Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ukrainisches Leben in Dresden: Aneinander vorbei
> In Dresden verläuft ein Riss zwischen integrativ denkenden
> Sowjetnostalgikern und Geflüchteten aus der Ukraine. Auch die
> Stadtbewohner sind gespalten.
Bild: Ukrainische Aktivistinnen vor prorussischer Demo: AfD und Pegida am 24.2.…
Ein gutes Jahr nach dem russischen Überfall fällt es in einer
Halbmillionenstadt wie Dresden nicht leicht, eine ukrainische Community zu
identifizieren. Schon der erste Anlaufpunkt scheint sich zu verstecken.
Unweit vom Bahnhof Mitte, gegenüber dem wuchtigen historischen
Gewerkschaftshaus, fallen an einem der gesichtslosen Nachwendebürohäuser
Schilder des Kolibri e. V. kaum auf.
Dabei wuselt es dort ständig auf der Treppe und erst recht auf den engen
Fluren des Kinder- und Elternzentrums. Ruhepunkte zwischen
Unterrichtsräumen, Bibliothek und Büro bilden die wartenden Mütter, während
ihre Zöglinge in den Räumen elementaren Vorschulunterricht, Sprachkurse
oder musisch-künstlerische Ausbildung erhalten. Sie sprechen gedämpft,
meist auf Russisch oder Ukrainisch.
Der bunte Eindruck im Büro, wo Souvenirs aus aller Welt neben ukrainischen,
russischen oder deutschen Fähnchen stehen, verstärkt sich hinter den
anderen Zimmertüren. Derzeit proben alle ganz speziell für ein gemeinsames
Fest, also einen „Prasdnik“ am 11. März, [1][das Vereinigungsfest eines
Vereins] über alle Unterschiede hinweg.
Im Musikzimmer ist eine Kindergruppe etwa im Schulanfängeralter um das
Klavier versammelt. Der Kommandoton, mit dem sie dirigiert werden, erinnert
an den in sowjetischen Schulen und auch an Musikschulen üblichen Drill.
## Die gute alte Zeit in der SU
Doch dann überrascht der Text: „Ukraina nasha mati – Ukraine, unsere
Mutter“ klingen die von einem sonoren Bass geführten Kinderstimmchen. Ein
patriotisches ukrainisches Lied im Marschtritt! Der 73-jährige Musiklehrer,
Pianist und Komponist aus Kyjiw hält für den Nachwuchs im Exil die
Heimatbindung aufrecht.
Eine Tür weiter, bei der Sprachlehrerin Olga, wartet der Kontrast. Eben
noch hatte ihre für die Vorschulkinder tätige Kollegin energisch den Kopf
geschüttelt, als sie nach möglichen Spannungen mit Kindern
deutsch-russischer Spätaussiedler und jüdischer Kontingentflüchtlinge
gefragt wurde. „Es gibt keine Spaltung, wir sprechen alle Russisch!“
Auch Olga spaltet nicht, zeigt aber auf, welche Breite von Prägungen
Kolibri ausbalancieren muss. Sie berichtet von einem kleinen ukrainischen
Mädchen, das im Vorjahr von seinen geflohenen Eltern gebracht wurde. Als es
erfuhr, dass andere Kinder hier russische Eltern haben, entfuhr es ihm:
„Ich hätte sie getötet!“ Das Mädchen blieb künftig fern. Olga hat sogar
Verständnis dafür, dass Kinder in diesem Alter nicht nur ihre Eltern
verteidigen, sondern auch das, was sie von ihnen hören.
Dieser Hass aber entsetzt sie auch, und zwar aus einem bestimmten anderen
Grund. „In der Sowjetunion gab es in meiner Jugendzeit keinen Unterschied
nach Herkunft!“ Im Jahr 2000 kam sie aus Kasachstan mit ihrem russischen
Mann nach Deutschland. Ihr Vater war Ukrainer, die Mutter deutschstämmig
aus einem Dorf bei Luhansk. Und ihr Sohn ist mit einer belarussischen Frau
verheiratet.
