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# taz.de -- Jobverlust durch Bürokratieversagen: Der Termin als Glückssache
> Im Landesamt für Einwanderung, seit 1. Januar auch für Einbürgerungen
> zuständig, herrscht große Terminnot. Die Folgen für Betroffene sind
> gravierend.
Bild: Noch mehr Termine: Seit Jahresbeginn ist das Landesamt auch für Einbürg…
Berlin taz | Senat und Abgeordnetenhaus spielen die Terminnot im Landesamt
für Einwanderung (LEA) herunter. Das geht aus einer Antwort des
Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses auf eine Petition der früheren
Linken-Abgeordneten Karin Hopfmann hervor, die heute als Rentnerin
ehrenamtlich Flüchtlinge berät. Hopfmann hatte in ihrer Petition die
Situation in der Behörde als „Terminlotterie“ beschrieben mit gravierenden
Folgen für diejenigen, die keine Termine buchen können. Die reichen vom
Verlust des Arbeitsplatzes bis zu Schwierigkeiten bei der Beantragung von
Sozialleistungen. Hopfmann forderte daher strukturelle Verbesserungen bei
dem Amt, [1][das mit dem Jahreswechsel auch für Einbürgerungen zuständig]
geworden ist.
In der Antwort an Hopfmann bedauern Senat und Petitionsausschuss zwar die
Probleme von nichtdeutschen BerlinerInnen, keinen Termin für die
Verlängerung ihres Aufenthaltstitels buchen zu können. Doch sie sind
zuversichtlich, dass mittelfristige Lösungen greifen: In diesem Jahr sollen
im LEA 28 neue sowie weitere befristete Stellen geschaffen werden. Und wer
auf der Onlineplattform keinen Termin buchen kann, könne das in dringenden
Fällen auch über ein Kontaktformular tun.
Die taz hat das getestet: Auf der Webseite ist das Kontaktformular nur
schwer zu finden – wer schlecht Deutsch spricht und wenig Interneterfahrung
hat, hat keine Chance. Vor der Behörde wird an Menschen, die vergeblich
Einlass begehren, dieses Kontaktformular nicht ausgegeben. Sie werden nur
abgewiesen. Für drei Männer hat die taz das Kontaktformular genutzt. Das
Ergebnis: Ein Mann erhielt tatsächlich nach vier Tagen einen Termin für
Mitte Januar zugeschickt. Bei einem zweiten Mann tat sich nichts. Da ihm
die Kündigung seines Jobs drohte, hat sich die taz für ihn an die
Pressestelle der Behörde gewandt – eine Möglichkeit, die Antragsteller
normalerweise nicht haben. Da bekam er endlich einen Termin.
## Kein Aufenthaltstitel: Kündigung
Ein dritter Mann wartete über eine Woche vergeblich darauf, einen über das
Formular beantragten Termin zugeschickt zu bekommen. Sein Arbeitgeber hat
ihm deshalb das Auslaufen des Arbeitsvertrages nach Ablauf der Probezeit
angekündigt. Das ist kein bösartiges Verhalten des Arbeitgebers, denn
gesetzlich ist es Firmen untersagt, Menschen ohne gültigem Aufenthaltsrecht
zu beschäftigen.
Verschärft wird die Situation, weil Onlineplattformen mit eigens dafür
geschaffener Software frei geschaltete Termine abgreifen und diese für 50
Euro verkaufen, [2][wie die taz aufgedeckt hat]. Der Mann mit dem
Brandenburger Arbeitgeber hat sich schließlich entschlossen, auf diese
Weise einen Termin beim LEA zu bekommen. Im Innenausschuss hatte
Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) gesagt, es gäbe keine
rechtliche Handhabe, gegen solche Firmen vorzugehen, die Terminbuchungen
für andere Personen vornehmen. „Das sind keine kriminellen Machenschaften.“
Den grünen Abgeordneten Jian Omar empört das. „Es ist ein Skandal, dass
Plattformen mit Terminen handeln, die eigentlich kostenlos wären. Es ist
ein weiterer Skandal, dass der Staat hier kapituliert,“ sagte er der taz.
Hochgrebe will für das Problem technische Lösungen anbieten. Durch sie soll
erkannt werden, ob ein Computer beziehungsweise Bot oder ein Mensch den
Termin bucht. Diese Lösung kann man allerdings mit neuem technischen
Aufwand wieder umgehen.
