# taz.de -- Abschiebungen nach Moldau: Wieder mal die Angst | |
> Wenn der Winterabschiebestopp endet, könnte es bald zu | |
> Massenabschiebungen kommen, etwa von Rom*nja nach Moldau. Ein Bündnis | |
> fordert ihr Bleiberecht. | |
Bild: Demontration von Romn*ja am 11. März 2023 auf dem Rosa-Luxemburg-Platz i… | |
BERLIN taz | Die Geschichte von Mihail, 19 Jahre, ist in mancher Hinsicht | |
typisch für das, was Rom*nja in Moldau und Berlin widerfährt. Die taz | |
trifft den schüchternen Jungen in den Räumen des Flüchtlingsrats. 2016, | |
erzählt er in gutem Deutsch, kam er das erste Mal nach Berlin mit seiner | |
Familie, 2018 wurden sie abgeschoben. „Das Leben in Moldau ist sehr | |
schwer“, erzählt er: Die Eltern fanden nur selten Arbeit, er und sein | |
Bruder mussten in den Ferien Feldarbeit verrichten, damit genug Essen da | |
ist. Oft sei die Familie umgezogen, auch mal ein paar Jahre in die Ukraine. | |
Im Winter 2021 kam die Familie zurück nach Berlin, „wegen der Armut, aber | |
auch weil ich meine Schule weitermachen will“, sagt Mihail. Diesmal wurde | |
der Asylantrag schnell abgelehnt, der große Bruder, gerade volljährig | |
geworden, wurde im Januar 2022 abgeschoben. Nun bangt Mihail um den Rest | |
der Familie: „Ich habe Angst, aus der Schule zu kommen, und keiner ist mehr | |
da.“ | |
Die Angst ist nicht unberechtigt, denn diesen Freitag endet der von | |
Rot-Grün-Rot vereinbarte Winterabschiebestopp. Unterstützer*innen von | |
Geflüchteten befürchten, dass es schon in den nächsten Tagen zu ersten | |
Massenabschiebungen aus Berlin kommen könnte. Davon betroffen sind auch | |
rund 3.500 Moldauer*innen, die als „vollziehbar ausreisepflichtig“ gelten. | |
Die meisten von ihnen sind Rom*nja, die laut Berichten von Flüchtlings- und | |
Menschenrechtsorganisationen in ihrer Heimat massiv und strukturell | |
diskriminiert werden. | |
Der Berliner Flüchtlingsrat Berlin und das BARE-Bündnis gegen | |
Antiziganismus rufen daher für Freitag um 15 Uhr zu einer Demonstration vor | |
der Innenverwaltung (Klosterstraße 47) auf. Diese kündigte auf taz-Anfrage | |
in der Tat an, dass ab 1. April „Ausreisepflichten im Einklang mit den | |
geltenden Richtlinien der Regierungspolitik grundsätzlich wieder | |
durchgesetzt“ werden – wobei vor jeder Abschiebung die Umstände jedes | |
Einzelfalls geprüft würden. | |
## „Tief verwurzelte Ablehnung“ | |
Die Aktivist*innen von BARE fordern dagegen ein humanitäres Bleiberecht | |
für alle Rom*nja aus Moldau. „Berlin muss seine landesrechtlichen | |
Spielräume nutzen und sich auch auf Bundesebene für eine entsprechende | |
Regelung einsetzen. Ein Bleiberecht für alle nach Berlin fliehenden | |
Rom*nja ist schon aufgrund unserer historischen Verantwortung wegen ihrer | |
Verfolgung und Vernichtung während der Nazizeit geboten“, sagt Emily | |
Barnickel, Sprecherin des Flüchtlingsrats. | |
Seit Jahren ist Moldau eines der Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern in | |
Berlin. Das Land mit nur 2,6 Millionen Einwohner*innen zwischen | |
Rumänien und der Ukraine galt schon vor dem Ukrainekrieg als eines der | |
ärmsten Länder Europas. Zudem bestehen dort gegen Rom*nja weit verbreitete | |
Vorurteile, die auch aus der Geschichte rühren: Bis weit ins 19. | |
Jahrhunderte galten sie als „Leibeigene“, also Sklaven. „Diese Geschichte | |
wirkt bis heute in Stereotypen, einer tief verwurzelten Ablehnung, | |
Stigmatisierung und massiver Diskriminierung nach“, schreibt die Slawistin | |
Kristina Holzapfel in einer [1][Studie für Pro Asyl und Berliner | |
Flüchtlingsrat von 2022]. Der Bericht betont, dass Diskriminierung auch | |
durch staatliche Stellen wie die Polizei geschieht. Der [2][neue | |
Amnesty-Bericht für Moldau] hat zum Beispiel Belege dafür, dass die | |
staatlichen Aufnahmelager für Flüchtlinge aus der Ukraine auf Betreiben der | |
Polizei keine Roma aus der Ukraine aufnehmen. | |