## Unerträgliche Putin-Bewunderung
Der früher einigenden oder vereinheitlichenden Zeit trauert sie nach.
„Sollen wir uns jetzt mit Messern zerschneiden?“ Dass Putin und sein Regime
selbst für eine neue Todfeindschaft zwischen ehemaligen Brudervölkern
gesorgt haben, kommt ihr nicht in den Sinn.
Was sie als „Blick von der Seite“ einer Besserverstehenden bezeichnet, ist
vielmehr unüberhörbare Putin-Verehrung. Er habe versucht „zusammenzuhalten,
was in den 1990ern in Fetzen gerissen wurde“. Das sei für Russland gut.
„Putin ist schon ein Krieger“, sagt sie bewundernd.
Nach der russischen Invasion in der Ukraine haben wegen ähnlicher
Einlassungen einzelne deutsche Eltern ihre Kinder bei Kolibri wieder
abgemeldet, obschon viele, wie ein Vater, von den „wirklich wunderbaren
Lehrkräften“ speziell im Russischunterricht begeistert waren. „Die
Diskussionen und Äußerungen zu Putin unter den Eltern sind für uns nicht
länger zu ertragen“, sagte der Vater damals.
Der Geist von Kolibri pegelt solche Spannungen aus. Im Tanzsaal zum
Beispiel, wo die schon etwas Größeren eine poppige Choreografie zu Musik
von Michael Jackson und damit dessen Hüftknick proben. Die junge Leiterin
der Tanzgruppe kommt wie fünf der zwölf Kinder aus der Ukraine.
## Es gibt nicht nur eine Identität
„Der Umgang mit Menschen, die Kinder sind uns das Wichtigste“, bekräftigt
mit der ihr eigenen Vehemenz die Vereinsvorsitzende und Musiklehrerin
Galina Jefremova. Längst ist sie eine vitale Rentnerin, aber auf sie geht
hier eine künstlerische Jugendgruppe zurück, die zunächst beim
Deutsch-Russischen Kulturinstitut wenig gefördert worden war.
Auch von der [2][Stadt Dresden] gab es anfangs nur ein paar Tausend Euro,
bis Kolibri ein Domizil fand, sich etablierte und heute mit deutlich
höheren Summen gefördert wird. So wirksam, dass das Begegnungszentrum ab
dem kommenden Jahr in das Kulturkraftwerk Mitte umziehen und zum Träger der
Villa der Kulturen avancieren wird.
Jegliche Polarisierung würde die integrativen Intentionen dieses
Begegnungszentrums konterkarieren. „Menschen besitzen nicht nur eine
Identität“, lautet ein Leitsatz von Geschäftsführerin Kristina Daniels. Die
in Belgrad geborene promovierte Slawistin und Osteuropahistorikerin wuchs
in Süddeutschland auf und hat viele Jahre sowohl in Moskau als auch in
Kyjiw gearbeitet. „Politik und Religion stehen nicht im Vordergrund, aber
wir positionieren uns klar gegen diesen Krieg“, ergänzt sie.
„Wer soll jetzt der oder die Schlechte sein?“, fragt Galina Yefremova, die
selbst eine sehr mehrdeutige Herkunft hat: Geboren als Jüdin in Russland
und ab dem ersten Lebensjahr in der Ukraine aufgewachsen, ist auch ihre
Identität nicht eindimensional.
## Der Traum von der Goldenen Generation
Kolibri versucht Ähnliches wie die Jüdische Gemeinde zu Dresden, mit der es
wegen der Kontingentflüchtlinge eine enge Verbindung gibt. Schon seit 2014
gleicht man dort die Spannungen zwischen Ukrainern und Russen durch die
Besinnung auf das gemeinsame Judentum aus, seit einem Jahr auch durch die
gemeinsame Hilfe für Flüchtlinge.
