| # taz.de -- Geflüchtete aus der Ukraine: Krise, welche Krise? | |
| > Die Situation ähnelt der „Flüchtlingskrise“ von 2015. Doch die Debatte | |
| > über ukrainische Geflüchtete verläuft anders. Der Grund dafür ist | |
| > Rassismus. | |
| Bild: Geflüchtete aus der Ukraine werden wesentlich besser behandelt, als Gefl… | |
| Was für einen Unterschied die Herkunft geflüchteter Menschen doch macht! | |
| Deutschland sieht sich zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit einer großen | |
| Fluchtbewegung konfrontiert. Doch es geht damit völlig anders um als beim | |
| letzten Mal. Bis vor einem Jahr lautete das Mantra noch, „2015“ dürfe sich | |
| nicht wiederholen. Nun erleben wir mit der Massenflucht aus der Ukraine | |
| eine vergleichbare Krise wie zwischen 2014 und 2016, als Hunderttausende | |
| vor den Kriegen in Syrien, Irak und Afghanistan nach Europa flohen. Aber | |
| niemand kritisiert, Scholz habe „die Grenzen geöffnet“, oder zieht in | |
| Zweifel, dass ihre Aufnahme grundsätzlich „zu schaffen“ ist. Niemand | |
| fordert eine „Obergrenze“ für Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht einmal v… | |
| einer „Flüchtlingskrise“ ist die Rede – und das, obwohl allein aus der | |
| Ukraine schon jetzt mehr neue Flüchtlinge in Deutschland gezählt wurden als | |
| zwischen 2014 und 2016 zusammen. | |
| Gewiss: Auch jetzt ächzen [1][Städte und Kommunen] unter dem [2][Andrang so | |
| vieler Menschen], die Schutz und ein Dach über den Kopf brauchen. Auch | |
| jetzt lud die Regierung deshalb wieder zu einem „Flüchtlingsgipfel“, wo um | |
| Geld und die gerechte Verteilung von Geflüchteten gestritten wurde. Und | |
| auch jetzt regt sich mancherorts Unmut und rechter Protest. Aber im | |
| Vergleich zu 2015 verläuft die Debatte vernünftig, rational und gesittet – | |
| ganz anders als zwischen 2014 und 2016, als Gewalt und Untergangsstimmung | |
| herrschten. Damals hetzte die rechtsradikale Pegida-Bewegung auf den | |
| Straßen gegen „Bahnhofsklatscher“ und „Invasoren“. Mehr als Tausend | |
| Angriffe auf Flüchtlingsheime registrierten die Behörden 2015, im Jahr | |
| darauf nochmals genauso viele. | |
| Namhafte Publizisten wie Rüdiger Safranski warfen der Regierung vor, | |
| Deutschland mit Flüchtlingen zu „fluten“. Der damalige Bundespräsident | |
| Joachim Gauck salbaderte, unsere Herzen seien zwar weit, doch unsere | |
| Möglichkeiten begrenzt. Und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo | |
| [3][entschuldigte sich quasi dafür, dass die Medien anfangs zu viel | |
| Mitgefühl gezeigt hätten]. | |
| Jetzt, wo noch mehr Flüchtlinge als damals in Deutschland Zuflucht suchen, | |
| nur diesmal aus der Ukraine, sind diese Stimmen verstummt. Selbst der | |
| spärliche Rest der Pegida-Bewegung demonstrierte zum Jahrestag des | |
| russischen Angriffs auf die Ukraine nur noch für „Frieden“ und hetzte nicht | |
| gegen die Menschen, die von dort flüchten. | |
| Es ist nun nicht so, dass Menschen aus der Ukraine keinen Rassismus kennen | |
| würden. Vorbehalte gegen Osteuropäer*innen haben in Deutschland eine | |
| lange Tradition. Noch im Jahr 2004 musste sich die damalige rot-grüne | |
| Bundesregierung von der CSU vorwerfen lassen, „Schwarzarbeit, Prostitution | |
| und Menschenhandel“ begünstigt zu haben, weil sie die Visa-Vergabe für | |
| Ukrainer*innen erleichtert hatte. Seit 2017 dürfen ukrainische | |
| Bürger*innen sogar visumsfrei nach Europa reisen. | |
| Die geopolitische Lage ist der Grund dafür, dass sich der Wind gedreht hat. | |
| Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres gehört die Ukraine zu Europa, wenn | |
| man der offiziellen Rhetorik glauben mag. Auf Grundlage der | |
| „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU dürfen Flüchtlinge von dort seit dem 3. | |
| März 2022 frei nach Europa reisen. Dieser humanitären Willkommenskultur | |
| möchten sich nur wenige verschließen. Und anders als 2015, als die | |
| Hilfsbereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung nur anfangs sehr groß | |
| war, ist die positive Stimmung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine auch | |
| nach einem Jahr noch fast immer ungetrübt. | |
| Natürlich spielt es eine Rolle, dass vor allem Frauen und Kinder nach | |
| Deutschland kommen und sie vor einem Krieg in der Nähe fliehen. Aber der | |
| Hauptgrund, warum sie anders aufgenommen werden als viele Flüchtlinge vor | |
| ihnen, ist schlicht: Rassismus. Nirgendwo zeigt sich das so krass wie im | |
| Nachbarland Polen. 2015 wehrte sich Polen strikt dagegen, nur ein paar | |
| Tausend Flüchtlinge aufzunehmen, und wollte höchstens Christen Asyl | |
| gewähren. Noch im Herbst 2021 verhängte die Regierung an ihrer Ost-Grenze | |
| den Ausnahmezustand, weil dort ein paar Tausend Menschen aus dem Irak und | |
| Afghanistan campierten, die aus Belarus nach Europa gelangen wollten. Nun | |
