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# taz.de -- Landesamt für Einwanderung in Berlin: Das Geschäft mit der Termin…
> Dubiose Start-ups haben einen neuen Markt erschlossen: das wohl
> bot-basierte Abgreifen und Verkaufen der raren Termine des
> Landeseinwanderungsamts.
Bild: Für nicht wenige Betroffene ein Ort des Schreckens: Das Landesamt für E…
Berlin taz | Für das Online-Geschäftsmodell, das darauf basiert, ein
öffentlich verfügbares und kostenloses Gut zu Geld machen, wurde schon vor
Jahren ein treffender Begriff geprägt: Jerk-Tech, also Arschloch-Tech. Das
berühmteste Beispiel ist dafür der florierende Handel mit den raren
Terminen in Berlins Bürgerämtern. Nun hat das Phänomen nach
taz-Informationen auch das Landesamt für Einwanderung (LEA) erreicht.
Zu wenig Personal für zu viele Fälle, dazu ein
Online-Terminbuchungsverfahren, [1][das als Totalausfall gilt]: „Die
Behörde steht am Limit und eine Terminbuchung gleicht einem Lottogewinn“,
sagt Jian Omar, Sprecher für Migration und Flucht der Grünen-Fraktion im
Abgeordnetenhaus, zur taz.
Das Amt selbst weiß nur zu gut um die „anhaltende Terminknappheit“. Auf
taz-Nachfrage teilt das LEA mit, dass „es aktuell Wartezeiten auf einen
regulären freien Termin von bis zu sechs Monaten“ gebe. Und die Termine,
die täglich online bereitgestellt würden, seien stets „binnen kürzester
Zeit ausgebucht“. Man sei, wie alle für die Umsetzung des Aufenthaltsrechts
zuständigen Verwaltungen, eben „extrem belastet“, heißt es aus der
Ausländerbehörde.
Nun steht das Terminvergabe-System des sich selbst als
[2][Willkommensbehörde] bezeichnenden Landesamts schon länger in der
Kritik. So sei es ein Unding, so Grünen-Politiker Omar, „dass mehrere
Termine von einer Person gleichzeitig gebucht werden können“. Er spricht
mit Blick auf das Online-Verfahren von „gravierenden technischen
Defiziten“.
## „Jetzt für nur 50 Euro“
Genau diese Defizite sind es letztlich, die inzwischen mehrere Start-ups
auf den Plan gerufen haben, die aus der zum Teil verzweifelten Terminsuche
Profit schlagen. Die Website appointmentsberlin.com etwa verspricht,
Termine beim LEA innerhalb von einer bis maximal drei Wochen zu
organisieren – „jetzt für nur 50 Euro“.
Das Verfahren ist simpel: Man meldet sich über ein Onlineformular mit
verhältnismäßig wenigen Angaben an und bekommt eine Bestätigungsmail, in
der darauf hingewiesen wird, dass die Vorauszahlung „nicht zwingend
erforderlich“ ist. „Aber Kunden, die uns im Voraus bezahlen, haben Vorrang
vor anderen.“ Letzteres sei rasch „über den untenstehenden Link“ erledig…
Visa-Karte, Paypal oder Überweisung auf das Konto eines
Online-Geldtransfer-Services in Brüssel, kein Problem. Empfehlenswert für
alle, die „es eilig haben“, heißt es.
Und bei der [3][Ausländerbehörde] haben es eigentlich alle eilig, die einen
Aufenthaltstitel beantragen oder verlängern müssen. „Ohne gültigen
Aufenthalt können sie nicht verreisen, keine Ansprüche geltend machen und
keine Arbeit aufnehmen“, sagt Jian Omar. Die Menschen „befinden sich in
einer frustrierenden, ohnmächtigen Warteschleife, die ihre Rechte und
Möglichkeiten in Deutschland massiv einschränkt“.