Entsprechend werden die beiden Damen der Leitung nicht müde, auf die
Vielfalt und Internationalität von Kolibri zu verweisen. Afrikanische
Männer kämen her, um Russisch zu lernen, weil sie in eine Russin verliebt
sind. Es gebe indonesische, afghanische oder iranische Gruppen.
Die Jugendfilmgruppe hat einen vielbeachteten 40-minütigen Spielfilm über
latenten Antisemitismus im Schulalltag gedreht. Einer der Hauptdarsteller
ist Malik, Sohn tschetschenischer Flüchtlinge. „Wir arbeiten für die
Zukunft des Landes, für eine Goldene Generation, die viele Sprachen
spricht“, schwärmt Galina Yefremova.
Unter den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern sind integrative
Ausgleichsbemühungen verständlicherweise seltener anzutreffen. Ausgerechnet
am 7. November, an dem nach dem Gregorianischen Kalender die Sowjetunion
den Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1917 feierte,
eröffnete im Vorjahr ein [3][Ukrainisches Haus in Dresden].
## Ukrainisches Haus im Keller
Ein wenig hoch gegriffen wirkt die Bezeichnung für den großen Raum plus
Vorraum im Souterrain, zusammen etwa 200 Quadratmeter. An der Decke
verlegte Kabel- und Lüftungskanäle verstärken den Kellereindruck. Wie ein
Raumteiler wirkt ein Regal mit etwa 400 ukrainischen Büchern für jedes
Alter. An den Wänden hängen Collagen, Symbole der Zerrissenheit.
Dafür kann dieser neue Ukrainetreff mit umso noblerer Lage glänzen. Im
Untergeschoss des QF-Einkaufsquartiers an der Frauenkirche gelegen, soll es
erklärtermaßen auch der Begegnung mit Dresdnern dienen. Das Management des
Einkaufscenters stellt die Räume vorerst kostenfrei bis Oktober 2023 zur
Verfügung. Die Stadt übernimmt für ein Jahr die Betriebskostenpauschale von
monatlich 1.300 Euro netto. Nur den elektrischen Strom muss der
Trägerverein Plattform e. V. selbst bezahlen.
Doch dessen Wirken hier unten beobachten zu können, erweist sich als
schwierig. Immerhin waren zum Jahreswechsel 8.861 Ukrainer in Dresden
registriert. Die Glastüren des Ukrainischen Hauses aber bleiben meistens
geschlossen. Nur alle paar Tage öffnen sie sich für einen Entspannungskurs
oder einen bildkünstlerischen Workshop. Man kann dann junge Frauen
beobachten, die einzeln ankommen, insgesamt kaum mehr als zehn. Deutsch
spricht keine von ihnen.
Dafür geht es zwei Tage vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns beim
deutsch-ukrainischen Stammtisch umso lebhafter zu. Etwa 40 Gäste jeden
Alters sind gekommen. Bei der Einzelvorstellung stellt sich heraus, dass
sie fast paritätisch zuzuordnen sind. Nach zweisprachiger Moderation finden
sich die Gäste an fünf Tischen bei einem Pappbecher Bier oder Saft ein. Die
Stimmung bleibt aber gedämpft und tendiert eindeutig contra Russland,
obschon einige Teilnehmer schon vor vielen Jahren aus der Ukraine gekommen
waren.
## Steht Putin in zehn Jahren vor Berlin?
Nadija zum Beispiel, um die vierzig, winkt nur ab, wenn sie von der Trauer
über die aufgelöste Sowjetunion hört. „Die Sowjetunion war eine Illusion�…
meint sie mit Blick auf die seit 1922 immer schwelende Nationalitätenfrage.
Sie kann sich wie alle Geflohenen hier überhaupt nicht über konkrete
deutsche Hilfsbereitschaft beklagen, obschon die Sachsen zuerst für
billiges Gas demonstrierten. Sie lebt bei Freunden im 20 Kilometer
entfernten Dippoldiswalde.
