# taz.de -- BIPoCs aus der Ukraine: Aufschub für Studenten-Flüchtlinge | |
> Drittstaatler*innen, die aus der Ukraine flüchten mussten, bekommen in | |
> Berlin mehr Zeit, um ihr Bleiberecht zu verfestigen. Doch es gibt viele | |
> Hürden. | |
Bild: Angstort für viele Geflüchtete und Migrant*innen: das „LEA“ entsche… | |
BERLIN taz | Für 123 so genannte Drittstaatler*innen, die vor dem | |
Ukrainekrieg nach Berlin geflohen sind und deren „Fiktionsbescheinigung“ in | |
diesen Tagen abgelaufen wäre, ist der Druck raus und sie können aufatmen: | |
Der Senat hat am Dienstag einer Verlängerung ihres Bleiberechts um weitere | |
sechs Monate zugestimmt. Damit haben diese Menschen nun mehr Zeit, um die | |
Voraussetzungen für ein Studierenden- oder Arbeitsvisum zu erfüllen. | |
Linken-Abgeordnete Elif Eralp, die bei den Verhandlungen zum Beschluss | |
einbezogen war, zeigt sich gegenüber der taz erleichtert: „Damit wird es | |
bis auf Weiteres keine Ablehnungen für Drittstaatsangehörige und keine | |
Ausweisungen geben.“ Sie sei sehr froh, „dass wir das noch erreicht haben, | |
bevor wir aus der Regierung fliegen“. Auch Vicky Germain, Vorstandsmitglied | |
im Migrationsrat und Aktivistin [1][im Bündnis CUSBU], das sich speziell um | |
BIPoC-Geflüchtete aus der Ukraine kümmert (BIPoC ist die Abkürzung für | |
Black, Indigenious and People of Colour), freut sich über den Beschluss: | |
„Das ist wirklich eine Erleichterung für die Betroffenen.“ | |
Ohnehin sei der Umgang mit Drittstaatler*innen aus der Ukraine in | |
Berlin deutlich besser als in anderen Bundesländern, sagt Germain. Zwar | |
gebe es auch beim Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) bisweilen | |
problematische Einzelfall-Entscheidungen. „Aber wir haben Ansprechpartner | |
beim LEA, bei denen wir intervenieren können. Und es gibt immerhin ein | |
geregeltes Verfahren.“ Dennoch, betont sie, hätten viele Menschen aus | |
dieser Gruppe i Berlin große Probleme, was Aufenthaltserlaubnis, | |
Unterbringung und finanzielle Unterstützung angeht. | |
Dazu muss man wissen: Nichtukrainer*innen, die vor dem Krieg in der | |
Ukraine geflüchtet sind, werden rechtlich anders behandelt als | |
Ukrainer*innen. Zu der Gruppe gehören vor allem Studierende aus | |
afrikanischen und asiatischen Ländern – in der Ukraine gab es zu | |
Kriegsbeginn über 150.000 ausländische Studierende aus zahlreichen Ländern. | |
Drittstaatler*innen sind auch Migrant*innen, die dort teils seit | |
Jahrzehnten als Arbeiter*innen, Angestellte oder Selbstständige lebten. | |
## Flüchtlinge zweiter Klasse | |
Laut Bundesinnenministerium haben etwa 29.000 der knapp eine Million | |
Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland eine andere Staatsbürgerschaft als die | |
ukrainische. In Berlin dürften sich ein paar tausend | |
Drittstaatler*innen aufhalten, genaue Zahlen gibt es nicht. CUSBU hat | |
im vorigen Jahr 2.700 Beratungen mit Klient*innen aus 38 Ländern | |
durchgeführt. | |
[2][Rechtlich schlechter gestellt sind Drittstaatler*innen seit | |
Inkrafttreten der EU-„Massenstromrichtlinie“ Ende März 2022]. Sie besagt, | |
dass ukrainische Staatsbürger*innen eine Aufenthaltserlaubnis nach | |
Paragraf 24 AufenthG bekommen – womit ein gesicherter Aufenthalt, | |
Sozialleistungen und Arbeitserlaubnis verbunden sind. | |
Drittstaatler*innen bekommen „den 24er-Aufenthalt“ nur unter bestimmten | |
Voraussetzungen: etwa als Partner*in, Vater/Mutter eine*r Ukrainer*in | |
oder als Personen mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis in der Ukraine. | |
Jene, auf die dies nicht zutrifft, müssen individuell darlegen, warum eine | |
„sichere und dauerhafte“ Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist, um | |
in den Genuss von Paragraf 24 zu kommen. Dies prüft das Bundesamt für | |
Migration (BAMF), unterdessen haben die Personen in Berlin für ein Jahr | |
eine „Fiktionsbescheinigung“ bekommen. | |
Da diese Bescheinigungen im vergangenen Herbst ausgegeben wurden, haben die | |
Betreffenden doch bis kommenden Herbst einen legalen Aufenthalt. | |
Entscheidungen des BAMF gibt es zu Berliner Fällen noch nicht. In anderen | |
Bundesländern hat das Amt dagegen schon Anträge abgelehnt, und | |
Drittstaatler*innen wurden zur Ausreise in ihr Heimatland aufgefordert. | |
## Sperrkonto mit 11.000 Euro | |
Die dritte Möglichkeit für Nichtukrainer*innen auf legalen Aufenthalt | |
ist ein Studierenden- oder Arbeitsvisum. Doch auch hier sind die Hürden | |