| hat Polen in kurzer Zeit über 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine | |
| aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Polen kann also, wenn | |
| es will. Plötzlich ist es auch okay, dass Flüchtlinge einfach von dort aus | |
| weiterziehen, wohin sie wollen. Ukrainische Staatsbürger*innen dürfen | |
| sich frei in Europa bewegen und niederlassen. Selbst Ungarn, Tschechien | |
| oder Dänemark, die Flüchtlinge bisher mit Schikanen oder gar Stacheldraht | |
| abschreckten, nehmen jetzt Ukrainer*innen auf. | |
| Im Rückblick lässt sich deshalb sagen, dass Europa 2015 nicht von einer | |
| „Flüchtlingskrise“ erschüttert wurde, sondern von einer Rassismuskrise. | |
| Denn für die Fähigkeit, Flüchtlingen Schutz zu bieten, gibt es keine | |
| objektiven Grenzen. Doch Flüchtlinge aus der Ukraine werden heute gegen | |
| andere Flüchtlinge ausgespielt. Da kann Innenministerin Nancy Faeser noch | |
| so sehr betonen, es dürfe keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse | |
| geben. | |
| De facto gibt es sie, und die Bundesregierung sorgt dafür, dass es auch so | |
| bleibt. Während die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine zeigt, wie | |
| unbürokratisch es gehen könnte, müssen Flüchtlinge aus anderen Ländern | |
| weiter langwierige Asylverfahren durchlaufen, werden mit Auflagen | |
| schikaniert und an Europas Grenzen systematisch davon abgehalten, hier | |
| Schutz zu suchen. Auf dem Mittelmeer sterben deshalb fast täglich Menschen. | |
| Deutschland trägt eine Mitschuld an diesen Zuständen. Verkehrsminister | |
| Volker Wissing will die Seenotrettung aus Deutschland sogar noch | |
| erschweren. Dieses selektive Mitgefühl ist ein Skandal. Ein | |
| Zwei-Klassen-Asyl widerspricht den Werten, für die Europa sich so gerne | |
| rühmt. | |
| 21 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ukrainisches-Leben-in-Dresden/!5917131 | |
| [2] /Kommune-im-Harz-sieht-sich-ueberfordert/!5912615 | |
| [3] https://www.cicero.de/innenpolitik/medien-ueber-die-grenzoeffnung-wir-waren… | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
| ## TAGS | |
| antimuslimischer Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Mittelmeer | |
| Flüchtlinge | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| 2015 | |
| Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine | |
| Die Linke | |
| Nancy Faeser | |
| Nancy Faeser | |
| Friedrich Merz | |
| Inflation | |
| USA | |
| Polen | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Friedrich Merz | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ukrainische Geflüchtete: Die letzten Meter der Flucht | |
| Zwei Jahre nach Kriegsbeginn in der Ukraine kommen immer noch Geflüchtete | |
| an. Am Bahnhof warten ein paar Freiwillige auf sie. | |
| Geflüchtete in Deutschland: Mehr Menschen erhalten Schutzstatus | |
| In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Schutzsuchenden | |
| versechsfacht. Aber sie treffen auf eine menschenrechtlich verbesserte | |
| Lage. | |
| Nancy Faesers Asyl-Vorstoß: Besänftigung für die Kommunen | |
| Was Innenministerin Nancy Faeser fordert, ist längst EU-Recht. Ihr geht es | |
| allein um innenpolitische Profilierung. | |
| Versorgung von Geflüchteten: Städtetag fordert Hilfen vom Bund | |
| Es fehlen Wohnungen, Kita- und Schulplätze sowie Personal für die | |
| Integration von Geflüchteten. Die Kommunen pochen auf mehr Geld vom Bund. | |
| Flüchtlingsgipfel der Union: „Die Luft brennt“ | |
| Beim Flüchtlingsgipfel der Union sparen Lokalpolitiker*innen nicht | |
| mit Katastrophen-Rhetorik. Die Lage scheint drastisch in den Kommunen. | |
| Schätzung zur Preisentwicklung: Inflationsrate fällt im März | |
| Laut einer Schätzung hat sich der Preisanstieg etwas verlangsamt. Im | |
| Vorjahresvergleich liegt die Teuerungsrate nun wohl bei 7,4 Prozent. | |
| US-Angriffe in Syrien: Mindestens elf Tote bei US-Angriff | |
| Nach einer Drohnenattacke greift das US-Militär pro-iranische Stellungen in | |
| Syrien an. Der IS tötet 15 Trüffelsucher. | |
| Flüchtlinge zweiter Klasse in Polen: Tod oder Klaviermusik | |
| Polen bekommt für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge viel Lob. Doch | |
| Menschen aus anderen Ländern müssen die Grenze fürchten. Zara will trotzdem | |
| helfen. | |
| BIPoCs aus der Ukraine: Aufschub für Studenten-Flüchtlinge | |
| Drittstaatler*innen, die aus der Ukraine flüchten mussten, bekommen in | |
| Berlin mehr Zeit, um ihr Bleiberecht zu verfestigen. Doch es gibt viele | |
| Hürden. | |
| Regierungserklärung des Bundeskanzlers: Europäischen Geist beschworen | |
| Kanzler Scholz wirbt in seiner Regierungserklärung für Zusammenhalt. | |
| Koalitionäre Streitthemen spart er aus. CDU-Chef Merz übernimmt das für | |
| ihn. | |
| Ukrainisches Leben in Dresden: Aneinander vorbei | |
| In Dresden verläuft ein Riss zwischen integrativ denkenden | |
| Sowjetnostalgikern und Geflüchteten aus der Ukraine. Auch die Stadtbewohner | |
| sind gespalten. |