Gert, ein Ingenieur, der mit seiner Firma länger als ein Jahrzehnt Kontakte
mit der Ukraine pflegt, hat schon vor der Krim-Annexion eine bestimmte
Stimmung dort erlebt: „Putin kommt, es ist nur die Frage, wann.“ Die
Fernsehauftritte eben dieses Putin beobachtet er genau, insbesondere dessen
Körpersprache. „Ich frage mich, ob wir in zehn Jahren nicht vor demselben
Problem stehen wie die Ukraine“, [4][orakelt er] und denkt dabei an
russische T72-Panzer, auf denen „Nach Berlin“ steht.
Hellwach spricht die 31-jährige Alexa, die hier von einer Modelagentur
angeworben wurde. Zu Hause, im mittlerweile russisch besetzten Donbass, saß
sie an leitender Stelle einer Oblastverwaltung. „Bei Rückkehr droht mir der
Tod“, muss sie eine Träne unterdrücken. Gern würde sie auch hier zum
Beispiel in der Staatskanzlei arbeiten.
Auch Alexa lobt geradezu überschwänglich die sächsische Hilfsbereitschaft
und lässt sich davon nicht durch die russlandfreundlichen Demonstrationen
abbringen. Ungeachtet gesellschaftlicher Zerrissenheit imponiert ihr hier
besonders die funktionierende Ordnung, kein Einzelfall unter Flüchtlingen.
## Ein Abbild der ukrainischen Gesellschaft
Ratlos und kopfschüttelnd aber reagiert Alexa, als sie von den Animositäten
zwischen Plattform e. V. und dem Kolibri-Begegnungszentrum erfährt. Auch
das zu Plattform gehörende Ukrainische Koordinationszentrum rückt den
Interkulturellen Verein in die Nähe Moskaus.
Der lange Arm des Krieges hat offenbar ein Umgangsproblem radikalisiert,
das lange kein offenes mehr war. Ein schwelendes Misstrauen zwischen denen,
die den integrativen Gedanken über alles stellen, und jenen, die sich
spätestens seit 2022 als Kriegspartei herausgefordert fühlen.
Hinzu kommt das Gefühl einer gewissen Ungleichbehandlung wegen der guten
institutionellen Förderung der „Konkurrenz“, während die Mitglieder von
Plattform e. V. und das Koordinationszentrum bis zur Erschöpfung
ehrenamtlich arbeiten.
Vorstandsvorsitzende ist die junge promovierte Wissenschaftlerin und
Journalistin Tetiana Ivanchenko. Vor fünf Jahren kam sie für ein
journalistisches Projekt und ihre Promotion nach Berlin – und blieb. Für
ein Treffen hat sie keine Zeit. Aber in geschmeidigem Deutsch beschreibt
sie schriftlich die Situation der ukrainischen Community in Dresden, die in
ihrer Heterogenität ein „Abbild der Gesellschaft in der Ukraine“ sei.
## Vermeintlich „prorussisch“
Auf die heikle Frage nach dem Verhältnis zur Dresdner Stadtgesellschaft wie
auch zu vermeintlich konkurrierenden Institutionen angesprochen, antwortet
Tetiana Ivanchenko ausweichend, aber vielsagend. Der Vorstand habe
beschlossen, sich dazu nicht zu äußern, und möchte „nicht in eine für uns
unerwünschte Diskussion hineingezogen werden“.
Und sie fügt erklärend hinzu: „Wir begegnen heute schon neben der sehr
großen Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung auch unangenehmen
Vorurteilen.“
Deutlicher wird bei aller Freundlichkeit der ukrainischstämmige Pfarrer
Bohdan Luka, der seit 2004 in den sächsischen und thüringischen Großstädten
die ukrainischen Christen der griechisch-katholischen Kirche betreut. In
Dresden ist der liebenswürdige Mann mit dem rundlichen Gesicht sehr
populär, wird von seinen Landsleuten nur „Vater Luka“ genannt. Auf Kolibri
angesprochen, ist aber von der Bergpredigt nach Matthäus 5 nicht viel zu
spüren.