Auch Martina Mauer vom Flüchtlingsrat Berlin nennt es „absolut
inakzeptabel“, dass Leistungsbehörden ihre Zahlungen einstellen, Menschen
ihre Arbeit oder ihre Wohnungen verlieren, nur weil das zuständige Amt mit
der Verlängerung der Aufenthaltsdokumente nicht hinterherkommt. Dass sich
angesichts der Not ein Markt für kommerziellen Terminhandel entwickelt
habe, wundere sie nicht.
„Wir kennen viele Menschen, die extra Anwält:innen beauftragen, um einen
Termin beim Landeseinwanderungsamt zu erhalten“, berichtet Mauer der taz.
„Das ist am Ende vergleichbar, denn die Anwält:innen müssen auch bezahlt
werden.“ Ob Anwält:innen oder Jerk-Tech: Es sei „ein Skandal, dass die
Praxis des LEA den betroffenen Menschen kaum mehr eine andere Wahl lässt,
als Geld für die Terminvermittlung zu zahlen“.
## Ein Impressum gibt es nicht
Wie viele Termine letztlich über Online-Anbieter verscherbelt werden, lässt
sich nicht sagen. Bei einem Besuch der taz beim LEA am
Friedrich-Krause-Ufer in Moabit wollte zwar niemand zugeben, den heiß
begehrten Termin gegen Geld erhalten zu haben, dass es das Angebot gibt,
ist jedoch bekannt.
Wer genau hinter den diversen Webseiten steckt, ist unklar. Ein Impressum
gibt es nicht. Die Anbieter operieren vom Ausland aus, heißt es vom LEA.
Mehr wisse man nicht. Auch die Frage, wie genau die wenigen zeitnahen
freien Termine sofort abgegriffen werden können, kann man nicht
beantworten: „Dem LEA ist nicht bekannt, ob der Betreiber sich dabei einer
bot-basierten Software zur automatisierten Terminbuchung bedient oder
Arbeitskräfte aus einem Niedriglohnland zur manuellen Terminbuchung
einsetzt.“
Rechtlich könne man dagegen auch nichts unternehmen, heißt es weiter: „Nach
juristischer Prüfung des LEA ist es grundsätzlich nicht strafbewehrt, wenn
kommerzielle Drittanbieter gegen ein Entgelt die Suche nach freien Terminen
und das Buchen von Terminen in der Online-Terminvereinbarung des LEA
übernehmen.“
## Technische Maßnahmen werden überwunden
Jian Omar will sich mit dem Achselzucken der Behörde nicht zufriedengeben.
Das Geschäft mit der Not der Menschen ist für den Grünen-Politiker ein
„absoluter Skandal“. „Ich erwarte, dass die Innenverwaltung und das
Landesamt für Einwanderung umgehend tätig werden und gegen diese dubiosen
Machenschaften vorgehen“, sagt Omar. Der Terminhandel müsse umgehend
gestoppt werden.
Auch hier streckt das LEA allerdings die Waffen. Man versuche, dem Phänomen
„laufend“ mit technischen Maßnahmen zu begegnen. Es sei aber „leider
festzustellen, dass die technischen Maßnahmen nach einiger Zeit wieder
überwunden werden“.
Für „eilbedürftige Fälle“, die auch ohne Zahlung von 50 Euro an suspekte
Start-ups im Ausland „bevorzugt und auch zeitnah bedient werden“ wollen,
hat das Amt dann auch noch einen Tipp: „In den Kontaktformularen des LEA
gibt es dafür eine Rubrik ‚eiliger Termin/Notfall‘.“ Sofern denn die
Terminbuchungsseite überlastungsbedingt nicht gerade mal wieder ausgefallen
ist.
22 Oct 2023
## LINKS
[1] /Landesamt-fuer-Einwanderung/!5953063
[2] /Berlin-hat-jetzt-ein-Einwanderungsamt/!5654264
[3] /Antidiskriminierung-bei-Behoerden/!5950767
## AUTOREN
Rainer Rutz
## TAGS
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