geflüchteten würden gerne arbeiten, dürfen aber | |
nicht. Das verbietet ihnen der deutsche Staat nämlich. Die „Ausländer“ | |
sollen den Deutschen ja keine Jobs wegnehmen. In den drei Monaten, nachdem | |
Geflüchtete einen Asylantrag gestellt haben, dürfen sie nicht arbeiten und | |
grundsätzlich auch nicht, wenn sie nur „geduldet“ sind. Das heißt, ihr | |
Antrag wurde abgelehnt, aber sie werden nicht abgeschoben. Dafür gibt es | |
verschiedene Gründe, etwa, wenn sich keine Pässe organisieren lassen, weil | |
die diplomatische Situation zum Beispiel in Libyen, vorsichtig gesagt, | |
schwierig ist. | |
Geduldete könnten zwar mit behördlicher Erlaubnis arbeiten, doch oft ist es | |
so, dass die Behörden überlastet sind und die Anträge nicht schnell genug | |
bearbeiten. Wenn die Genehmigung kommt, ist der Arbeitsplatz schon weg und | |
die geduldete Person weiter arbeitslos. | |
Für sie bedeutet das dann, dass sie von maximal 460 Euro im Monat leben | |
muss. Je nachdem ist es bei manchen weniger. Zum Vergleich: Beim Bürgergeld | |
erhält ein alleinstehender Erwachsener 563 Euro im Monat – und bekanntlich | |
ist das zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben. | |
Da verwundert es nicht, wenn sich einzelne Geflüchtete freuen, ein bisschen | |
was dazuzuverdienen. Allerdings bedeutet „dazuverdienen“ bei einem | |
Stundensatz von 80 Cent und fünf Arbeitstagen in der Woche mit je 4 Stunden | |
Arbeit maximal 64 Euro im Monat. Um den Betrag des derzeitigen Stundenlohns | |
von 12,41 Euro pro Stunde zu bekommen, müssen die Geflüchteten fast vier | |
Tage arbeiten. | |
Inwieweit das zur Integration beiträgt, ist dabei mehr als fraglich. Wie | |
sollen sie etwa über die 80-Cent-Jobs in den Unterkünften, Kommunen oder | |
für gemeinnützige Vereine auf reguläre Arbeitgeber:innen treffen? | |
Flüchtlingsräte fordern schon seit Jahren, Deutschland solle den | |
Arbeitsmarkt für Geflüchtete direkt öffnen, damit sie eigenständig Geld | |
verdienen können, wenn sie wollen. Und statt den Spracherwerb als | |
Nebenprodukt von Ausbeutung anzupreisen, könnte man ihn direkt angehen. | |
Dafür braucht es mehr Sprachkurse und Geflüchtete, die Zeit dafür haben, | |
statt für 80 Cent die Hecke zu schneiden. | |
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war nicht klar, unter | |
welcher Regierung das Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft trat. Wir haben | |
die Stelle angepasst. | |
29 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /80-Cent-Jobs-fuer-Gefluechtete/!5995370 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/neue-regelung-in-thuringen-wie-wollen-s… | |
[3] https://twitter.com/die_meissner/status/1762383877128036609 | |
[4] /Ausbildungen-und-Arbeit-fuer-Fluechtlinge/!5277376 | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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