Den Verein bezeichnet Pfarrer Luka als „prorussisch“. Frau Yefremova habe
zwar mehrmals versucht, einen Kontakt herzustellen, räumt er ein „Sie sind
von Kopf bis Fuß ein sowjetischer Mensch“, habe er ihr entgegnen müssen.
## Geld aus Moskau – und vom Rathaus
Der Krieg hat die Erinnerung an die Verbrechen der vor hundert Jahren
begonnenen Sowjetherrschaft gegenüber den Ukrainern wieder kollektiv
wachgerufen, auch bei einem Priester. Und der Ex-Geheimdienstler Putin gilt
als ein Exponent dieser Sowjetunion und sorgt für makabre Kontinuitäten.
Die Ukrainer beobachten gerade jetzt [5][Pilgerzüge zur ehemaligen
Putin-Villa] aus seiner Zeit als KGB-Offizier in Dresden, heute Sitz der
Anthroposophischen Gesellschaft.
Kolibri-Geschäftsführerin Kristina Daniels möchte zu den ukrainischen
Anwürfen am liebsten nur beredt schweigen. „Unerfreulich“ seien das
Verhältnis und die Ausladung seitens des Ukraine-Hauses, mehr kommentiert
sie nicht.
Auch das [6][Deutsch-Russische Kulturinstitut] in einer hübschen
Zwiebelturmvilla wollte sich schon vor einem Jahr nicht äußern, verlangt
aber jetzt von der taz eine Entschuldigung für damals aus anderen Quellen
beschaffte Angaben.
Zum Beispiel zu der Frage, ob es weiterhin von der für die russische
Propaganda in der Diaspora gegründeten Stiftung Russki Mir (Russische Welt)
getragen wird, also eine Exklave des russischen Staates ist. Das Institut
erhält jährlich noch 15.000 Euro Förderung aus dem Dresdner Kulturrathaus.
Es bedient aber mit einem schmalen, lediglich retrospektiv-folkloristischen
Programm eher eine geschlossene Gesellschaft.
## Die Kirche mischt vorne mit
Ähnlich isoliert ist die Dresdner Russisch-Orthodoxe Kirche. An ihrer
Stelle äußert sich auf der Homepage der Moskauer Patriarch Kirill in einer
Botschaft an alle „Kinder der Kirche“ vom 17. März des Vorjahres, die an
Demagogie nicht zu überbieten ist:
„Doch selbst in den schwierigsten Zeiten der Prüfung hat unser Volk stets
Hilfe von der Allheiligen Gottesmutter erfleht, die sich immer als
inständige Fürsprecherin der Heiligen Rus erwiesen hat. Richten wir unseren
Blick und unser Seufzen an die inständige Fürsprecherin der Christen,
sodass auf ihre unablässige Fürsprache der menschenliebende Herr Seine
Gnade über unsere Völker kommen lässt und uns festen und unerschütterlichen
Frieden schenkt.“
Um Frieden bitten und den Krieg unterstützen – die Dresdner Orthodoxe
Kirche gehört zum Moskauer Patriarchat, einer [7][waffensegnenden Stütze
der Putin-Clique].
Und wie verhält sich das sächsische Gastgebervölkchen? Pfarrer Bohdan Luka
begegnet „die gesamte menschliche Bandbreite – von sehr herzlich bis zur
kompletten Ablehnung“. Zur leisen Kundgebung vor der Frauenkirche, die am
24. Februar den Jahrestag des Kriegsbeginns betrauerte, kam immerhin fast
die doppelte Anzahl der erwarteten tausend Teilnehmer.
## Auch Dresden ist gespalten
Die AfD-Pegida- und Schwurblerdemo auf dem Theaterplatz, einen Tag vor der
Wagenknecht/Schwarzer-Demo in Berlin, brachte es nicht ganz auf diese Zahl.
Aber elf Tage zuvor, am Zerstörungsgedenktag Dresdens im Zweiten Weltkrieg,
wurde Oberbürgermeister Dirk Hilbert eben auch als „Kriegstreiber“
ausgebuht, als er von der russischen Aggression sprach.