Bei Berliner Behörden hat sich die Terminnot beim Landesamt für
Einwanderung zwischenzeitig herumgesprochen, so dass die Beantragung von
Sozialleistungen und die Vergabe von Wohnberechtigungsscheinen inzwischen
meist funktionieren, auch wenn eine Aufenthaltserlaubnis nicht mehr aktuell
ist. Aber nicht immer, wie Manfred Nowak von der Arbeiterwohlfahrt (AWO)
berichtet, die mehrere Flüchtlingswohnheime betreibt. „Teilweise werden
Geldleistungen beim Landesamt für Flüchtlinge dann nicht gezahlt.“
## Vieles geht nicht
Noch schwieriger reagieren Bundesbehörden und private Unternehmen. Das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beispielsweise bewilligt
Integrationskurse nur an Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels. Eine
erfolgte Terminbuchung, mit der das Aufenthaltsrecht bis zum gebuchten
Termin als verlängert gilt, reicht dafür nicht aus.
Nowak von der AWO berichtet auch, dass Flüchtlinge mit abgelaufenen
Ausweisdokumenten keine BVG-Kundenkarte erhalten würden und darum kein
Sozialticket für den Nahverkehr kaufen könnten. Die Folge seien „teilweise
aus der Not heraus Schwarzfahrten“.
Es gibt weitere Folgen für nichtdeutsche BerlinerInnen: Sie können ohne
gültigem Aufenthaltsrecht nicht verreisen. Der taz ist ein Fall bekannt, wo
im Land Brandenburg ein Mann ohne gültiges Aufenthaltsrecht mit einer
Geldbuße belangt und nach Berlin zurückgeschickt wurde. Der grüne
Abgeordnete Omar zählt weiter auf, was er in seiner
Abgeordnetensprechstunde hört: „Man kann ohne Aufenthaltsrecht keine
Wohnung mieten. Zieht man bei einem Partner ein, der das Problem nicht hat,
kann man sich dort nicht anmelden. Dadurch wiederum kann man kein
49-Euro-Ticket kaufen. Heiraten ist nicht möglich. Verträge wie
beispielsweise ein Handyvertrag können nicht abgeschlossen werden.“
Nguyen Huu Thanh, Dolmetscher für Vietnamesisch, berichtet, dass selbst
gerichtlich bestellte Betreuer, für die er übersetzt, keine Termine für
psychisch kranke Menschen buchen könnten. Das behindere deren medizinische
Versorgung. Eine Dolmetscherkollegin von ihm, die ihren Namen nicht nennen
will, sagt hingegen: „Ich weiß gar nicht, worin das Problem besteht. Meine
Klienten bezahlen für die Termine bei Anbietern im Internet. Sie sind es ja
aus Vietnam gewohnt, dass man Behördenleistungen nur gegen Schmiergeld
bekommt und sehen das als normal an.“
## LEA soll aktiv Termine vergeben
Die frühere Linken-Abgeordnete Karin Hopfmann ist enttäuscht über die
Antwort auf ihre Petition. „In der Innenverwaltung wird die missliche Lage
zwar nicht verkannt, den politisch Verantwortlichen sind der Umfang der
konkreten Folgen für MigrantInnen und Geflüchtete hier und heute aber
ziemlich egal.“ Hopfmann bezweifelt zudem, dass es dem LEA gelingt,
genügend qualifizierte BewerberInnen für die neuen Stellen zu finden.
Aus der Sicht von Jian Omar decken die geplanten zusätzlichen Stellen bei
Weitem nicht den Bedarf. „Im Frühjahr müssen die UkrainerInnen zu Tausenden
ihren Aufenthalt verlängern. Zudem muss in Kürze das beschlossene
Fachkräfteeinwanderungsgesetz umgesetzt werden. Aber ohne einen
Aufenthaltstitel dürfen die ins Land geholten Fachkräfte nicht arbeiten.“
Er fordert in einem parlamentarischen Antrag, dass das LEA in
Eigeninitiative Termine an Menschen verschickt, deren befristeter
Aufenthaltstitel abläuft. „Diese Daten hat das LEA.“ Das wäre zwar für d…
Großteil der Terminsuchenden eine Lösung. Wer aber neu nach Berlin kommt
oder wer nach Studienende oder Heirat Anspruch auf einen anderen
Aufenthaltstitel hat, muss dennoch Terminlotterie spielen.
1 Jan 2024
## LINKS
[1] /Einbuergerung/!5975569
[2] /Landesamt-fuer-Einwanderung-in-Berlin/!5967790
## AUTOREN
Marina Mai
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