hoch, bei Studierenden etwa ein Sperrkonto mit 11.000 Euro für die | |
Sicherung des Lebensunterhalts, eine Studienplatzzusage oder zumindest ein | |
vorbereitender Sprachkurs. | |
Daher haben die eingangs erwähnten 123 Drittstaatler*innen, die weder | |
beim LEA erklärt haben, eine Rückkehr sei für sie unmöglich, noch die | |
Voraussetzungen für ein Studentenvisum erfüllen, [3][im vorigen Herbst | |
eine Fiktionsbescheinigung für sechs Monate] bekommen. [4][Wie manche schon | |
damals befürchtet hatten,] haben sie es aber bislang nicht geschafft, die | |
Voraussetzungen für ein Studierendenvisum zu erfüllen – weshalb die Frist | |
für sie nun verlängert wurde. | |
Wie viele Nichtukrainer*innen in Berlin derzeit versuchen, mit einer der | |
anderen Möglichkeiten einen Aufenthalt zu bekommen, oder dies bereits | |
erfolgreich getan haben, kann das LEA nicht sagen – diese Daten würden | |
nicht erhoben. | |
Fest steht: Einen legalen Aufenthalt zu erhalten ist für diese Gruppe | |
schwierig. So verlangt das LEA, wie andere Ausländerbehörden auch, häufig | |
die Vorlage von Dokumenten im Original, die auf der Flucht verloren gingen | |
oder zurückgelassen werden mussten, etwa ukrainische Aufenthaltserlaubnisse | |
oder Studienbescheinigungen. „Manchen Menschen wird zugemutet, ins | |
Kriegsgebiet zu reisen, um Papiere zu besorgen, auch wenn wir darauf | |
hinweisen, dass die erneute Einreise in die EU für diese Personen nicht | |
gesichert ist“, sagt Germain. | |
## Dokumente aus dem Kriegsgebiet holen | |
Schon seit Kriegsbeginn würden ukrainische Grenzbeamte | |
Drittstaatler*innen oft nicht ausreisen lassen, wenn sie kein | |
Schengen-Visum im Pass haben, berichtet die CUSBU-Leiterin. In letzter Zeit | |
komme es zudem immer wieder zu Pushbacks auf der Seite Polens oder Ungarns, | |
die Drittstaatler*innen nicht mehr in die EU hinein ließen. | |
Ein weiteres Problem von BIPoC-Studierenden aus der Ukraine, die ihre | |
Studiennachweise nicht mehr haben: „Viele Universitäten verlangen Gebühren | |
für die Zusendung von Unterlagen“, erzählt Germain. Viele BIPoC-Studierende | |
könnten daher keine Nachweise über ihre Zeit in der Ukraine erbringen und | |
hätten entsprechend Probleme, hier einen Auftenthaltstitel zu erlangen oder | |
weiter zu studieren. | |
Auch Elif Eralp von der Linken weiß um das Problem mit den fehlenden | |
Dokumenten, nimmt jedoch das LEA in diesem Fall in Schutz. Dass bestimmte | |
Unterlagen wie Identitätsnachweise und Aufenthaltserlaubnisse im Original | |
vorliegen müssen, seien Vorgaben des Bundesinnenministeriums. „Das LEA hat | |
da kaum Spielraum.“ Hierzu müsste der Bund eigentlich eine Vereinbarung mit | |
der Ukraine treffen, etwa dass die ukrainische Botschaft auch für | |
Drittstaatler*innen zuständig werde und dann die Dokumente besorge. | |
„Davon habe ich aber noch nichts gehört.“ | |
Ein weiteres Problem, das auch Ukrainer*innen haben, das aber aufgrund | |
von Rassismus für BIPoCs bisweilen verschärft wird, ist die verzögerte | |
Hilfe durch überlastete Behörden. So berichtet ein junger Mann, der aus | |
Angst vor Nachteilen für sein Aufenthaltsverfahren anonym bleiben möchte, | |
der taz, dass er – obwohl schon im Dezember in Tegel registriert – seither | |
nur einmal „ein bisschen“ Geld vom Sozialamt bekommen habe. „Sie wollen | |
uns Afrikanern nichts geben“, ist er überzeugt. Auch auf seinen Termin beim | |
LEA wartet er ungeduldig: Ohne Aufenthaltserlaubnis oder wenigstens eine | |
Fiktionsbescheinigung kann er sich keine Arbeit suchen. | |
## Drei Monate ohne Geld | |
Auch Chrissy, eine nigerianische Studentin, die ebenfalls anonym bleiben | |
möchte, wäre ohne Hilfe von Freunden und Bekannten schon lange | |
aufgeschmissen. Im Dezember, berichtet sie, habe sie beim Sozialamt | |
Treptow-Köpenick vorgesprochen: „Die Sozialarbeiterin dort war von Anfang | |
an sehr unfreundlich. Obwohl ich gesagt habe, dass ich keinen Cent mehr | |
habe, wollte sie mir kein Bargeld geben.“ Die Überweisung dauere nur ein | |
paar Tage, habe die Mitarbeiterin gesagt – aber bis Februar habe sie nichts | |
bekommen. Als sie wieder beim Amt vorsprach, erklärte dieselbe Frau, ihre | |
Akte sei verloren gegangen, sie müsse den Antrag noch mal stellen. | |
Schließlich ging Chrissy zusammen mit Vicky Germain zum Amt, die eine | |
Beschwerde verfasste. Jetzt – nach über drei Monaten – soll das Geld | |
angeblich kommen. | |
17 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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