Der Volksneid giftet und sieht in den Kaufhäusern nur noch reiche
ukrainische Frauen. Die Kassiererin im Supermarkt macht ihrem Ärger Luft,
schon mit 63 Jahren verrentete Ukrainer bekämen angeblich von uns üppige
Rentenzahlungen, während sie selbst bis 67 schuften müsse. Die Friseurin
hat von Flüchtlingen gehört, die hier absahnen, reisen und währenddessen
ihre Wohnungen in der Westukraine vermieten. Auch Kinder nicht arbeitender
geflüchteter Mütter bekämen privilegiert Kindergartenplätze.
Alexa aus dem Ukraine-Haus hat Ähnliches noch nicht erfahren und verteidigt
die Sachsen. Sie sei aber von Russen als „Schlampe“ und schlimmer
beschimpft worden, sobald sie als Ukrainerin erkennbar war.
Neben Ressentiments und Stereotypen machen aber auch gutwillige Helfer
unangenehme Erfahrungen: Eine Musikerin aus Langebrück, die gleich eine
Vierer-WG aufnahm, beobachtete insbesondere bei der jungen „Generation
Handy“ bereits das typisch westliche Anspruchs- und Versorgungsdenken.
## Differenzierung? Eine Utopie
Und dass Flüchtlinge der ersten Stunde, die seither mit ihrem SUV hier
fahren, als Flüchtlinge erster Klasse erscheinen, ist keine [8][Erfindung].
Auch hier zeigt sich das von Plattform-Chefin beschriebene Abbild der
gesamten ukrainischen Gesellschaft in seiner ganzen Heterogenität
Differenzierte Wertungen und ein tolerantes Miteinander werden in Dresden
aber auf absehbare Zeit eine große Herausforderung bleiben. Die 64-jährige
Walentyna, die sich im 18 Kilometer entfernten Radeberg endlich eine
Einraumwohnung einrichtet, kann kaum noch an einen Frieden glauben. Denn
sie kann sich nicht mehr vorstellen, dass sie und ihre Landsleute die
russischen Gräuel jemals verzeihen.
6 Mar 2023
## LINKS
[1] /Ukrainische-Gefluechtete-in-Dresden/!5851023
[2] /Deutsch-russischer-Austausch/!5837870
[3] https://plattform-dresden.de/ukrainisches-haus-ein-zuhause-in-dresden-2/
[4] https://www.fr.de/politik/krieg-russland-drohung-invasion-europa-weltkrieg-…
[5] /Putin-Fans-in-Ostdeutschland/!5836638
[6] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162143.folgen-des-ukraine-kriegs-ein-des…
[7] /Die-Kirche-in-Russland-und-der-Ukraine/!5838634
[8] https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/faktencheck
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Dresden
Exil
GNS
Ukraine
Russland
Wladimir Putin
Sowjetunion
antimuslimischer Rassismus
"Querdenken"-Bewegung
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geflüchtete aus der Ukraine: Krise, welche Krise?
Die Situation ähnelt der „Flüchtlingskrise“ von 2015. Doch die Debatte ü…
ukrainische Geflüchtete verläuft anders. Der Grund dafür ist Rassismus.
Studie über Montagsdemonstrationen: Russlandverständnis und Grünenhass
Teilnehmende der rechten Montagsdemos haben ein grundlegend anderes
Verständnis von Demokratie. Eine neue Studie zu ihren Beweggründen.
Georgische Autorin über Sowjetunion: „Eine patriarchale, gewalttätige Zeit�…
Russland werde unter Putin seine Geschichte nie aufarbeiten können, sagt
die aus Georgien stammende Theaterregisseurin und Autorin Nino
Haratischwili.
Ein Jahr Krieg in der Ukraine: „Wir sind alle Ukrainer“
Am Freitagabend demonstrierten tausende Menschen in Berlin für Solidarität
mit der Ukraine. Präsident Wolodomir Selenski sendete eine Videobotschaft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.