Auch Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat weiß aus Beratungsgesprächen von | |
Diskriminierungserfahrungen ihrer Klient*innen in Moldau. „Erst kürzlich | |
hatte ich ein Ehepaar hier, dessen eigenes Haus in ihrer Abwesenheit | |
einfach abgerissen wurde, weil der Stadtrat entschied, dass es zu baufällig | |
sei. Würden sie nach Moldau zurückmüssen, stünden sie vor dem Nichts.“ | |
Rom*nja würden oft aus den städtischen Zentren in die Peripherien | |
vertrieben, wo sie in ärmlichsten Verhältnissen leben müssten. Durch | |
fehlende ärztliche Versorgung litten viele unter chronischen Krankheiten, | |
Schulbesuche seien wegen der Kosten oft nicht möglich. | |
In Berlin – aufgrund der regionalen Aufteilung kommen | |
Asylbewerber*innen aus Moldau meist hierher – werden die Asylanträge | |
von Moldauer*innen jedoch zum allergrößten Teil abgelehnt. Und das | |
ziemlich schnell, findet Barnickel – von Antragstellung bis Abschiebung | |
dauere es oft keine 12 Monate, „das ist viel schneller als bei allen | |
anderen Gruppen“. Dieser Eindruck wird bestätigt durch die [3][Antworten | |
der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion] von Februar. | |
## Kritik an Asyl-Interviews | |
Ein Hauptkritikpunkt von Barnickel an den Asylverfahren: Die strukturelle | |
Diskriminierung von Rom*nja in Moldau, auch durch staatliche Stellen, wird | |
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht anerkannt. „Man | |
muss daher im Asylinterview eine individuelle Diskriminierung nachweisen, | |
aber wer kann das schon?“, fragt sie. Zudem wüssten die Betroffenen oft | |
selbst gar nicht, dass sie diskriminiert werden. „Und die Befrager stellen | |
keinerlei Nachfragen“, kritisiert sie. Dadurch würden systematische | |
Diskriminierungen nicht erkannt und entsprechend nicht ins Verfahren | |
einbezogen, moniert auch die Studie. | |
Zusätzlich zum unfairen Asylverfahrens, berichtet Barnickel, würden | |
Rom*nja auch in Berlin häufig aufgrund von Fremdzuschreibungen | |
benachteiligt. „Viele Mitarbeitende in Heimen oder auf Ämtern haben | |
Vorurteile: Roma wollten ja gar nicht arbeiten, sich nicht integrieren.' “ | |
Oder es heiße, „die sind ja eh bald wieder weg, dann ist das nicht so | |
wichtig.“ Entsprechend gebe es für ihre Kinder oft keine Kita- oder | |
Schulplätze, keine Krankenkassenkarten et cetera. Es seien auffällig oft | |
Kinder aus Rom*nja-Familien, die lange – bis zu sieben Monate – auf einen | |
Schulplatz warten müssten. | |
Dieser Befund wird durch den neuen Bericht der Dokumentationsstelle | |
Antiziganismus (DOSTA) bestätigt, der am Mittwoch vorgestellt wurde. Dort | |
heißt es: 2021 „dokumentierte DOSTA vermehrt antiziganistische Vorfälle, | |
welche geflüchtete Menschen aus der Republik Moldau erlebten, deren Kinder | |
trotz Schulpflicht an keiner Schule aufgenommen wurden“. | |
Für Mihail will Barnickel jetzt einen Härtefallantrag stellen, damit er | |
nicht mitten im Mittleren Schulabschluss abgeschoben wird, den er gerade | |
macht – er hat sich nämlich selber einen Schulplatz gesucht. Danach will er | |
sich einen Ausbildungsplatz suchen – sein Traum: Hotelfachmann. Barnickel | |
ist vorsichtig optimistisch, dass es klappen kann. „Wenn er bis Sommer eine | |
Ausbildungszusage bekommt, hat er gute Chancen auf eine | |
Ausbildungsplatzduldung.“ | |
Auf die Frage, wie das wird, wenn er bald vielleicht vom Vater und den | |
beiden kleineren Geschwistern getrennt wird, antwortet Mihail mit einem | |
traurigen Scherz. „Mein Vater hat schon gesagt, dass ich ihnen etwas Geld | |
schicken muss, damit sie leben können. Ich habe gesagt: Okay – aber nicht | |
alles.“ | |
31 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/ | |
[2] https://www.amnesty.org/en/location/europe-and-central-asia/moldova/report-… | |
[3] https://dserver.bundestag.de/btd/20/057/2005795.pdf | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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